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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

verrieten, daß Detlev richtig geraten hatte. Marguerite stellte die Theebüchse, die sie noch in der Hand gehalten hatte, weg und legte jetzt erst die Hand in die, welche Detlev ihr entgegenstreckte.

„Wir haben uns lange nicht gesehen!“ sagte er leise, die Augen an ihr hängen lassend.

„Recht lange!“ gestand Marguerite zu. „Und jetzt … Sie kommen wohl Abschied nehmen, Herr Leutnant? Vorhin traf ich Major Pröhl im Flur, und er sagte mir, daß Sie eine Urlaubsreise antreten.“

„Nicht bloß eine Urlaubsreise … Ich trete aus der Armee aus … Sagte Ihnen Major Pröhl das nicht? Sie verstehen mich doch, Fräulein? Ich werde kein Soldat mehr sein …“ Er hatte sich nicht gesetzt, sondern lehnte an dem Kürhenschrank, zufrieden, daß er sie sah, sie ungestört betrachten durfte, ohne durch den Gedanken an Didier Morel gequält zu werden.

„Kein Soldat mehr?“ wiederholte Marguerite leise.

„Ich werde Landwirt. Ich soll das Gut meines Oheims bewirtschaften, der leidend ist.“

„Ich wünsche Ihnen Glück zu dieser Veränderung. Hoffentlich lieben Sie das Landleben.“

„Ich werde es lieben lernen. Und Sie, mein Fräulein? Lieben Sie es?“

„Ich kenne es kaum. Bedenken Sie doch, daß ich fast nie aus Metz fortgekommen bin … Indessen stelle ich es mir recht schön vor, auf dem Lande zu leben … Reisen Sie bald nach Deutschland?“

„Sehr bald,“ antwortete Detlev mit gepreßter Stimme und sie beobachtend. Der Mut sank ihm; sie schien ihm zu ruhig, unbeteiligt. Ob er blieb oder ging, es schien ihr gleichgültig!

Das Wasser kochte. Marguerite goß den Thee auf und löschte die Flamme. Dann nahm sie das Theebrett, auf das sie noch eine zweite Tasse gestellt hatte, und schickte sich an, es in das Wohnzimmer zu tragen. „Kommen Sie hinein, Herr von Bode, und trinken Sie Thee mit mir – zum Abschied!“

Er folgte ihr stumm. Drinnen im Wohnzimmer, wo es nach den Hyacinthen roch, die in einem Glase auf dem Fensterbord standen, hieß sie ihn auf dem Sofa Platz nehmen und deckte ein lavendelduftiges Tuch auf. Dann stellte sie den Thee, Zucker, Milch und Biskuits vor Detlev und bat ihn, zuzugreifen. Sie selbst setzte sich ihm gegenüber, und stumm schlürften sie den heißen Trank.

„Wie blaß Sie sind, Fräulein!“ sagte Detlev nach einem langen Blick auf ihr schmales Gesicht. „Sind Sie leidend? Diese ewigen Gänge nach dem Friedhof!“

„Ich war gar nicht auf dem Friedhof, sondern in Plappeville mit einer ehemaligen Freundin, die ich getroffen hatte … Die Frühlingsluft ermüdet so …“

„So haben Sie doch auch Freundinnen? Eine Stockfranzösin natürlich!“

„Im Gegenteil … Die Familie stammt aus Königsberg, und Sie sollten einmal hören, wie die deutsch spricht … Wieso Herr Kühtmann gerade hierher kam, weiß ich nicht … Ottilie ist in Metz geboren wie ich.“

„Was ist Herr Kühtmann?“

„Oberlehrer.“

„Und das ist Ihre Freundin?“

„Wir hatten zusammen Zeichenstunde. Es ist ein recht liebes Mädchen, aber, natürlich, seit sechs oder sieben Jahren habe ich sie kaum mehr gesehen. Mama wünschte es nicht. Herr Kühtmann hat gegen uns gekämpft. Ich werde übrigens nicht wieder mit Ottilie verkehren. Bloß heute, weil wir uns gerade trafen. Sie kommt bald fort von hier. Sie heiratet.“

„Nach Deutschland?“

„Nein … einen Franzosen … Sie wird in Grenoble wohnen.“

„So?“ Detlev wurde ganz heiter. „Ein gutes Beispiel, das sie Ihnen giebt!“

„Mir?“ Marguerite zuckte die Achseln.

„Um es ihr nachzuthun, müßten Sie nach Deutschland heiraten,“ sagte Detlev, einen möglichst leichten Ton anschlagend, „Sie sind ja jetzt frei; denn wie ich hörte, ist Ihre Heirat –“

„In die Brüche gegangen,“ ergänzte Marguerite ruhig.

„Hat er sich Ihnen gegenüber etwas zu schulden kommen lassen?“ fragte Detlev.

