Seite:Die Gartenlaube (1899) 0235.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Es wurde finstere Nacht, bis er zu den ersten Häusern von Ehrwald kam. Lange mußte er am Haus des Jägers an die Thüre trommeln, bis ihm geöffnet wurde.

„Was is denn?“ fragte Beinößl aus dem schwarzen Hausflur. „Wer is denn da?“

„Ich bin’s!“

„Der Toni! Ja was willst denn du?“

„Treibjagd ist morgen. Um Drei müssen wir droben sein beim Sebener Almzaun.“

„So? No ja, is recht. Da können wir allweil noch schlafen ein paar Stündln. Aber Bett hab’ ich keins für dich … mußt dich halt aufs Ofenbankl legen.“

Sie traten in die finstere, von schwülem Dunst erfüllte Stube. Beinößl schob seinen Gast im Dunkel zur Ofenbank und nahm ihm die Büchse ab, um sie an den Rechen zu hängen.

„Na hörst’, Toni … du hast ja den Hahn g’spannt! So was! Du mit dei’m Leichtsinn, du richtest heilig noch einmal ein Unglück an!“

Mazegger schwieg.

Drei Stunden vergingen.

Als um ein Uhr der Wecker rasselte, hatte Mazegger noch kein Auge geschlossen.

Eine Viertelstunde später traten die beiden Jäger in die Nacht hinaus.

„Gut wird’s heut’,“ sagte Beinößl, „droben liegt der Seenebel!“

Sie stiegen bergwärts in der Nacht, und Beinößl kürzte den mühsamen und nicht ungefährlichen Weg mit drolligem Geschwätz – er war einer von jenen „G’scheiden“, die den Zwirnsfaden des Lebens lustig um die Finger wickeln, so kurz und dünn er auch geraten ist.

Als sie die Ehrwalder Alm überstiegen hatten und die Höhe des Sebenwaldes erreichten, sahen sie im dünnen Morgennebel den Schein des Feuers, das die beim Almzaun wartenden Treiber auf der Lichtung angezündet hatten, um sich die Langweil’ zu vertreiben und um „Glut für die Pfeifen“ zu haben.

In dem Augenblick, als die beiden Jäger zum Feuer kamen, gab’s einen Schreck. Einer der Treiber hatte an einem brennenden Reis seinen Stummel angepafft, das Flämmchen ausgeblasen und das glühende Holz über die Schulter geworfen. In der Luft flammte das Reis wieder auf und fiel in einen Haufen dürren Zeuges. Das brannte wie Zunder, nach allen Seiten lief und züngelte die Flamme und erreichte den Almzaun, aus dem eine knisternde Lohe aufschlug, die den ziehenden Morgennebel fahl durchleuchtete.

Zu Tod erschrocken sprangen die Leute auf und arbeiteten aus Leibeskräften, um das Feuer zu ersticken. Ein Glück war es, daß trotz des sonnigen Tages die unteren Reisigschichten des Walles noch feucht waren – sonst hätte wohl keine Arbeit mehr geholfen, auch nicht die flinkste, und der ganze Almzaun wäre in Flammen aufgegangen.

Als das Feuer glücklich erstickt war, halfen sie alle zusammen, um den Zaun wiederherzustellen und das ausgebrannte Loch mit zusammengeschlepptem Reisig zu füllen. Aber jetzt war die Arbeit lustiger, und sie schwatzten und lachten schon wieder, während sie noch schafften, daß ihnen der Schweiß über die Gesichter rann. Auch Mazegger arbeitete wie die anderen.

Halb im Ernst und halb im Scherz, in jener wohligen Erregung, die jedem schadlos überstandenen Schreck zu folgen pflegt, wurde des langen und breiten erörtert, welch ein „schönes“ Unglück da hätte entstehen können. Denn brennt der Zaun einmal, von einer Felswand über das schmale Thal hinüber bis zur anderen, dann brennt auch der ganze Sebenwald bis über den See hinauf, und alles Jungvieh, das droben im Seethal auf der Weide steht, ist verloren. Wenn auch der Brand nicht höher gehen kann als bis zu den letzten Latschenfeldern, und wenn auch das Vieh hinaufflüchtet in die Felsenkare – droben erstickt es im Rauch.

