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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

der Ueberlegenheit des innerlich festgefügten Geistes in die Welt hineinschaut. Sie hat sich über die großen Lebensfragen auch ihre eigenen Gedanken gemacht, doch trägt sie diese ohne irgend welchen Anspruch vor; sie will weder belehren, noch bekehren, sondern einfach bekennen, was sie fühlt und denkt. Ihre Verschiedenheit vom Empfänger der Briefe, den sie schon seit ihren Jugendtagen rühmlich nennen hörte, reizt sie gerade, sich ihrer eigenen Ueberzeugungen im Schreiben bewußt zu werden. Gewandt und anmutig polemisiert sie gegen seine Aeußerungen, und hinter allem leuchtet die Güte eines gesunden Frauenherzens durch.

Es war die beste Zeit der Marlitt, in der diese Briefe geschrieben wurden: die Jahre des Aufsteigens und stark sprudelnder Produktion. Darum müssen wir in dieser Lebensgeschichte der Dichterin etwas dabei verweilen. Die Briefe sind übrigens mitsamt den Schriften des Fürsten, in die sie eingeschoben sind, in Vergessenheit geraten und kaum noch Litterarhistorikern bekannt, sonst könnten unmöglich so herbe Urteile über E. Marlitt gedruckt werden, wie es zuweilen geschieht.

Pückler-Muskau wurde schon im Jahre 1830 durch seine in glänzendem Stile geschriebenen „Briefe eines Verstorbenen“ als Schriftsteller bekannt; später gab er einige Werke heraus, in denen er über seine weiten Reisen in Nordafrika und Vorderasien berichtete; auch that er sich als genialer Landschaftsgärtner hervor und die von ihm geschaffenen Anlagen in Muskau erfreuten sich eines weiten Rufes.

Als Eugenie mit Pückler in Briefwechsel geriet, da konnte sie nicht wissen, daß es eine der vielen Passionen dieses schriftstellernden Aristokraten war, sich auch mit dichtenden Frauen in Verkehr zu setzen. Fünfunddreißig Jahre zuvor hatte er mit der genialen Bettina von Arnim in einem sehr lebhaft bewegten Briefwechsel gestanden. Mitte der vierziger Jahre hatte er mit der geistreichen Gräfin Ida Hahn-Hahn eine Korrespondenz geführt. In seinem höchsten Alter hatte er noch mit der Marlitt angeknüpft, und mit ihr hat der Verkehr – nur sehr viel schneller als mit den zwei genannten Dichterinnen – sein Ende in derselben disharmonischen Weise gefunden wie in den früheren Fällen. Fürst Pückler-Muskau war nämlich ein zwar geistreicher, in jungen Jahren sogar interessanter Mann, der auch gewiß seine Verdienste als Gartenkünstler hatte; in der Litteratur aber war er doch nur das, was man heutzutage einen gewandten Feuilletonisten nennen würde. Er wußte pikant zu schreiben, und ein schriftstellernder Fürst war vor sechzig Jahren in Deutschland noch eine Seltenheit, das „zog“ auch. Pückler gab sich demokratische Allüren, kokettierte nicht wenig mit seinem Liberalismus, und das schaffte ihm ein großes Publikum im Vormärz. Er kokettierte aber auch mit seinem Weltschmerz, mit der Lebensmüdigkeit, mit der Blasiertheit, und seine Gartenkunst gab ihm im Kontrast dazu einen dichterischen Schimmer. Im Grunde aber war er ein ausgemachter Egoist, und mit der Güte fehlte ihm auch der Humor bis auf die letzte Spur. Alle drei genannten Frauen waren ihm sowohl an echtem Geist als auch an Güte des Herzens und an Humor weit überlegen. Der gute Fürst war zudem noch sehr eitel. Ein Meister in der Kunst zu schmeicheln, übte er diese Kunst doch nur in der Erwartung, daß man ihm seine Schmeicheleien in gleichem Maße zurückerstatten werde. Täuschte er sich in dieser Erwartung, dann konnte Fürst Pückler recht zänkisch werden. In der Einsamkeit von Schloß und Park Branitz langweilte er sich sehr; zum Zeitvertreib schrieb er lange geschwätzige Briefe, natürlich am liebsten an begabte Frauen, und er wurde nicht müde, Gäste nach Branitz zu laden, welche ihm die Einsamkeit erträglich machen sollten.

Dies alles konnte Eugenie John im einsamen Arnstadt zu der Zeit, als sie den ersten, überaus liebenswürdigen Brief Pücklers (vom 8. Febr. 1868) – nach seiner Lektüre des „Geheimnisses der alten Mamsell“ – erhielt, natürlich nicht wissen, und sie antwortete dem „Verfasser der Briefe eines Verstorbenen“, wie sich der Fürst unterzeichnete, innerhalb einer Woche mit der gleichen Liebenswürdigkeit.

