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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

ist auch später viele Jahre hindurch keinem Glasfabrikanten gelungen, trotzdem ungeheure Summen auf Versuche dazu verwendet wurden. Fraunhofers Methode zur Herstellung solcher Glasschmelzen wurde von seinen Nachfolgern als tiefes Geheimnis bewahrt, und erst seit Anfang der fünfziger Jahre gelang es einigen Fabrikanten in England und Frankreich, Glas zu großen Ferngläsern in tadelloser Beschaffenheit zu erzeugen. Fraunhofers größtes Fernrohr hat ein Objektiv von 9 Pariser Zoll Durchmesser und eine Länge von 14 Fuß, es wurde 1824 von der russischen Regierung für die Sternwarte in Dorpat angeschafft und erwies sich als das beste Instrument der damaligen Zeit. Noch heute bildet es eine Zierde jener Sternwarte und hat von seiner Wirkung nichts verloren. Fraunhofer war von Körper schwächlich und starb bereits 1826, nachdem sein König ihm den Adel verliehen hatte. Auf seinem Grabstein liest man die Worte: „Er hat uns die Sterne näher gebracht.“

Die nächsten Nachfolger Fraunhofers gingen in der Herstellung großer Fernrohre weiter, aber so beträchtlich waren die zu überwindenden Schwierigkeiten, daß nach seinem Tode viele Jahre lang vergeblich an einem Objektiv von 12 Zoll Durchmesser gearbeitet wurde und es nur gelang, ein solches von 10½ Zoll Durchmesser, zu welchem ein Rohr von 17 Fuß Länge erforderlich war, herzustellen. Später kam man im optischen Institut zu München indessen auch zu 14- und selbst 18zolligen Gläsern, aber damit war die Grenze der Leistungsfähigkeit erreicht.

Die Schwierigkeiten, welche sich der Herstellung sehr großer Fernglasobjektive entgegenstellen, entspringen aus zwei verschiedenen Quellen. Zunächst muß man über große optisch fehlerfreie Glasblöcke verfügen können und dann muß der Optiker imstande sein, den beiden Linsen, die aus diesem Glase geschliffen werden, solche Gestalt und hohe Politur zu geben, daß das aus ihnen zusammengesetzte Objektiv die Gegenstände klar, scharf und ohne störende Farbensäume darstellt. Beiden Erfordernissen ist außerordentlich schwer zu genügen.

Das Riesenteleskop der Yerkes-Sternwarte.

Vor Fraunhofer mußten die Optiker, um ein Objektiv von 2 oder 3 Zoll Durchmesser herzustellen, nicht selten ein Dutzend Glaslinsen schleifen, weil beim Polieren die richtigen Krümmungen der Oberflächen wieder verloren gingen und nicht mehr hergestellt werden konnten. Auch die optische Beschaffenheit der zu den Linsen erforderlichen Glassorten muß man genau kennen, um danach die Krümmungen der Oberflächen der Gläser berechnen zu können, wozu auch kein sicheres Mittel bekannt war. Als man daher in England, wo zu Anfang des Jahrhunderts die besten Fernrohre angefertigt wurden, hörte, Fraunhofer verfertige ein Objektivglas von 9 Zoll Durchmesser, spottete man darüber, weil man auf Grund der eigenen Erfahrungen annahm, er müsse mindestens 100 Gläser dieser Größe schleifen, um nur 2 darunter zu finden, welche, zusammengepaßt, sich als brauchbar erweisen würden. Allein Fraunhofer hatte Mittel gefunden, die Beschaffenheit der Gläser vor dem Schleifen aufs genaueste festzustellen, ferner durch Rechnung die richtigen Krümmungen der Glasoberflächen zu bestimmen und endlich mittels höchst sinnreicher Instrumente die Gläser so zu polieren, daß die richtige Gestalt der Oberfläche nicht verloren ging. Diese Seite der Technik war durch ihn gewissermaßen zum Abschluß gebracht worden, und seine Vorschriften sind bis zur heutigen Stunde noch in Geltung.

Anders war es mit der Herstellung der Glasblöcke. Auch in dieser Hinsicht hat Fraunhofer die größten Verdienste, indem er den richtigen Weg zeigte, und sein Schüler und Nachfolger Georg Merz, der Sohn eines Leinwebers, machte noch weitere Fortschritte, so daß bis zur Mitte dieses Jahrhunderts die Merz’schen Refraktoren so gut wie ausschließlich zur Himmelsbeobachtung dienten. Nach jahrelangen Bemühungen gelang es endlich Feil in Paris, sowie Bontemps in England, ebenfalls fehlerfreie Glasblöcke zu Objektiven von 12 bis 18 Pariser Zoll Durchmesser zu erzeugen, und seit 1871 verpflichtete die Firma Chance Brothers u. Co. in Birmingham sich sogar, Glasplatten bis zu 1 Meter Durchmesser zu liefern. Erst nachdem dieses Ziel erreicht war, konnten auch andere Optiker als Fraunhofers Nachfolger daran denken, sich an der Herstellung großer Refraktoren zu versuchen. Da war es nun wieder ein aus niedrigen Verhältnissen entsprossener Mann, der auf diesem Gebiete den höchsten Preis errang. Alvan Clark, dessen Urgroßvater als Steuermann der „Mayflower“ mit 101 tapferen Personen beiderlei Geschlechts, welche die unchristliche Verfolgungswut der englischen Bischöfe aus ihrem Vaterlande vertrieben hatte, nach Amerika kam, ist es, der nebst seinem Sohne Georg als Schöpfer der heutigen Riesenteleskope zu betrachten ist. Er wurde in einem kleinen Orte des Staates Massachusetts 1804 geboren und arbeitete in seiner Jugend als Tagelöhner, suchte sich aber, ähnlich wie Fraunhofer, in den wenigen Freistunden, die ihm blieben, zu höheren Fertigkeiten auszubilden. An Optik dachte er nicht und ein Fernrohr hatte er niemals gesehen, vielmehr versuchte er sich als Zeugdrucker und Formstecher. Dabei entdeckte er in sich ein großes Talent zum Zeichnen und Malen und bildete dieses soweit aus, daß er sich in Boston als Dekorationsmaler niederlassen konnte und zu einem erträglichen Wohlstande gelangte. Hier war es nun sein 1832 geborener Sohn Georg, der, man weiß nicht genau durch welche Veranlassung, dazu kam, einen kleinen Teleskopspiegel zu schleifen. Der Vater sah der Arbeit zu, half dabei und gewann Interesse daran, so daß ein zweiter Teleskopspiegel in Angriff genommen wurde. Aus dem Maler wurde bald ein kleiner Optiker, dessen Spiegelteleskope guten Absatz fanden. Rasch erkannten aber die beiden Clarks, daß ein Refraktor leistungsfähiger als ein Spiegelteleskop ist, und warfen sich nun mit Eifer auf die Herstellung von Objektivlinsen. Es ist für den Fernstehenden geradezu unbegreiflich, wie es beiden Leuten, ohne eigentliche Vorbildung in diesem Fache, gelingen konnte, in wenigen Jahren Fernrohre herzustellen, welche an Größe und optischer Kunst mit den vorzüglichsten Erzeugnissen der Fraunhoferschen Schule siegreich wetteiferten.

Schon im Jahre 1861 stellte Clark einen Refraktor mit 18½ zolligem Objektivglase her, den größten und vortrefflichsten, den die Welt bis dahin gesehen hatte. Auch machte Georg Clark,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 221. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0221.jpg&oldid=- (Version vom 7.6.2020)