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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Grafenstübchens soweit nicht fertig wurden, daß es tadellos und bereit wäre, die „freudige Ueberraschung“ aufzunehmen. Als Kluibenschädl in der Schutzhütte die Betten unberührt und den Herd ohne Glut gefunden, war ihm die Sorge mit „gacher Hitz“ vom Herzen in den Kopf geschossen. Schon begann er an die schlimmsten Dinge zu denken und wollte in seiner Angst bereits zur nächsten Almhütte rennen, um mit den Sennleuten die Suche nach seinem Herrn zu beginnen – da kamen die beiden, gesund und mit heiterem Geplauder. Es hätte nicht viel gefehlt, und Kluibenschädl wäre in der ersten angsterlösten Freude dem Fürsten um den Hals gefallen. Während Pepperl das ganze Abenteuer lustig erzählte, hielt der Förster die Hand seines Herren fest, und dann sah er ihm lachend ins Gesicht und sagte:

„Sakrawolt! Duhrlaucht! Die heutig’ Nacht auf ’m hülzernen Sessel, die muß Ihnen gut ang’schlagen haben! Ausschaun thun S’ … wie ’s Leben!“

Sie traten in die Hütte, und Pepperl schürte gleich Feuer zum Frühstück an.

„No, Gott sei Lob und Dank, Duhrlaucht, weil S’ nur wieder da sind! Und bei der Fräul’n Petri … das weiß ich schon, da is man nobel aufg’hoben … da hat Ihnen freilich nix g’schehen können!“

In fröhlicher Laune nahmen die drei das Frühstück ein. Dann machte sich der Förster auf den Heimweg zum Jagdhaus. Als er schon ein paar hundert Schritte davongewandert war, kam ihm Pepperl atemlos nachgerannt, mit irgend einem jagdlichen Zweifel, dessen Lösung so klar auf der Hand lag, daß der Förster seiner Antwort kopfschüttelnd die Worte beifügte: „Na, hörst, das hätt’st doch selber wissen können, da hätt’st doch net so rennen müssen!“

„Ja ja, is schon wahr … und … jetzt gehen S’ heim … gelten S’?“

„Natürlich! Wohin soll ich denn sonst?“

„Ja, freilich! Und … wie geht’s denn allweil daheim?“

„Wie soll’s denn geh’n? Gut halt!“

„Und … was macht denn … sag’ ich zum Beispiel … der Herr Kammerdiener?“

„Der? D’ Nasen streckt er in d’ Höh und faulenzen thut er, derweil die anderen schaffen! Und den halben Tag hockt er bei der Sennerin drunt’! Könnt’ auch ’was G’scheiders thun, als dem dalketen Madl den Kopf verdrahn! Aber no, was geht’s denn mich an! B’hüt dich Gott, Pepperl!“

Mit großen traurigen Augen starrte Pepperl dem Förster nach, und dabei zog er das blaue Sacktuch aus der Joppe und wischte die Lederhose ab, als hätte er das Gefühl, daß er mit Wasser begossen wurde. Freilich, feucht war das Leder noch vom Abend her.

Als er in die Hütte zurückkehrte, fand er den Fürsten auf seinem Lager schon eingeschlummert. Schwer atmend betrachtete der Jäger seinen Herrn. „Ah, der schlaft aber gut!“ Er seufzte. „Könnt’ ich nur auch so schlafen heut’!“

Und nicht nur gut schlief Ettingen, auch lange.

Um drei Uhr nachmittags, als Toni Mazegger draußen an der Hütte vorüberging, um den Ehrwalder Jäger für die Treibjagd zu bestellen, waren Thür und Läden des kleinen Balkenhauses noch geschlossen.

Mazegger verhielt den Schritt nicht, er streifte nur im Vorübergehen mit finsterem Blick die Thüre. Und Eile schien er zu haben. Sein Gang war von treibender Hast. In brütender Unruhe starrte er vor sich nieder, während er durch den Sebenwald hinaufeilte gegen das Seethal.

Das Almfeld öffnete sich vor ihm, und wieder begann der Wald. Mitten auf einer Lichtung wurde der Pfad gekreuzt vom Sebener Almzaun, der das Jungvieh, das für den ganzen Sommer ins höhere Seethal aufgetrieben war, verhindern sollte, durch den Wald herunterzusteigen und die reichere Weide der vom Milchvieh bezogenen Niederalmen aufzusuchen.

Dieser Zaun war ein mannshoch aufgetürmter Wall von dürren Bäumen, von denen die untersten wohl schon hundert Jahre oder noch länger lagen. Wo das dürre Zeug vermoderte und während des Winters unter dem Druck des Schnees zusammenbrach, da wurden im Frühjahr neue Reisighaufen und dürre Bäume auf den Wall geworfen, der die ganze Breite des Seethals quer durchzog und zur Linken und Rechten hinaufreichte bis zu den kahlen Wänden.

