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eisernen Thürflügel zurück, die im Relief je acht Gruppen von Bildern des Alten und Neuen Testamentes zeigen. Aus Bernwards Schule stammt ferner der berühmte kupferne Kronleuchter, der 20 m im Umfange mißt, „das himmlische Jerusalem“, auf dessen Mauern 12 goldene Thore und ebensoviele goldene Türme emporragen. Auch eins der glänzendsten Werke der deutschen Gießkunst findet sich hier im Dome, ein fast 2 m hohes und 1 m breites Taufbecken, von vier knieenden Figuren, Personifikationen der Paradiesesströme, getragen und mit zahlreichen Medaillons geschmückt. Was aber den Dom in aller Welt berühmt gemacht hat, das ist der Annenfriedhof, den nach Westen die östliche Apsis und die Kreuzesarme des Domes, auf den drei anderen Seiten die malerischen Kreuzgänge der Klostergebäude umschließen, und in dessen Mitte die rein gotische Annenkapelle sich erhebt. Jahrhunderte alter Epheu bedeckt die Strebepfeiler und die Säulen der Arkaden, grüner Rasen überzieht die mit Blütensträuchern geschmückten Gräber, und an der halbrunden Apsis des Domes breitet bis zum Dache der „tausendjährige“ Rosenstock seine Zweige aus. Das Ganze ein Fleckchen Erde, geheiligt durch Geschichte und Sage! Hier ereignete sich der Sage nach jenes Wunder, das einst zur Gründung Hildesheims Anlaß gegeben hat: Kaiser Ludwig der Fromme kam einstmals mit einem Jagdgefolge hierher in die Einsamkeit des Waldes, als ihn plötzlich die Lust anwandelte, die Messe zu hören. Der Geistliche, welcher das Hochamt versah, knüpfte den Behälter mit Reliquien der heiligen Jungfrau an einen Baum an und vergaß später das Reliquiar abzunehmen. Als dann der Jagdzug weitergewandert war, erinnerte sich der Geistliche des Vergessenen und eilte zurück, es zu holen, allein keine Gewalt vermochte es vom Baume zu lösen. Er teilte dem frommen Kaiser das Wunder mit, und dieser beschloß, hierher den Kirchenbau zu verlegen, der von seinem Vater in Elze geplant war. – So lautet die älteste Ueberlieferung. In späteren Umbildungen der Legende ist aus dem Baume eine blühende Rose geworden, die noch dazu mitten im Sommer mit Schnee bedeckt gewesen ist. So entstand die Sage vom tausendjährigen Rosenstock. Nun hat die Wissenschaft für die ehrwürdige Rose – die übrigens zu der ganz bekannten Art der Rosa canina gehört – den unzweifelhaften Beweis eines weit jüngeren Alters erbracht, trotzdem aber ist der Rosenstock mit seinen 300 Jahren wohl der älteste Rosenstrauch der Welt.

Wir verlassen den weihevollen Ort und wenden uns der Dammstraße zu, da öffnet sich nach wenig Schritten wieder ein etwas größerer Platz, der durch drei große Bauten beherrscht wird. Vor uns liegt das Landschaftsgebäude, rechts ein moderner Palast mit gewaltigen Schaufenstern, links endlich das Roemer-Museum mit der wohlgelungenen Büste seines Gründers vor der Pforte. Es enthält Kunst- und naturgeschichtliche Sammlungen; wir wollen diesmal nicht hineingehen, obwohl es zwischen Berlin und Paris nicht seinesgleichen hat, wie der für sein Werk begeisterte Senator Roemer zu sagen pflegte, sondern wenden uns noch einmal rechts hinauf zur hochgelegenen Michaeliskirche. Auch dieser Bau geht in seinen Anfängen auf den großen Bernward zurück, der im Pestjahre 995 dem heiligen Michael zu Ehren hier ein Benediktinerkloster baute. Erst Godehard aber hat 1033 den Bau vollendet, der dann leider schon ein Jahr darauf durch einen Blitzstrahl wieder zerstört wurde. Abt Theoderich nahm später eine umfassende Erneuerung vor. Ursprünglich war die Kirche doppelchörig und hatte zwei Querschiffe und sechs Thüren; auch ist bemerkenswert, daß der hohe Chor hier im Westen liegt statt wie gewöhnlich im Osten; unter ihm befindet sich die Gruft St. Bernwards, wo die Gebeine des Heiligen bis 1194 geruht haben. Die Kirche enthält im Innern mancherlei Prachtwerke romanischer Kunst, wundervolle Kapitäle an den Säulen und besonders ein berühmtes Deckengemälde, das einzige erhaltene aus romanischer Zeit diesseit der Alpen und daher von höchstem Interesse; es ist in Wasserfarben auf Kreidegrund ausgeführt und stellt den Stammbaum der alttestamentlichen Könige aus dem Geschlechte Davids dar. Von der Höhe des Kirchplatzes, der auf der einen Seite fast schroff abfällt in den alten Stadtgraben, steigen wir wieder hinab dem Flußthale zu; aus der Ferne winkt uns die Kirche des heiligen Mauritius vom Steinberge herab entgegen, aber wir biegen nach Überschreitung der Innerstebrücke, die nach links und rechts interessante Ausblicke auf die uralten Betriebsstellen der Müller und Gerber gewährt, links auf den Wall, den wir nun entlang gehen. Da schauen wir rechts in schöne Gärten, die wie Inseln zwischen einem System von Gräben und den Adern des Flusses liegen und den bezeichnenden Namen Venedig tragen, links erscheint burgartig die Höhe des Domplatzes mit der steilen Wand der alten den Platz umschließenden Häuser, und von der goldenen Kuppel des alten Domes und den goldenen Kreuzen seiner Türme geht nun im Scheine der Abendsonne ein Glänzen und ein Leuchten aus, das die Gegend verklärt, dem fremden Wanderer weithin ein Wahrzeichen. Wir betreten den zweiten Wall. Wieder sind rechts Teiche, Flußadern und parkartige Gartenanlagen mit einem hohen modernen Schlosse, aber mehr als dies zieht links eine herrliche Kirche mit drei Türmen die Augen auf sich, es ist die Godehardikirche, zu Ehren Godehards im 12. Jahrhundert erbaut, ein vollendetes Werk romanischen Stiles. Wir begeben uns hinab zu dem ernsten Bau, der in stiller Abgeschiedenheit daliegt; hier wird der Sinn durch nichts abgezogen, weltentrückt kann man sich in Betrachtungen verlieren über die Vergangenheit, deren Geist das Gemüt mächtig ergreift.

