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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

in alle Glieder gefahren war. Ohne das verwunderte Gesicht der Jungfer Köchin zu sehen, stolperte er zur Thüre hinaus und rannte mit langen Sprüngen über das Almfeld hinunter. Als er den Stall erreichte, blieb er stehen und faßte sich bei der Joppe, als müßte er sich selbst Vernunft einreden: „Nimm dich z’samm’, Pepperl! Denn grob darfst nimmer werden! Sei du der G’scheiter’!“

Lautlosen Schrittes bog er um die Ecke der Sennhütte, und da hörte er schon aus der Almstube die beiden Stimmen. Ein so gerader und ehrlicher Bursch er auch war, der alle Heimlichkeiten haßte … jetzt konnte er sich’s doch nicht versagen, ein wenig zu lauschen. Auf den Fußspitzen schlich er an der Mauer hin und guckte durch eines der kleinen Rauchlöcher, welche die Wand durchbrachen – –

Da drinnen saß der Kammerdiener in seiner schwarzen, tadellosen Gala und mit glänzend frisiertem Scheitel am Tisch, hielt in vornehmer Nonchalance die Beine mit den Schnallenschuhen übereinander geschlagen und schmauchte eine Cigarette seines Herrn. Aber seinen hoch aufgezogenen Brauen war es anzumerken, daß er mit dem Ergebnis des vorausgegangenen Gespräches nicht sonderlich zufrieden war.

Ein paar Schritte vor ihm stand die Sennerin am Herd und rührte in dem großen Kupferkessel, der über dem flackernden Feuer hing, den „Molken“ um. Das hübsche Gesicht des Mädchens brannte – und das schien nicht nur von der Hitze des Feuers zu kommen, denn eine Furche des Unwillens lag zwischen ihren Brauen.

„Nun?“ fragte Martin nach einer Weile. „Warum so schweigsam, schönes Kind? Soll ich gar keine Antwort bekommen?“

Es schien kein freundliches Wort zu sein, das dem Mädchen auf der Zunge lag. Schon wollte sie sprechen – aber da hörte sie mit ihrem feinen Ohr ein leises Rascheln an der Mauer und schaute lauschend auf. Wohl hörte sie kein weiteres Geräusch mehr, alles war still da draußen – aber merkwürdig war es doch, daß an einem der Rauchlöcher die Sonnenhelle, welche durch die Oeffnung geleuchtet hatte, plötzlich verschwunden war.

Ein spöttisches und feindseliges Lächeln zuckte um Burgis Lippen. Aber dieses böse Lächeln löste sich in lustiges Schmunzeln auf, und während sie mit blitzenden Augen über die Schulter zu Martin hinüberguckte, sagte sie zögernd, als müßte sie sich auf jedes Wort besinnen: „Ja … wissen S’ … mit Ihnen hat ein Madl ein hart’s Reden! Sie sind so ein städtischer Pfiffikus, der ein’ gleich beim Hackerl hat! Da muß man Obacht geben auf jedes Wörtl. Sie sind ein bißl ein G’riebener, scheint mir … wenn S’ mir auch sonst net gar so übel g’fallen thäten, ja!“ Diese letzten Worte sagte sie mit auffallend lauter Stimme.

Martin schien diese jähe Schwenkung im Verhalten des Mädchens mit angenehmer Ueberraschung zu bemerken und gab seiner Antwort einen Herzton von fast überzeugender Ehrlichkeit: „Aber ich bitt’ Sie, mein liebes Kind, einen aufrichtigeren Menschen als ich bin, giebt es ja gar nicht mehr. Wenn ich Ihnen etwas sage, so können Sie sich drauf verlassen, daß es so ist!“

„No, wissen S’, gar so viel glauben thu’ ich Ihnen doch net!“ Burgi lachte. „Aber da mach’ ich mit Ihnen gar kein’ Ausnahm’! Die Mannsbilder alle miteinander sind Lugenschüppel … und schon gar, wenn s’ zu ei’m Madl von der Lieb’ reden. Da sind unsere Burschen im Ort draußen auch net anders als die nobligen Herrn aus der Stadt. Und erst die Jager! O du mein lieber Herrgott! Eh’ so einer ’s Maul aufmacht, hat er schon dreimal g’logen. Schauen S’ den Pepperl an, der sich neulich auf d’ Nacht so fein gegen Ihnen benommen hat … das is schon gar der Aergste! Z’widerer, wie mir der is, kann mir net leicht einer sein!“

„Na, hören Sie, mein liebes Kind, Sie werden mich doch nicht mit solch einem ungebildeten Lümmel vergleichen wollen?“

„Aber Gott bewahr’! Na, na! So viel Augen hab’ ich schon, daß ich ein’ Unterschied merk’.“

„Das ist nett von Ihnen, daß Sie mir das so aufrichtig sagen. Und eine Aufrichtigkeit für die andere … so gut wie Sie, liebe Burgi, hat mir in meinem ganzen Leben noch kein Mädel gefallen! Sie haben so was Heiteres, Gesundes, Frisches und Herziges …“

„Gehen S’ weiter, Sie süßer Schmalger, Sie!“ erwiderte die Sennerin lachend, aber sie wurde dabei doch rot bis über die Ohren, als hätte dieses schmeichelnde Bekenntnis nicht völlig wirkungslos an das verschlossene Thürchen ihres Mädchenherzens gepocht.