„Klagen Sie ihn nicht an!“ fiel ihm das junge Mädchen rasch ins Wort. „Er hat keine Schuld.“

„Schenken Sie mir Ihr Vertrauen,“ bat Detlev, „und erzählen Sie mir, wie sich die Sache verhält. Sie wissen, ich glaubte nie, daß Sie ihn liebten …“

Marguerite senkte den Kopf. „Mama wünschte diese Heirat so sehr, und Herr Morel versprach, ihr ein guter Sohn zu sein. Ich wollte Mama von hier fort nach Nancy bringen. Herr Morel, war damit einverstanden, daß wir sie zu uns nehmen sollten. Er wußte freilich schon damals von Doktor Laurins, daß Mamas Tage gezählt waren. Ich hätte dennoch mein Wort nicht gebrochen … Gott weiß, daß ich die Absicht hatte, den Weg zu gehen, den Mama mir vorgezeichnet hatte. Bloß einige Monate der Freiheit wollte ich mir sichern. Wenn Didier nur Vertrauen und etwas Geduld gehabt hätte! Aber Geduld ist in der Familie Morel nicht zu Hause. Er wollte meinen Gemütszustand nicht verstehen, oder vielleicht verstand er ihn nur zu gut, merkte, daß ich mich bloß zu ihm zwang. Und das verletzte seine Eigenliebe tödlich. Als er zum letztenmal hier war, im März, stellte er mir ein Ultimatum: entweder die sofortige Heirat oder der Bruch unseres Verhältnisses. Ich wählte den Bruch, worauf er es ja abgesehen hatte. So ist es gekommen. Nun eifere ich den Damen Perraul nach, und man wird bald von den drei alten Jungfern aus der Belle-Islestraße sprechen.“

Detlev schob seine Theeschale zurück, daß sie klirrte. „Eine reizende Aussicht! Ich weiß ein anderes Bild. Darf ich es Ihnen ausmalen? In einem schönen Schlosse, dessen romanische Bogenfenster nach dem Rhein gehen, kenne ich ein trauliches Gemach mit behaglichem Eichengetäfel. Ein großer weißblauer Ofen füllt die Ecke. Der Tisch in der Nähe ist sauber gedeckt. Die Theekanne fängt an zu singen, das blaue Flämmchen zischt. Am Theetisch waltet eine schlanke blonde Frau, schön wie ein Madonnenbild und lächelnd wie ein glückliches Weib. Möchten Sie nicht lieber diese blonde Frau sein als die Dritte im Bunde der Perrauls? Marguerite, sprechen Sie! Liebe Marguerite!“

Seine Worte erstarben in einem Flüstern heißer Sehnsucht und Zärtlichkeit.

Marguerite hatte die Hände im Schoß ruhen lassen und vor sich hingestarrt wie gebannt.

Jetzt, als Detlev neben sie auf den Teppich hinkniete und ihren Leib umschlang, stieß sie einen Seufzer aus, fuhr sich mit der Hand über die Augen und murmelte: „O meine Mutter!“

„Marguerite,“ sagte Detlev innig, „glauben Sie nicht, daß Ihre Mutter Ihr Glück höher geschätzt hätte als alles? Daß sie ihren Haß hätte opfern können?“

„Sie würde nie eingewilligt haben,“ murmelte das junge Mädchen. „Wie hat sie gelitten!“

„Aber nun leidet sie nicht mehr!“ rief Detlev, mit herzlichem Druck die Hand des jungen Mädchens fassend und festhaltend.

„Nun ist sie hinaus über irdisch kleinliche Bedenken und Gefühle … Jetzt kann es für Sie, Marguerite, nur ein Bestimmendes geben, Ihr Gefühl … Marguerite, rührt Sie meine Neigung nicht? Habe ich mich getäuscht, wenn ich mir einbildete, Ihr Herz neige sich mir zu?“

„Kann ich eine Wahl treffen, die meine Mutter in Trauer und Bestürzung setzen würde?“

„Sie wollen also lieber mich, den Lebenden, der noch fühlt und leidet, unglücklich machen?“ fragte Detlev hastig, ihre Hand loslassend und aufstehend. „Vermögen abgeschiedene Geister herab zu sehen auf diese Erde, so werden Ihre Eltern Sie lieber glücklich in einem deutschen Heim als einsam und trostlos im Vaterhause sehen. Den Toten stört nichts mehr ihren Frieden, mir aber zerstören Sie, wenn Sie mich abweisen, mein Lebensglück. Wollen Sie das?“

„Ich kann nicht … O Gott, quälen Sie mich nicht …! Ich kann nicht …“ Marguerite erhob sich und floh zum Fenster. Detlev folgte ihr. Er sah wohl, daß er einen mächtigen Bundesgenossen an ihrem Herzen hatte, und das flößte ihm Mut ein. Er kämpfte nicht nur für sein Glück allein. Auch für das ihrige.

„Marguerite!“ begann er wieder in beschwörendem Ton.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 219. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0219.jpg&oldid=- (Version vom 7.6.2020)