Bei diesem Almzaun war für drei Uhr morgens das Stelldichein der Treiber und Jäger angesagt, welche das Hochwild des Sebenwaldes hinunterdrücken sollten gegen den bei der Gaisthaler Ache liegenden Fürstenstand.

Wo der Pfad ging, hatte der Wall eine Lücke, die durch ein hohes Stangengatter geschlossen war.

Mazegger öffnete das Thor und schloß es wieder. Immer langsamer wurde sein Gang. Als er neben dem Pfad einen Baumstock sah, legte er Büchse und Bergstock nieder, trocknete die Stirn und rastete. Mit zitternden Fingern glättete er den feucht und mürbe gewordenen Hemdkragen, band die Krawatte frisch, säuberte mit einem Büschel Moos die Schuhe und wusch sich in einem Regentümpel die Hände. Sein schmuckes und tadellos sauberes Jägergewand mit ängstlichen Augen musternd, nahm er den Marsch wieder auf.

Nur wenige Minuten hatte er durch den Wald noch aufwärts zu steigen, bis er zwischen den lichter stehenden Bäumen den Seespiegel flimmern sah. Bevor er den Waldsaum erreichte, spähte er nach allen Seiten. Am Ufer sah er den Knaben mit der Angelrute stehen – und Gustl schien allein zu sein, denn all seine Achtsamkeit galt nur der Angelspule, die auf dem Wasser schwamm.

Mazegger wich lautlos in den Wald zurück, und auf einem Weg, auf dem ihn der Knabe nicht sehen konnte, stieg er über das Latschenfeld zu dem kleinen Haus hinauf.

Unter dem Harfenbaum, an dem sich in der goldenen Sonnenstille des Nachmittages keine Nadel rührte, saß Lo’ am Tisch. Sie hatte den Basthut abgelegt, und umzittert von den Sonnenlichtern, welche durch den Schatten des Baumes niederfielen, saß sie über ein Schulheft des Bruders gebeugt, der unter dem Eindruck des vergangenen Abends einen deutschen Aufsatz niedergeschrieben hatte: „Gewitter im Hochgebirg“. Der mit großen Worten spielende Schwung dieser kindlichen Schilderung wirkte erheiternd auf sie, doch ihr eigenes Erinnern plauderte so viel hinein zwischen diese harmlosen Zeilen, daß ihr die Wangen wie Feuer glühten.

Da trat Mazegger in den Garten. „Guten Abend, Fräulein …“ Die Erregung brach ihm die Stimme. Er stellte Gewehr und Bergstock an die Hüttenwand, nahm den Hut ab und ging langsam auf den Tisch zu. Mit scheuem Blick, zwischen Hoffnung und Zweifel, hingen seine heißen Augen an dem Gesicht des Mädchens.

Betroffen hatte Lo’ das Heft geschlossen und erhob sich.

„Mazegger? … Was suchen Sie bei mir?“

„Ein gutes Wort und … Hilf’!“

Sie sah ihn mit ihren großen Augen verwundert an und schwieg.

Den Hut zwischen den Fäusten zerknüllend, stieß er mühsam jedes Wort hervor: „Sie sind ja die Heilige fürs ganze Dorf und Thal. Jeder, der eine Hilf’ braucht, kommt zu Ihnen, und da kommt er nie umsonst. Allweil und überall muß ich’s hören, daß Ihr’ Herzensgüt’ wie ein Brünndl wär’… für jeden armen und durstigen Menschen. Und ich … ich bin doch auch ein Mensch, dazu noch einer von den ganz elenden! Was schauen Sie mich so an? Ob Sie’s glauben oder nicht … meiner Seel’! Das ist wahr … mir ist bei meinem Leben zu Mut’ wie einem, der sich in einer schiechen Wand verstiegen hat. Jeder Weg hat ein End’ für ihn, und tief geht’s hinunter! Da steht er halt und schreit … und wenn er gleich weiß, daß keiner kommen und helfen will, er schreit halt und schreit … und wenn er schon merkt: jetzt muß ich fallen … da hofft er noch allweil und denkt an die gute Hand, die ihm helfen könnt’!“

Er hob die Augen zu ihr und sprach nicht weiter.

„Kommen Sie, Mazegger,“ sagte Lo’, während tiefer Ernst aus all ihren Zügen redete. Sie rückte in die Bank und bot ihm den Platz an ihrer Seite an. „Und sagen Sie, was Sie mir sagen müssen. Hier sind wir allein … mein Bruder ist drunten am See, sonst ist niemand in der Nähe, niemand kann uns hören.“

Wie eine Flamme schlug es über das Gesicht des Jägers. Eine Hoffnung war erwacht in ihm, und er stammelte: „Fräulein! … Sie sind mir also nicht mehr bös?“

„Böse? Weshalb?“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 230. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0230.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2019)