Seite:Die Gartenlaube (1899) 0119.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

so viel Geduld, und das ist doch nett von ihm, nicht? Denn sie können doch nichts dafür, daß sie dumm sind!“

Das fand ich nun allerdings auch recht hübsch von dem Lehrer, jedoch wurde hier die Unterhaltung durch die Zwillinge in andere Bahnen gelenkt, und bald hatten wir auch den Teich erreicht.

Es war ein kleines, schweigsames Gewässer mitten im flachen Wiesenlande, rings am Rande bis ziemlich weit in das Wasser hinein umwachsen mit Schilf und wunderschönen Wasserblumen, von denen hier vom Frühling bis zum Herbst immer irgend eine Art blühte, vom bescheidenen Vergißmeinnicht und der Sumpfprimel bis zur poetischen Wasserrose und farbenprächtigen Iris, und für Käfer, Schmetterlinge und Libellen jeder Gattung schien der Ort ein wahres Paradies zu sein. Zwar war es nun schon etwas spät im Jahre, wir hatten aber doch mit kundigem Blick schnell einige große, prächtige Blumen erspäht, die gerade das waren, was Lotte für ihre Vasen brauchte. Nur schade, sie standen gar zu weit vom Rand entfernt!

Vergebens streckten die Kinder ihre kurzen Arme danach; es war ihnen nicht möglich, auch nur eine einzige zu erfassen.

„Laßt, Kinder, ihr fallt ins Wasser!“ wehrte ich erschrocken, „wenn eines sie erreichen kann, bin ich es. Ihr geht beiseite, Anne und Mite, du, Fritz, fassest mich bei der Hand, damit ich nicht gleite. Bleibe aber recht fest stehen, rühre dich nicht – so!“ Und behutsam setzte ich meinen derb beschuhten Fuß auf den Uferrand, mich vorsichtig und langsam vorbeugend, indem ich tastend die Hand ausstreckte.

Da – nun hatte ich sie – fast! – nur ein Zoll noch! Ich streckte die Hand noch ein wenig weiter, ich faßte die erste Blume – da wich der nasse, schlüpfrige Uferboden unter meinen Füßen, und ich glitt in das Wasser hinab. Die Kinder kreischten auf, Fritz ließ im ersten Schreck meine Hand fahren, und das war gut, denn ich war viel zu schwer und glitt viel zu schnell, als daß der Junge mich hätte halten können. Ich hätte ihn höchstens mit hinabgezogen.

Das Wasser war nicht tief – ertrinken hätte ich nur können, wenn ich vornüber gestürzt wäre, was ich nicht that – aber es war sehr kalt und keineswegs ganz rein; auch wußte ich, daß Frösche darin waren, und immerhin ging es mir doch da, wo ich nun stand, bis unter die Arme, und ich versuchte vergebens, mich an dem weichen, bröckeligen Ufer wieder in die Höhe zu arbeiten, wagte auch nicht, die Hilfe der Kinder in Anspruch zu nehmen.

„Hilfe! – Hil–feee! – Hilfe!“ Ich weiß nicht, schrie ich es, oder schrieen es die Kinder, oder stimmten wir alle vier zugleich ein, aber gerufen wurde es sicherlich, und zwar nicht leise.

„Hilfe!“

„Ja, ja, ich komme schon,“ antwortete eine männliche Stimme erst aus einiger Entfernung und gleich darauf ganz nahe, und dann kam jemand mit langen Schritten über die Wiese, eine feste Hand faßte meine flehend ausgestreckte Rechte, eine zweite packte mich kräftig am linken Arm – ein Ruck, ein Schwung, und ich stand, aus meiner Nixenrolle erlöst, wieder auf trockenem Lande, triefend von Wasser, noch zitternd vor Schreck.

„Ich danke Ihnen, o, ich danke Ihnen, mein Herr,“ sagte ich, mir mit der nassen Hand das Haar aus dem Gesicht streichend, und dann mein nasses Taschentuch aus der nassen Tasche ziehend, um mir die Hände „abzutrocknen“, damit ich ihm eine derselben zum Danke reichen könnte. Dabei sah ich ihn scheu an. Ich schämte mich entsetzlich, wie ich so dastand. Er war jung, blond und hübsch.

„Verlieren Sie mit dem Danken keine Zeit, mein Fräulein,“ sagte er mit einem gutmütigen Lachen, „das bißchen Hilfe ist herzlich gern geleistet, und wenn Sie hier stehen, erkälten Sie sich. Eilen Sie lieber, nach Hause zu kommen. Wenn ich Ihnen meine Begleitung anbieten darf –“

„O nein, nein,“ wehrte ich ab, „mir fehlt ja nichts, ich bin nur naß. Aber – “

Er nickte. Es mochte ihm begreiflich sein, daß mir in meinem jetzigen Zustand Herrenbegleitung nicht angenehm sein könnte.

„Wenn ich Ihnen dann raten darf, so gehen Sie, so schnell es Ihre nassen Kleider erlauben, nach Hause,“ sagte er, zog den Hut und wollte gehen, wandte sich aber dann wieder um und fügte hinzu: „Lauf voraus, Junge, bringe Bescheid, damit man zu Hause bei der jungen Dame nicht erschrickt, wenn sie so ankommt,“ worauf er dann noch einmal höflich grüßte und wirklich ging.

