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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Halb willenlos, fast im Banne des Schwätzers, hatte der Meinhardt sein Streichholzbüchschen hervorgethan. Bald staken im roten Licht die beiden Köpfe beisammen und lasen den Brief. Der war ganz schlecht und spießig mit Bleistift geschrieben, und so stand’s zu lesen:

 „Lieber Johann Klacherl!

Ich kenne Dich, Du mich nicht, und wirst Dich wundern über den Glücksfall. Da hast fünfzig Gulden, die gehören Dein, wenn Du binnen acht Tagen den Fergen Sebastian Meinhardt –“ Das Streichhölzchen brannte dem Genannten an den Fingern, er mußte es wegwerfen und ein neues anzünden. Dann lasen sie weiter: „– den Fergen Sebastian Meinhardt totmachest, so bekommst Du auf demselben Weg das Doppelte. Ich weiß, wir können uns aufeinander verlassen. Ein schwer leidender Freund.“     

Und das stand auf diesem Papier!

Der Meinhardt war nicht aufgesprungen, er saß gelassen da und sagte: „Mir scheint, man spielt mit mir eine Komödie!“

„Glaubst du, daß es eine Fopperei ist?“ fragte der andere. „Freund, ich laß mich foppen!“ Den Geldschein hob er in die Lüfte: „Diesen Aufsitzer laß ich mir gefallen, allemal!“

Nachdenklich sagte der Meinhardt: „Johann! Ein Haderlump bist du, das weiß jeder in ganz Marienthal. Aber daß du schlecht sein solltest! So schlecht, daß dir jemand im Ernst so etwas zutrauen sollte können!“

Der Klacherl langte so ein wenig in die Gegend des Sackes, in dem er den Revolver hatte, und sagte in seiner singenden Weise: „Scharf geladen – alle sechs. Das Doppelte, schreibt er! – Meiner Seel’, Schiffskapitän, heut’ wär’ ein Abend zum Geldverdienen!“

Der Meinhardt lachte. „Das macht mir keine Sorge!“ Nach diesen Worten war der Klacherl ganz still, ganz bewegungslos. Dann tastete er tölpisch nach der Hand des Fergen und holperte die Worte hervor: „Dank dir’s Gott, Schulkamerad!“

Der Meinhardt verstand ihn wohl, diesen Dank des Verkommenen, Verachteten, den Dank dafür, daß es noch einen Menschen gab, der ihm das Schlimmste nicht zumutete.

„Aber was anderes, mein Lieber!“ setzte sich der Meinhardt fort. „Sei so gut und zeig’ ihn her noch einmal.“

Bei dem Brande eines weiteren Streichholzes betrachtete er den Brief. Die Schrift war absichtlich entstellt, das mußte jeder sehen. Eine Frauenschrift konnte es nicht sein, nein, nein. Zwar heißt es, daß eine Schrift, die mit dem Daumen und dem kleinen Finger der linken Hand geschrieben wird, nicht zu erkennen sei. Und die Weiber sind findig. Falsch sind sie alle. Besonders, wenn das Plangen nach einem schlechten Mannsbild dazukommt. – Aber das ist ja abscheulich, wie ich von meinem Weib denke! so weckte er sich selbst auf. – Doch er – der andere!

„Hast du ein Lichtl, wer dir die Sachen zugeschickt hat?“ fragte er den Klacherl.

Dieser zuckte die Achseln und antwortete: „Ganz finster.“

„Hast du nichts gehört, daß wer eine Feindschaft gegen mich hätte?“

Wieder ein Achselzucken. Dann: „Wer hätte denn keinen Feind? In solchem Besitz ist sogar der arme Klacherl, der sein Lebtag niemand was Gutes gethan hat!“

„Du meinst, niemand was Böses!“

„Freund, merk’ dir das: die meisten Feinde schafft man sich durch Gutheit!“

Auf den Kopf gefallen ist er nicht, der Klacherl. Und ganz schlecht? Halt auch ein Mensch, wie die meisten anderen.

Dem Meinhardt war nun aber das wehe Herz überquellend geworden. „Johann,“ sagte er, „ich hab’ einen Verdacht. – Kennst du den Kohlenschreiber Grassing?“

„Den Halbteppen?“

„Du, pass’ auf, ob der nicht abgefeimter ist als wir allmiteinander! Kennst du ihn?“

„Natürlich, den Herrn Grassing! Hat mir erst am vorigen Sonntag beim Fasselwirt vorgeweint wie ein kleines Kind!“

„Geweint hat er? Warum denn lauter?“

„Das hat er wahrscheinlich selber nicht gewußt. Wegen der Lieb’, hat er gesagt. Dummheiten! Einen Rausch hat er gehabt. Ein Unglück thät geschehen, hat er geschrien und mit der Faust auf den Tisch geschlagen, daß alle gelacht haben.“

„Johann,“ sagte der Ferge, „der Grassing hat dir den Revolver geschickt!“ Der Vagabund klatschte die Hände zusammen.