Gehen wir dann auf den Wall zurück, so gelangen wir bald in die schöne, mit doppelter Baumreihe bestandene Promenade der Sedanstraße und damit wieder in die Neustadt. Bevor wir aber unseren Rundgang ganz schließen, biegen wir rechts in die stillen Mauern eines einsamen Kirchhofes ein und legen ein frisches Reis auf das einfache Grab des Mannes nieder, dem Hildesheim die Erhaltung seiner alten Schätze und Bauten und die Anregung und Förderung aller neuen Schöpfungen in Kunst und Wissenschaft verdankt, auf das Grab Hermann Roemers. Möge der Geist dieses treuesten Sohnes der Stadt, der im Leben kein höheres Ziel kannte, als für sein geliebtes Hildesheim zu wirken und seinen Ruhm zu mehren, und im Tode noch diesem einzigen Zwecke alles hingab, was er und seine Geschwister an Gütern besaßen, in den Bürgern von Hildesheim lebendig bleiben!

Dr. Adolf Vogeler.     

Didiers Braut.

Novelle von A. Noël.

     (Fortsetzung.)


Als die Opernvorstellung aus war, fühlte Detlev sich nicht in der Stimmung, das Gasthaus oder das Kasino aufzusuchen, sondern er begab sich still auf den Heimweg. Im Flur des Hauses angelangt, hörte er die Dormans mit ihrem Gast kommen. Er vernahm die Abschiedsworte des Franzosen, und wieder lauteten sie: „Morgen, auf Wiedersehen!“ Reiste der Mensch denn nicht endlich ab? Seine Geschäfte in Metz waren doch jedenfalls abgethan! In sehr verdrießlicher Laune ging Detlev schlafen.

Bei seinen Nachbarinnen herrschte eine erregtere Stimmung. Madame Dormans konnte lange nicht zur Ruhe kommen. Sie schwelgte in Erinnerungen an Nancy und die schöne Jugendzeit, wo sie mit Charlotte Valmont im Kloster gewesen war, der Frohesten und Lautesten eine, mit der die frommen Schwestern ein rechtes Kreuz gehabt hatten. Ja, warum hätte sie damals nicht lustig sein sollen? Ahnte sie doch nichts von dem bösen harten Schicksal, das ihr später beschieden war.

Endlich versiegte ihr Redestrom, Stille trat ein und das Licht wurde verlöscht. Schon glaubte Marguérite die Mutter eingeschlafen, als ein grelles Lachen das junge Mädchen vom Sofa aufschreckte, das ihr Nachtlager bildete.

„Was hast du, Mama? Warum lachst du so?“

„Ueber den Preußen!“ lachte Madame Dormans weiter. „Weißt du was? Er ist in dich verliebt …“

„Wie kann dir nur so etwas einfallen?“ fragte Marguérite betroffen. „Er kennt mich ja kaum …“

„Offenbar doch genügend …“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 175. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0175.jpg&oldid=- (Version vom 23.8.2023)