„Ja, lauf, Fritz, lauf geschwind, damit Mutter keinen Schreck bekommt,“ wiederholte ich, und schon trabte Fritz pflichteifrig davon, ganz erfüllt von dem großen Bewußtsein, ein unerhörtes Ereignis brühwarm melden zu können.

Die Zwillinge und ich, wir trabten auch, so gut es ging; aber beschwerlich war es in den nassen Gewändern, die sich mir fest und fester um die Glieder legten, jede Bewegung hemmend, und als ich endlich ganz erschöpft in der Pfarre ankam, da hatte Lotte, die gute Seele, schon ein gewärmtes Bett, heißen Thee und wollene Decken bereit, um mir mit diesem ganzen Apparat schleunigst den inneren und äußeren Menschen wieder zu erwärmen. Sie vergaß sogar, mir eine Strafrede zu halten, die sie nach ihren pädagogischen Gewohnheiten wohl eigentlich bei dieser Gelegenheit hätte anbringen sollen und die ich auch ehrlich verdient gehabt hätte, vielmehr war sie ganz Liebe und schwesterliche Fürsorge.

Als ich nach kurzer Frist wohlverpackt in meinem guten Bette lag und Thee trank, fiel mir plötzlich etwas Schreckliches ein. Ich hatte ja meinem Retter gar nicht genügend gedankt, und nun wußte ich nicht einmal, wie er hieß, konnte also das Versäumte auch nicht nachholen.

Als ich jedoch hierüber in reuevolle Klagen ausbrach, beruhigte Lotte mich sofort. „Liebste, das weiß ich, darum mache dir nur keine Sorgen! Fritz erzählte mir gleich, es sei der junge Lehrer gewesen, der jetzt zur Stellvertretung für Dr. Boie hier ist. Ich weiß ja auch nicht, wie er heißt, er ist erst seit vierzehn Tagen hier und hat keinen Besuch gemacht, aber Fritz weiß es natürlich. Habe deswegen nur gar keine Angst. Mein Mann wird zu ihm hingehen und wir werden ihn nächstens einladen, und es wird alles in Ordnung kommen. An Dank soll es nicht fehlen, wenn wir nur mit dem Schreck davonkommen und du uns nicht krank wirst!“

Ja, wir kamen mit dem Schreck davon. Als ich meinen Thee getrunken hatte, deckte Lotte mich gut zu, ich schlief bis zum andern Morgen und wachte gesund und frisch wieder auf; nicht einmal einen Schnupfen hatte ich davongetragen, und es lag gar kein Grund vor, weshalb ich nicht als Balltante mit auf das Kinderfest gehen und die Pfarrjugend ihre leider noch sehr mangelhaften Tanzkünste ausführen sehen sollte.

Es war ein hübsches Gartenfest. Die Kinder tanzten in einem lustig geschmückten Zelt; die Schüler der oberen Klassen hatten Erlaubnis, bis zu den späteren Abendstunden zu verweilen, und gegen das Ende des Festes, um die Zeit des Cotillons herum, oder auch etwas früher, schlossen sich die übrigen Erwachsenen, so ziemlich alles aus der Gesellschaft, was noch nicht ganz alterssteif war, an. Nachmittags gingen wir „alten Leute“ im Garten umher oder sahen dem Tanze der Kinder zu.

Ich hatte mich bald mit ein paar guten Bekannten zusammengefunden, und wir lustwandelten unter den großen alten Bäumen, da sah ich meinen Schwager mit einem hübschen, blonden jungen Herrn auf uns zukommen. „Minnie!“ rief er schon von ferne in seiner ungenierten Weise, „bitte, bleibe mal stehen!“

Ich that es, und nun erkannte ich in dem Fremden ohne Mühe meinen Lebensretter von gestern. Er lächelte ein bißchen schalkhaft, als er mir vorgestellt wurde und mich fragte, wie mir das unfreiwillige Bad bekommen sei, und sah mich einen Augenblick von der Seite an mit einem Blick, den ich mir durchaus nicht zu deuten wußte. Seinen Namen verstand ich natürlich nicht. Es scheint ja nicht zum guten Ton zu gehören, Namen bei Vorstellungen verständlich auszusprechen, aber darauf kam es hier ja auch weniger an. Die Hauptsache war, daß ich meinem Retter jetzt gründlich danken konnte, was ich denn auch mit einiger Verlegenheit, aber aus aufrichtigem Herzen heraus that, während er es dagegen möglichst abzukürzen suchte. Und da meine Freundinnen, die ganz unbeachtet blieben, sich ungnädig entfernt hatten, so gingen wir, mein Schwager Paul, mein Lebensretter und ich miteinander weiter und kamen in ein recht lebhaftes Gespräch.

Und war es nun, weil er mir doch sozusagen das Leben gerettet hatte – denn allerschlimmsten Falles hätte ich ja doch immerhin ertrinken können, wenn es auch einige Mühe gekostet haben würde – oder kam es daher, weil er so hübsche gute Augen hatte, oder gefiel mir seine Stimme, oder sagte mir seine natürliche Art sich zu unterhalten zu, oder las ich etwas in seinem Gesichte, woraus ich schloß, daß ich ihm nicht mißfiele, oder war es vielleicht dieses alles miteinander – genug, als sich endlich Retter und Gerettete zum Abschied freundlich die Hand gaben, da ging ich meiner

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0119.jpg&oldid=- (Version vom 9.5.2020)