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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Hause war Eugenie John schließlich doch nur die arme Malerstochter, die um der außerordentlichen Gunst willen, die ihr von der Fürstin zu teil geworden, sehr beneidet wurde. In Wien war sie das schöne Mädchen in der ersten Lebensblüte, die hoffnungsvolle Sängerin, deren Ausbildung eine souveräne deutsche Fürstin sich so viel kosten ließ. Das allein bewirkte schon eine starke Verschiebung in ihrer sozialen Stellung. Und welch ein Gegensatz zwischen der ängstlichen Art norddeutscher Kleinstädterinnen und dem lebensfreudig übersprudelnden Temperament der Wienerinnen! Vollends in jenen Jahren vor der Revolution, wo das Wiener Bürgertum mächtig emporstrebte und die Stadt der Gemütlichkeit in Musik schwelgte! Kein Wunder, daß Jenny schon nach wenigen Wochen das wienerische Nationallied des Vormärz anstimmte: „’s giebt nur a Kaiserstadt! ’s giebt nur a Wien!“

Sie war auf großen Umwegen im Herbst 1844 nach Wien gekommen. „Durch halb Böhmen sind wir gereist. In dem wunderschönen Marienbad, in Leipzig, Eger, Franzensbrunn (Franzensbad), überall haben wir uns aufgehalten, und in Linz sind wir gar vier Wochen geblieben.“ (Brief vom 8. November 1844 an die Eltern.) Die Dame, deren Schutz sie anvertraut war – „die Mutter der Marra“ nennt Eugenie sie in einem anderen Briefe, der Erinnerungen an ihre Ankunft in Wien enthält – „behandelte mich empörend lieblos, und so kam ich in Frau von Hubers Haus, und in mißtrauischer Angst fürchtend, die ‚befreundete‘ Dame, zu welcher die alte Baronin mich brachte, möge ihr ebenbürtig an Herzenskälte und Bosheit sein.“ Aber es kam ganz anders, und das war die erste große Ueberraschung. Diese Frau von Huber, Gattin eines höheren Wiener Hofbeamten, welcher die Amtswohnung im schönen Augarten innehatte, war eine prächtige, herzenswarme Frau, Mutter von mehreren Kindern, Knaben und Mädchen, die tüchtig schalten und walten konnte und im Schutze der angesehenen Stellung ihres Mannes ein fröhliches, sorgenloses Dasein führte. In wenig Tagen hatte Frau von Huber das Herz der mißtrauischen Arnstädterin gewonnen, die doch in Wahrheit so sehr nach Liebe dürstete. „Mit Inbrunst und Enthusiasmus“ schloß sich das Mädchen an ihre neue „Pflegemutter“ an. Die Freundschaft mit ihr und ihren Kindern – insbesondere der Tochter Leopoldine, späteren Frau von Nischer, Gattin des Polizeihofrats von Nischer – wurde fürs ganze Leben geschlossen.

Leider sind wir über Eugeniens Erlebnisse in diesen ersten zwei Jahren ihres Wiener Aufenthalts nur spärlich unterrichtet. Briefe aus jener Zeit haben sich bis auf zwei Ausnahmen nicht erhalten, und Aufzeichnungen darüber hat die Dichterin auch nicht hinterlassen. Wir wissen nur im allgemeinen, daß Eugenie unter dem Schutze der Frau von Huber in die besten Kreise der Wiener Gesellschaft eingeführt, mit maßgebenden Persönlichkeiten der Wiener Theater- und Musikwelt bekannt gemacht wurde, Theater, Konzerte, Bälle besuchte, den Sommer mit den Hubers in Laxenburg, dem romantischen kaiserlichen Schlosse nahe bei Wien, verbrachte und fleißig Singunterricht nahm. Der einzige Brief Eugeniens aus dieser Zeit wurde im Nachlasse der Frau von Huber gefunden und der Dichterin zurückgestellt; so hat er sich erhalten. Als Dokument aus dem „goldenen Zeitalter“ der Marlitt hat er seinen besonderen Wert, weil er uns den Ton, in dem Eugenie in Wien verkehrte, mit aller Unmittelbarkeit vergegenwärtigt. Er lautet:

„Freitag, am 9. Mai 1845.
Theuerstes Pflegemütterchen!

Wie sehr mich Ihr liebes, wenn auch kleines Briefchen erfreut hat, kann ich Ihnen nicht beschreiben. Sie versichern mich Ihrer herzlichen Liebe, welche Versicherung mich glücklich macht. Ich weiß es nicht, womit ich diese Gnade von Gott verdient habe, daß er mir so oft das Wohlwollen der besten, edelsten Menschen zu Theil werden läßt.