„Und das dürfen Sie mir auch glauben, daß ich in meinem Leben noch nie einem Mädel so was gesagt habe!“ sprach Martin, welcher seinen Vorteil zu erkennen glaubte, mit warm werdendem Eifer weiter. „Wahrhaftigen Gott, ich habe mich nie besonders viel um die Frauenzimmer gekümmert. Mein Dienst und mein Herr, das war für mich immer das Höchste … in einer so wichtigen Stellung, wie ich sie bekleide, hat man keine Zeit für Dummheiten übrig!“

„Dummheiten?“ wiederholte Burgi und blickte nachdenklich in den brodelnden Kessel. „No, wissen S’, gar so was Dummes kann d’ Lieb’ ja doch net sein!“

„Jaaa! Wenn es die richtige Liebe ist! Treu, aufrichtig und ehrenhaft! Das ließ’ ich mir auch gefallen. Aber so, wie sich das in der Stadt gewöhnlich macht … nein, dafür dank’ ich! Denn das kann ich Ihnen sagen … wenn ich wollen hätte … an jedem Finger hätt’ ich eine haben können!“

Burgi musterte den feinen Herrn mit prüfendem Blick und sagte: „No ja, das glaub’ ich gern, daß einer wie Sie sein Glück bei die Madln machen könnt’. Denn ein fürnehms und ein nobligs Mannsbild sind S’ schon, ja, das muß ich sagen! So nobel wie Sie geht net einmal der Herr Fürst umeinander. Ja, Sie, das hab’ ich mir schon die ganzen Tag’ her alleweil denkt … das thut doch net leicht ein Mensch, daß er sei’m Dienstboten ’s bessere G’wand zum Tragen giebt, und er selber tragt ein g’ringers. Der Herr Fürst, der muß Ihnen schon arg gern haben!“

„Er weiß aber auch, was er an mir hat!“ sagte Martin, über das naive Mißverständnis des Mädchens mit heiterem Lächeln hinübergleitend. „Und wenn es einmal an der Zeit ist, wird er mir auch für meine treuen Dienste in entsprechender Weise danken!“

Er blies eine Rauchwolke vor sich hin, lehnte sich behaglich zurück und trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. „Ich bin ja mit meiner jetzigen Stellung ganz zufrieden, aber … mit der Zeit will man doch auch einmal daran denken, sich etwas selbständiger zu machen und eine Familie zu gründen.“

„Familli gründen?“ Dieses Bild schien für Burgi eine Nuß zu sein, die man erst knacken mußte, um auf den Kern zu kommen. „Ah so! Heiraten, meinen S’?“ Und sie hatte wohl einen ganz besonderen Respekt vor diesem Wort: „Heiraten!“ Das verriet die ehrfürchtige Breite, mit der sie es aussprach.

„Heiraten! Ja!“ Martin schmunzelte. „Es ist nicht gut, wenn der Mensch immer allein bleibt … das steht schon in der Heiligen Schrift.“

„Das is ein fromms und gottg’fälligs Wörtl, ja!“

„Und wenn ich einmal das Frauerl gefunden habe, das mir gefällt, dann brauch’ ich nur mit meinem Herrn zu sprechen. Da kann ich mir auf seinem Gut einen Posten als Schloßverwalter oder Inspektor aussuchen, wie es mir gerade paßt! Aaah, meine Frau, die wird’s einmal gut haben! Denken Sie nur, liebe Burgi … Licht, Holz und Wohnung, alles frei … und dazu einen Gehalt von drei- bis viertausend Gulden im Jahr!“

„Was! Vier – tausend – Gulden! Mar’ und Josef! Is das ein Geld!“ Burgi schlug vor Staunen die Hände zusammen und machte Augen, als wäre Martin plötzlich für sie ein anderer Mensch geworden – einer, den man ernst nehmen und mit Achtung behandeln mußte. Und in ihrem Staunen vergaß sie völlig jenes kleine Rauchloch, in dem die Sonne erloschen war. „Vier – tausend – Gulden! Mehr hat ja bei uns in Tirol kein Bischof! Sie, Herr Martin, da können S’ Ihnen freilich ein feines Stadtfräul’n aussuchen!“

„Na, wissen Sie, mit denen aus der Stadt …“ Martin schüttelte den Kopf und schnellte die Asche von der Cigarette. „Ich hab’ mir immer was anderes gedacht. So was Urwüchsiges und Unverdorbenes … das wär’ so mein Geschmack! Und dann … in einem unbewohnten Schloß die Zimmer lüften oder auf den Feldern hinter den Arbeitern her sein, das paßt mir auch nicht recht.“

„Um Gotts willen, Herr Martin, Sie werden doch die viertausend Gulden net auslassen!“

„Wenn ich mir aber was Besseres wüßte?“

Noch was Bessers? Gehen S’ weiter, das kann ich aber doch net glauben! Das giebt’s ja gar net!“

„Wer weiß!“ Martin lächelte geheimnisvoll. „Und … wenn Sie mir versprechen, daß Sie nichts weiterschwatzen … dann sag’ ich Ihnen etwas.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0103.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)