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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)


Vorstellungen im Theater zu sehen waren, zählte auch Detlev. Ihn unterhielt diese Provinzgesellschaft in mancher Hinsicht mehr als die Große Oper in Paris. Heute hatte ihn besonders der Gedanke ins Theater gelockt, daß er zum erstenmal ein französisches Gretchen sehen sollte, was zufällig bei seinem Pariser Aufenthalt vor einigen Jahren nicht der Fall gewesen war.

Er war etwas spät gekommen und das Theater schon gefüllt. Während die Ouverture begann, nahm Detlev seinen Sitz in der Nähe der Prosceniumsloge des ersten Ranges ein. Zerstreut musterte er das volle Haus mit seiner an solchen Abenden so ganz welschen Physiognomie, als sein Herzschlag plötzlich stockte, um dann in ein um so heftigeres Pochen überzugehen. Er ärgerte sich über sich selbst, daß ihm der Anblick einen solchen Ruck gab. In der Prosceniumsloge ihm gegenüber saß nämlich Fräulein Dormans zwischen dem Franzosen und einer Dame, die Detlev ganz unbekannt war, von der ihm jedoch sein Instinkt sagte, daß es die von ihm noch nie erblickte Madame Dormans sein müsse. Das blaßgelbe Gesicht, dessen Züge die Magerkeit geschärft und zugespitzt hatte, konnte nur ihr gehören. Es paßte mit seinen harten Linien, dem herrisch schroffen Ausdruck und den eigentümlich leidenschaftlichen Augen genau zu der Vorstellung, die er sich von ihr gemacht hatte. Auch war nicht zu verkennen, daß die Dame sehr leidend war. Die Tochter jedoch schien sich von dem augenblicklichen Wohlsein der Mutter gern und vollkommen täuschen zu lassen. Es wirkte ohne Zweifel beglückend auf sie, die Mutter nach so langer Zeit wieder einmal aufrecht an der Seite zu haben. Der Schatten von Traurigkeit, der das junge Mädchen sonst fast immer umhüllte, war wie weggewischt. Festlich schien ihre Stimmung wie ihre Kleidung. Zwar war sie wie gewöhnlich und gleich ihrer Mutter schwarz gekleidet, aber es war ein Feiertagsschwarz: Seide und Spitzen. Eine lange Boa ringelte sich um ihren Hals, und von dem dunklen Pelz hob sich ihr weißer Teint um so leuchtender ab. Sie lächelte der Mutter liebevoll und fast schelmisch zu und sah dabei so hübsch aus, daß es kein Wunder war, wenn ihr Nachbar sie mit den Blicken verschlang. Es bedurfte keines scharfen Glases, um zu sehen, wie es um ihn stand. An der Brust des jungen Mädchens steckten Rosen, prachtvolle Rosen, die er ihr ohne Zweifel gebracht hatte, auf der Logenbrüstung vor den Damen lag gleichfalls ein Bouquet, und auch eine Bonbonniere verriet die Aufmerksamkeit des Verehrers. Mehr jedoch als dieses alles sprach die Haltung des jungen Mannes den Wunsch zu gefallen aus.

Das französische Gretchen war eine treffliche Sängerin, dafür aber so häßlich, daß man gut daran that, ihr nur zuzuhören, ohne sie anzusehen. Diese weise Vorsicht beobachtete der Franzose um so lieber, als er ja seine Augen auf eine weit glücklichere Verkörperung der blonden Maid richten konnte. Marguérite hingegen gab sich mit einer gewissen kindlichen Rückhaltlosigkeit dem ungewohnten Kunstgenusse hin. Es bereitete Detlev eine eigentümliche Genugthuung, zu sehen, wie vollständig sie bei den Vorgängen auf der Bühne war. Sie hatte kein Auge für ihren Nachbar und bemerkte es gar nicht, wie er sie anschmachtete. Als der Vorhang sich senkte, stimmten Marguérites kleine Hände eifrig in den Beifall ein. Auch während der Pause schenkte sie den Galanterien ihres eifrigen Kavaliers keine tiefere Beachtung. Für Detlev hatte das schöne Mädchen freilich erst recht keine Augen.

(Fortsetzung folgt.)

Blätter und Blüten.