„Das wär’ noch schöner!“

„Der will mich totmachen lassen, damit er mein Weib heiraten kann.“

„Dein Weib möcht’ er haben? Und da soll ich ein bissel kuppeln? Mit dem Revolverl da? Schau, du? – Aber zahlen könnt’ er. Brauchet mich mit dem Doppelten auch nicht zufrieden zu geben. Müßt’ nachher schwitzen, so viel ich verlanget. Und wenn er dein Weiberl schon einmal gar so gern hat, da muß man doch Mittel machen, mein Mensch! – Und meinst, daß auch sie gern eine Veränderung hätt’?“

„Weiß nicht, ob sie nicht dahintersteckt!“

„So!“ sagte der Klacherl. „Verdacht hast. So, so.“

„Das will ich nicht sagen!“ rief der Meinhardt und sprang ans Ufer. „Aber wissen möcht’ ich’s! Das möcht’ ich doch wissen, wer mich umbringen lassen will!“

„Natürlich, das weiß der Mensch allemal gern,“ sagte der Klacherl, stieg ihm nach, faßte mit beiden Händen seinen Arm und zischelte ihm zu: „Du, hörst, jetzt ist dem schlechten Haderlumpen was eingefallen. Wenn du dir raten läßt von deinem alten Kameraden, so sei morgen früh tot. Mausetot, gewiß auch noch! Es ist das Allerbeste!“

Der Ferge riß sich los.

„Du hast mich nicht verstanden, Kapitän!“ setzte der Vagabund bei. „Hast denn gar nicht ein bissel Geist? Siehst du, und mit dem erscheinst du ihnen nachher, wie sie beisammen sind. Dann kannst sie beim Schopf fassen. He!“

Absonderlich, wie es jetzt aufblitzte im Kopfe des Fergen. Der Gram war nur so hingepurzelt und die übermütige Abenteuerlust reckte keck ihr Haupt auf. War er denn nicht auch einmal ein verfluchter Kerl gewesen? Wie tolllustig in den Knabenjahren, wenn er auf Baumwipfeln von einem zum andern sprang wie eine Wildkatze, oder wenn er im Wettersturm auf halbgeborstenem Kahn über den See fuhr! Vor Jahren war’s gewesen, als der Erzherzog über Land reiste, daß die Marienthaler ihm zu Ehren das Ritterschauspiel von der Pfalzgräfin Genoveva veranstaltet hatten. Da erkrankte am vorletzten Tage der Mann, der die Rolle des Siegfried geben sollte. Der junge Meinhardt wagte es, sprang ein und spielte den Siegfried mit glänzendem Erfolg. So verwegen wie damals kam er sich auch jetzt vor. Es war ihm, als ob er kühn und trotzig seine Seele ins Spiel werfen sollte, um sie zu gewinnen oder zu verlieren. Aber bevor er das, was plötzlich in ihm wirbelte, zum Ausdruck bringen konnte, streckte der Klacherl seinen Arm in die Luft – ein Doppelblitz und ein Doppelknall – der hier blendend und schmetternd an die Sinne und dort drüben an die finsteren Berge schlug.

„So, mein lieber Meinhardt, jetzt bist du hin!“ sagte der Vagabund, und der Ferge verstand ihn. Die Entschlossenheit der Willensschwachen kam über Meinhardt, er war entschlossen, mit sich thun zu lassen, was der andere wollte. Dann standen sie beisammen bei den Erlbüschen und redeten leise miteinander. Nur einmal rief der Meinhardt lebhafter: „Du bist doch ein durchtriebenes Band!“

„Auf mich verlaß dich! Gieb nur acht, daß du dich nicht vergackelst!“

„Aber ein Frevel ist’s! Ein abscheulicher Frevel!“

„Wieso denn? Wir thun doch nichts. Sie machen ja alles selber, wirst es sehen,“ sagte der Klacherl. „Jetzt wollen wir halt übers Wasser fahren allzwei, denn daherüben auf der Marienthalerseiten ist für Tote kein gesunder Aufenthalt. Du sollst derweil mein Gast sein im Rehhüttel oben. Mach’ die Nußschale flott, ich bin bald wieder da!“ Und dann huschte der Schelm durch das Gebüsch hinauf und die Straße dahin bis zum Wirtshaus, um Brot und Rauchfleisch zu kaufen. Sie wunderten sich, daß er Geld hatte; er antwortete, es wäre ein Glücksfall eingetreten. Endlich kam er wieder zurück zur Furt. Schweigend und eilig setzten sie sich in den Kahn und fuhren ans andere Ufer. Der Strang schrillte unheimlich laut. Das soll er ja nicht! Den Fergen schauerte. Als sie drüben ausgestiegen waren, stieß der Klacherl mit einem Fußtritt den Kahn los, dieser glitt hinaus bis in die Mitte des Flußes, dort blieb er hängen und schaukelte hin und her auf dem wogenden Wasser. Ueber den Hügeln der Marienthaler Seite alles dunkel. Nur in einem einzigen Fensterlein glomm eine trübrote Glut …

(Schluß folgt.)


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