Wie ich mit Bedauern vernommen habe, so ist Ihr Augenübel hartnäckiger, als man früher geglaubt hat. Ich habe deswegen große Besorgnis und wünsche Nichts sehnlicher, als Sie, bestes Mütterchen, wieder in unserer Mitte zu haben, wo es Ihnen an treuer kindlicher Pflege gewiß nicht fehlen würde. – Auch ich war krank und habe, um einer ernsten Halsentzündung vorzubeugen, den Herrn von Müller holen lassen; es war ihm nicht unlieb, daß ich mich gleich seiner helfenden Hand anvertraut hatte, da Halsweh in jetziger Zeit gefährlicher ist; doch jetzt, Gott sei Dank, bin ich wieder gesund. Mein Appetit ist so unermeßlich groß, daß durch mich eine Hungersnoth in Wien zu befürchten ist. Sie fragen mich, ob ich noch keine neue Partie einstudire? Ich muß leider mit ,nein‘ antworten, da mir das Singen, des Halses wegen, untersagt wurde; ich werde aber nun mit erneutem Eifer meine Studien beginnen. An meine gute Fürstin habe ich geschrieben und zwar einen recht großen Brief. Ist es Ihnen recht? Von meinen guten Eltern, Geschwistern und sonstigen Verwandten bekam ich kürzlich einen Brief, worin vieles für mich Erfreuliches, aber auch Komisches stand. Z. B. sagt man in Arnstadt, ich debütire hier als eine Baronesse v. (den Namen hat der Vater vergessen) mit dem glänzendsten Erfolge. Ist das nicht zum Lachen? Ich und debütiren! Das wäre schön; ich glaube, ganz Wien liefe davon, sobald mein Brüllen erhallte. Uebrigens lassen sich die Meinigen Ihnen bestens empfehlen.

Etwas Neues: Marie H … hat den Hrn. K .… (gemeinsamen Gesangslehrer) fast kriechend um Lectionen für den Monat Mai gebeten und er hat sie bewilligt. Das ist Kesselflickerswaare! Man möchte vor Ekel an diesen charakterlosen Menschen sterben. –

Ich war neulich mit Frl. Lori (Tochter der Frau v. Huber) bei Lejars (Cirkus). Da habe ich aber Augen gemacht, so groß, daß mir der Sand hineingeflogen ist! Es war aber auch wirklich schön anzusehen! Nein, wahrhaftig, so etwas ist mir noch nicht vorgekommen. Sie können sich mein Erstaunen nicht denken, das ich über alle die Kunstsprünge äußerte. Ich bin wie im Taumel aus dem Cirkus gegangen und kann mich jetzt kaum davon erholen. Ja, ja, das hat man in Wien; man darf nur wohin blicken, da sieht man auch schon etwas Neues, Ueberraschendes. Ich habe mir vorgenommen, Ihnen diesmal recht viel zuschreiben; doch ich muß jetzt schließen; denn es ist Zeit, den Brief abzugeben. Wäre der italienische Lehrer nicht dazwischen gekommen, dem ich übrigens Ihre Grüße ausgerichtet habe, so wäre ich auch weiter gekommen. Ein anderes Mal mehr.

Mit aller Hochachtung bin ich Ihre Sie innig liebende  
Pflegetochter E. John. 

Ich fragte neulich den Franzi, was ich der Großmama schreiben sollte? Etwas von ihrem Rabunzel, war die Antwort.“

Auf demselben Blatt, auf der ersten Seite schrieb der Sohn der Frau v. Huber an seine Mutter und teilte u. a. von Eugenie mit: „Sie machte uns mit einem neuen Talent bekannt und wird Dich bei Deiner Rückkunft mit einer Galanterie-Buchbinderarbeit überraschen. Sie ist überhaupt so lieb und gut, daß ich sie wie eine Schwester liebe.“

In den Briefen nach Arnstadt wurde sie indessen nicht müde, zu betonen, daß sie ihren großen Zweck nicht aus den Augen verliere; die Erinnerung an die Not im Elternhause, die fortdauernd frisch erhalten wurde, war der dunkle Hintergrund ihrer Lebenslust in Wien. So schrieb sie am 7. Jan. 1845 den Eltern:

„Wie geht es diesen Winter mit der Arbeit, mit Miethe, Holz und Kleidung? Ich bitte Euch, schreibt mir darüber recht ausführlich, aber ja lauter Gutes. Geht es mir doch auch so wohl; warum (fragt sie ganz naiv) sollt es denn Euch dann schlechter gehen und ich einen Vorzug haben. Nun wartet nur, bald kömmt der Zeitpunkt, wo ich sagen kann, nun kommt Alle her; ich bin im Stande, für Euch und mich ehrlich und redlich zu sorgen; Noth und Kummer, die beiden fürchterlichen Gäste, die uns öfter heimsuchten, müssen erschreckt fliehen, und ein neues Leben, eine neue Welt thut sich uns Allen auf. Ich habe Gott sei Dank ein Recht, das Alles mit Gewißheit Euch versprechen zu können; denn Gott, unser gütiger Vater, hat mir ein fast seltenes Talent zur Bühne und zum Gesang verliehen, das jetzt immer glänzender hervortritt. Meine Lehrer haben die besten Hoffnungen und ich gründe all’ mein Streben darauf. Theilt aber dies Niemand mit, man möchte mich für anmaßend und arrogant halten.“

Ach, es sollte noch lange dauern, bis Eugenie dieses Ideal ihrer Jugend, „für Alle ehrlich und redlich zu sorgen“, erfüllen konnte! Und in einer Form, die sie zu der Zeit, als sie diesen Brief schrieb, sich nicht einmal im Traume einfallen ließ. Vorerst mußte sie ihre Erfahrungen mit der Bühne machen, die sie so schwer enttäuschen sollten.

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