Graf Leo Caprivi †. (Mit Bildnis.) Wenige Monate nach dem Tode des Fürsten Bismarck ist auch sein erster Nachfolger in dem obersten Staatsamte aus dem Leben geschieden. Am 24. Februar 1831 zu Charlottenburg geboren, trat Leo v. Caprivi nach vollendetem achtzehnten Lebensjahre in das Kaiser Franz-Garderegiment ein und hat über vier Jahrzehnte mit soldatischer Pflichttreue dem Vaterlande gedient. Den Feldzug von 1866 machte er als Major im Großen Generalstabe mit, und in dem glorreichen Kriege gegen Frankreich war er, zum Oberstlieutenant befördert, Chef des Generalstabs des 10. Armeekorps. Zu den Erfolgen des deutschen Heeres während der Belagerung von Metz und zu den Siegen bei Vionville und Beaune la Rolande hat er wesentlich beigetragen. In den darauffolgenden Friedensjahren war Caprivi in verschiedenen hohen militärischen Stellungen thätig; die allgemeine Aufmerksamkeit wurde auf ihn im Jahre 1883 gelenkt, als er, der bis dahin nur im Landheere gedient hatte, zum Chef der Admiralität ernannt wurde. In dieser Stellung gab er Beweise seiner Vielseitigkeit und trug vieles bei sowohl zur Neuorganisation der deutschen Kriegsflotte, als auch zur Entwickelung des Torpedowesens und zur Stärkung der Küstenverteidigung. Nach dem Regierungsantritt Kaiser Wilhelms II kam Caprivi um seine Entlassung als Chef der Admiralität ein und wurde am 10. Juli 1888 zum Kommandierenden General des 10. Armeekorps in Hannover ernannt. Schon damals galt er vielfach als der „kommende Mann“, der noch zu den höchsten Staatsaufgaben berufen werden dürfte. In der That wurde in der ernsten Wende, da der Kaiser den Altreichskanzler entließ, General Caprivi am 20. März 1890 zum Reichskanzler und preußischen Ministerpräsidenten ernannt, und wenige Tage darauf, nach dem Rücktritt des Grafen Herbert Bismarck, übernahm er auch das Ministerium des Auswärtigen. Mit Anspannung aller Kräfte verstand es der bereits sechzigjährige General, sich auf verschiedenen ihm fremden Gebieten zurechtzufinden. So gelang es ihm, die deutschen Handelsverträge zum glücklichen Abschluß zu bringen, wofür er am 18. Dezember 1891 vom Kaiser in den Grafenstand erhoben wurde. Bereits im Jahre 1892 sah er sich jedoch genötigt, das preußische Ministerpräsidium niederzulegen, da der Zedlitzsche, von ihm vertretene Schulgesetzentwurf in weitesten Kreisen den heftigsten Widerstand erregte. Erfolgreich behandelte dagegen Graf Caprivi im Jahre 1893 die Militärvorlage, deren Annahme mit einer teilweisen Herabsetzung der militärischen Dienstzeit verbunden war. Am 26. Oktober 1894 erfolgte indessen unerwartet sein Rücktritt. Seitdem hat sich Graf Caprivi von dem öffentlichen Leben gänzlich zurückgehalten. In ländlicher Stille lebte er auf dem Gute Skyren bei Crossen, das seinem Neffen gehört. Hier fand er, da er nicht verheiratet war, den gewünschten Familienanschluß. In den letzten Jahren stellte sich bei ihm ein Herzleiden ein, und ein Herzschlag beschloß am 6. Februar sein thatenreiches, dem Vaterlande geweihtes Leben.

Graf Leo Caprivi †.
Nach einer Aufnahme aus dem Jahre 1898
von J. C. Schaarwächter, Hofphotograph in Berlin.


Der Friedenauer Schulgarten. (Zu dem Bilde S. 133.) In den letzten Jahren hat die Schulgartenidee auch in Deutschland erfreuliche Beachtung und praktische Ausgestaltung erfahren. Das Bild, das wir unsern Lesern vorführen, versetzt uns in den Schulgarten eines schönen Vororts von Berlin – nach Friedenau. Wir sehen die Kinder der dortigen Volksschule – Knaben und Mädchen – bei ihrem fröhlichen Schaffen. Jeden Nachmittag ist der Schulgarten 2 bis 3 Stunden geöffnet, und Lehrer und Lehrerinnen – meist sind 3 bis 4 anwesend – leiten die Kinder an zu praktischen Arbeiten. Etwa 60 Kinder haben je ein kleines Beet zur Bearbeitung erhalten. Sie richten es zur Hälfte als Gemüse-, zur Hälfte als Blumenbeet her. Hier graben, hacken, säen, pflanzen, gießen und ernten sie ziemlich selbständig. Der kleine Ernteertrag ist ihr Eigentum. Die Knaben der 1. und 2. Klasse werden im Veredeln der Bäume unterrichtet. Im vorigen Jahr sind 100 Obstwildlinge und Rosen von ihnen veredelt worden. Andere Knaben sind beim Erdbeer-, Spargel- und Stangenbohnenbeet beschäftigt, die Mädchen bei den Beeten für Küchenkräuter. Am Bienenstand beobachten die Kinder, wie die allzeit emsigen Tierchen mit dicken „Höschen“ von ihrem Ausfluge heimkehren; sie hängen neue Waben ein, reinigen die Kästen und – freuen sich auf das Schleudern des Honigs, das nun bald erfolgen kann. Getreide, Futter-, Gift-, Sumpf- und Wasserpflanzen werden gleichfalls im Garten gezogen, ebenso unsere heimischen Laub- und Nadelbäume. Eine Anzahl Nistkästchen beherbergt unsere heimischen Sänger und giebt dem Lehrer Gelegenheit, zum Vogelschutz anzuleiten. Der Friedenauer Schulgarten ist 2100 qm groß und soll – das ist der Plan seines Schöpfers, des Landrats Stubenrauch – allmählich ein Musterschulgarten für den Kreis Teltow werden. – Andere Staaten sind uns Deutschen auf diesem Gebiete weit voraus. In Oesterreich z. B. ist durch Gesetz bestimmt, daß jede Schule einen Schulgarten haben muß. In Böhmen hätte der Obstbau niemals einen solchen Aufschwung genommen, wenn man nicht die Lehrer mobil gemacht hätte, wenn

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 162. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0162.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2020)