Pückler hatte ihr den Brief durch Keil zukommen lassen, denn er kannte damals weder den Familiennamen, noch den Wohnort von E. Marlitt. Als er die Antwort erhielt, drang er darauf, daß sie sich demaskiere. Da gerade zur selben Zeit ihre privaten Verhältnisse durch einen Zeitungsartikel bekannt wurden, so konnte sie schicklicherweise nicht lange dem Wunsche des Fürsten widersprechen und gab ihm einige Auskünfte über sich, die sie mit folgenden Worten begleitete:

„Bezüglich des Festhaltens an meinem Pseudonym muß ich Ihnen ferner sagen, daß ich, bei dem lebhaften Wunsche, nur mit dem Schriftsteller, dem Verfasser der „Briefe eines Verstorbenen“, in geistigen Verkehr zu treten, der Ansicht war, auch eine gewissermaßen objektive Stellung einnehmen zu müssen, so daß lediglich E. Marlitt, die Schriftstellerin, Ihre Korrespondentin würde. Nun freilich, wo mir ein unbekannter und sehr unberufener Biograph das Visier aufgeschlagen, müssen Sie, wohl oder übel, auch die Eugenie John mit in den Kauf nehmen …“

Aber das Unglück war, daß Pückler trotz seiner 82 Jahre, mit denen er sich bei der Marlitt eingeführt hatte, an dem rein litterarischen Gedankenaustausch kein Genüge finden mochte. Er drang auf die weitestgehende Aufrichtigkeit, Wahrheit und Fülle von Mitteilungen über ihre Person. Sie kam ihm so weit entgegen, als eine Frau von Geist und Takt, die vom Empfänger ihrer Briefe die beste Meinung hat, nur entgegenkommen kann. Sie sprach von ihrer Arbeit, von ihren politischen und religiösen Ueberzeugungen, gewährte ihm auch Einblick in ihr Heim, wo sie mit dem alten Vater, dem jüngst verheirateten Bruder Alfred bescheiden, aber glücklich wohnte; ja sie hing seine Photographie, die er ihr geschickt hatte, im Arbeitszimmer auf. Aber das war ihm alles nicht genug, auch nicht die aufrichtigen Worte der Teilnahme an seinen Leiden, von denen er schrieb. Er drängte immerfort zu einer persönlichen Begegnung, er wollte die Marlitt in Branitz haben. Aber je artiger und motivierter sie diesen Besuch ablehnte, indem sie auf ihren eigenen zu einer Reise untauglichen Zustand – gebannt in den Lehnstuhl, schwerhörig, hilfsbedürftig, wie sie war – hinwies, um so leidenschaftlicher wurde der Fürst. Wie ein gekränkter Liebhaber benahm er sich. Als schließlich Eugenie denn doch zu lachen anfing, da wurde er gar bös, weinerlich empört – und da blieb ihr natürlich nichts übrig, als ihm gar nichts mehr zu schreiben.

Diese Thorheit Pücklers muß nun der Biograph der Marlitt doppelt bedauern, weil sie in dem mit ihm geführten Briefwechsel sich von so vorteilhafter Seite zeigt und bei einiger Bescheidenheit und Verständigkeit des Fürsten wohl noch viele schöne Briefe von ihr wären geschrieben worden. So aber müssen wir uns mit den wenigen begnügen, die in den acht Monaten (vom Februar bis zum Oktober 1868) entstanden sind.

In den Briefen spricht die Marlitt öfter von ihrem zum Mißtrauen geneigten Gemüte, und merkwürdig ist es, wie ihr das Schicksal recht gab. Gerade was sie vermeiden wollte, mußte sie erleiden. Ihr persönlich lag nichts ferner als der Neid. Aber sie – die arme Tochter eines falliten Kaufmanns, die gescheiterte Sängerin – wurde viel vom Neide verfolgt, schon als Kind, wo sie im Fürstenschlosse zu Sondershausen mit den Fürstenkindern gemeinsamen Unterricht erhielt, dann in ihrer Stellung als Vertrauensperson der Fürstin Mathilde, und nun gar bei ihren ungewöhnlichen Erfolgen als Erzählerin der „Gartenlaube“! Je weniger sie sich persönlich in die Oeffentlichkeit hinauswagte, um so übler wurde ihr mitgespielt.

Als sich die Angriffe gegen ihre Kunst in den ersten achtziger Jahren mehrten und beim Durchbruch der litterarischen Revolution grobe Formen annahmen, da stand die Marlitt fast ohne litterarische Freunde da. Nur sehr wenige wurden ihr gerecht; so griff z. B. Rudolf von Gottschall zur Feder, um ihr volkstümliches Talent zu schützen, wie er schon zehn Jahre zuvor, einer der ersten Kritiker von Rang, eine gerecht abwägende Charakteristik der Marlitt veröffentlicht hatte. (Vollständig abgedruckt in Marlitts Werken, Illustr. Ausgabe, X, S. 416 u. ff.). Es ergriffen aber auch noch andere angesehene Schriftsteller das Wort für sie, von denen wir nur nennen Woldemar Kaden in Kürschners „Schriftstellerzeitung“ (1885, Nr. 8) und Josef Victor Widmann im Berner „Bund“ (1885, Nr. 70). Als Gottfried Keller den letzteren Artikel las, drückte er dem Verfasser in einem Briefe vom 22. März 1885 seinen lebhaften Beifall aus.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 191. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0191.jpg&oldid=- (Version vom 24.6.2023)