„Kreuzsakra!“ meinte Beinößl. „Da möcht’ ich net droben sein im Seethal! Oder ich möcht’ ein’ letzten Juchezer machen und ’s Leben so billig verkaufen wie ein’ alten Strumpf!“

Draußen im Karwendelgebirg, erzählte ein anderer, wäre ein großer Waldbrand auch durch einen Almzaun entstanden, in den der Blitz geschlagen hätte. Aehnliche Fälle erzählten zwei andere – und moralisierend kam man zu dem Schluß, daß es auch im Gaisthal an der Zeit wäre, diese „Zunderhecken“ durch Legmauern aus Steinen zu ersetzen, wie es längst schon überall geschehen wäre, wo die Leute Verstand und kein Sägmehl im „Hirnkastl“ hätten. „Daß man an die alten Bräuch’ hängt, das is ja gut und schön, aber ein bißl ein Furtschritt, das is auch net ohne!“

Plötzlich verstummte diese Weisheit – der Förster kam mit den zwei Leutascher Jägern. Wohl begann es schon Tag zu werden, aber der Nebel verschleierte den Aschenhaufen, und so merkte der Förster nicht, was geschehen war. Er ließ die Jäger und Treiber im Halbkreis Aufstellung nehmen: „Also, Leut’! Daß wir unserer lieben Duhrlaucht heut’ ein saubers Jagderl machen! Am Almzaun ’nauf wird die Treiberketten ang’stellt. Den Losschuß, den mach’ ich! Punkt halb Sechse! Da is die Duhrlaucht auf ’m Stand, und da wird sich auch der Nebel schon verzogen haben! Und wie der Losschuß fallt, fangen wir ’s Drucken an! Und langsam, Leut’, langsam, nur langsam … daß die Hirsch’ net nausfahren zum Loch wie die närrischen Mäus! Und machts mir kein’ Spektakel, sag’ ich! Ein bißl Pfeifen, ein bißl klopfen, ein bißl anrufen, daß d’ Lini schön bei’nander bleibt … sonst nix! Verstanden? Also, in Gottes Namen, packen wir’s an!“

Neben dem Almzaun stiegen sie empor, während das Frühlicht zu wachsen und der Nebel sich schon zu verziehen begann.

Hinter dem halblaut schwatzenden Trupp blieb ein Einzelner langsamen Schrittes zurück – Mazegger.

Sein Gesicht war übernächtig, und seine Augen lagen tief, von dunklen Ringen umzogen. Wie befallen von schwerer Müdigkeit, blieb er stehen und legte das Kinn auf den vorgestützten Bergstock. Seine unstet flackernden Augen hingen an dem kalt gewordenen Aschenhaufen dort unten, glitten hinüber zum Almzaun und folgten dem braunen Reisigwall bergauf und wieder bergab, über das ganze schmale Thal, von einer Felswand bis zur anderen.

Dann nickte er vor sich hin, und langsam stieg er hinter den anderen her.


13.

Zögernd schwammen die Schleier des Morgennebels durch das Gaisthal hinaus, immer höher stiegen sie, enthüllten hier eine sonnbeglänzte Bergzinne, dort ein Almfeld in blauem Schatten, und selbst schon angestrahlt und durchwärmt von der steigenden Sonne, verwandelte sich ihr trübes Grau in zarten Schimmerduft, welcher spurlos in den Lüften zerfloß.

Fast war das ganze Thal schon nebelfrei, und mit leuchtender Klarheit spannte sich der schöne Morgenhimmel über Thal und Berge, als Ettingen und Praxmaler gegen sechs Uhr morgens in der Thalsohle das breite Kiesbett der Ache überschritten, um durch einen steilen Waldstreif emporzusteigen zum Fürstenstand. Der lag am Waldsaum auf einem Latschenrücken und gewährte freien Ausblick über eine von Erlengestrüpp erfüllte Mulde und eine spärlich bewachsene Lawinengasse, die sich vom Fuß der steilen Felswand hinunterzog bis ins Thal. Drunten sah man das weiße Kiesfeld und eine lange Strecke des Pfades, der zum Sebensee führte. Ueber dunkle Fichtenhügel konnte man hinausblicken bis zum Sebenwald und zu der vom Seeufer aufsteigenden Sonnenspitze, die ihren goldumstrahlten Felskegel schlank in den blauen Himmel hob. Den Stand, auf welchem zwischen den Wurzeln einer Fichte ein bequemer Erdsitz ausgeschaufelt war, umzog eine kleine Legmauer, als Deckung für die Jäger.

Während Pepperl den Wettermantel über den Sitz breitete und den Feldstecher aus dem Futteral nahm, stand Ettingen an der Mauer und blickte mit Lächeln und Sinnen nur immer dort hinaus, wo jener schlanke sonnige Fels in die Lüfte stieg.

„So, Duhrlaucht, jetzt haben S’ ein nobels Platzl!“

Ettingen ließ sich nieder, und Pepperl, der sich seinem Herrn zu Füßen setzte, zeigte ihm die beiden Wildwechsel, von denen der eine unter der Felswand hinlief, während der andere schräg über die Lawinengasse hinunterging ins Thal und gegen das Kiesbett des Baches.

„Auf dem, mein’ ich, auf dem sollt’ was anlaufen!“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 235. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0235.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2019)