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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Der Wiener Rathauskeller.

Von Balduin Groller.

„Der liebe Augustin.“

Weit und breit waren seit jeher in deutschen Landen die Rathauskeller berühmt; sie genossen des Rufes, daß in ihnen der edle Tropfen unverfälscht und unvermischt den Gästen kredenzt werde. Darauf hielten die weisen Stadtväter, denen die Ehre der Stadt am Herzen lag. Viele der alten Rathauskeller werden durch Sage und Geschichte verklärt und Werke der Kunst wetteifern in ihnen, um den Aufenthalt möglichst stimmungsvoll zu gestalten. Kein Wunder, daß bei neuen Rathausbauten dies schöne Vorbild nicht unbeachtet bleibt.

Im Februar dieses Jahres wurde auch in der Stadt Wien der Rathauskeller eröffnet. Er ist freilich noch funkelnagelneu, aber mit der Zeit wird auch hier der Edelrost aus Niederschlägen der Sage und Geschichte sich ansetzen, und schon heute hat er einen eigenartigen bildlichen Schmuck erhalten, in dem ein gut Stück Wiener Stadtgeschichte unseren Augen sich darbietet.

Vor beträchtlicher Zeit, zu Beginn der achtziger Jahre, es war eben die offizielle Feier der Schlußsteinlegung am neuen Rathause abgethan, da lud Friedrich Schmidt, der Erbauer des Hauses und zugleich Dombaumeister zu Sankt Stephan, einen kleinen Kreis von Freunden und Verehrern ein, sein neues Bauwerk unter seiner Führung zu besichtigen. Wir durchschritten die imposanten Säle des gewaltigen gotischen Baues, wir stiegen hinaus auf das mächtige Dach, und er brachte uns durch Hinweis auf kleine Nebendinge zur richtigen Abschätzung der Dimensionen. Die Dachrinne da oben hat die Tiefe und die Breite einer Badewanne. Dann kletterten wir noch höher, bis hinauf zum „eisernen Mann und ließen den Blick hinausschweifen weit in das sonnige, gesegnete Land. Die letzte Station und die längste machten wir tief unter der Erde, im Keller. Dort war ein Frühstück hergerichtet, und Meister Schmidt erhob sein Glas und feierte mit ernstem Wort diese Einweihung des Wiener Rathauskellers.

Aber der Meister hatte sich geirrt, als er glaubte, daß mit der Eröffnung des Rathauses auch der Ratskeller seiner feuchtfröhlichen Bestimmung werde übergeben werden. Die Jahre vergingen, der wackere „Steinmetz“, wie er sich gerne und mit Stolz nennen hörte, schied aus dem Leben, sein Standbild, zugekehrt seinem großen Werke, ward aufgerichtet, und wieder vergingen Jahre und noch immer war der Rathauskeller nicht geschaffen.

Der gegenwärtigen Stadtverwaltung gebührt das Verdienst, die Ratskellerfrage, die schon den mythischen Charakter einer Seeschlange anzunehmen gedroht hatte, gelöst zu haben.

Den letzten entscheidenden Anstoß gab das Kaiserjubiläum, das im Dezember 1898 gefeiert werden sollte. Am 17. Juli 1898 legte die Kommission dem Stadtrate das Projekt zur Ausgestaltung des Ratskellers vor. Das Projekt wurde genehmigt, und nun ward das Werk, förmlich eine Improvisation, bis zum Jahresschluß fertig gebracht.

Mit der künstlerischen Ausschmückung wurden Maler Heinrich Lefler und Architekt Professor Urban betraut, ein Dioskurenpaar, dem die Welt schon manche erfreuliche Gabe zu danken hat. Zur Mithilfe an den figuralen Malereien erwählte sich Lefler noch die Maler Gsur, Haßmann, Harlfinger, Radl, Ranzoni, Suppantschitsch und Wilda, während die landschaftlichen Motive Hugo Darnaut überlassen wurden.

Die Ratsherrenstube. 

Großer Saal.

Der Rathauskeller, soweit er bis jetzt dem Publikum zugänglich ist, besteht aus zwei rechtwinklig zu einander stehenden großen Räumen. Davon ist leider der eine Teil in dekorativer Hinsicht sehr zu kurz gekommen. Er bietet in seiner nüchternen Schmucklosigkeit kaum Anlaß zu irgend einer Bemerkung. Der zweite Teil, über den ein wahres Füllhorn künstlerischer Dekoration ausgeschüttet wurde, ist in drei Abteilungen gegliedert: den Großen Saal oder eigentlichen Ratskeller, das „Rosenzimmer“ und die „Schwemme“. „Schwemme“ ist

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 184. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0184.jpg&oldid=- (Version vom 24.8.2023)