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genannt wurde. Beide Tänze wurden durch die Stürme der Revolution hinweggefegt. Sie erinnerten durch ihre Herkunft wie ihre Geschichte zu lebhaft an das verhaßte Königtum.

Napoleon I suchte wenigstens die Gavotte wieder einzuführen. Jedoch die verhältnismäßig kurze Zeit, da man sie nicht getanzt, hatte schon genügt, sie in Vergessenheit zu bringen. Die Gesellschaft am Hofe des ersten Kaiserreiches besaß nicht die große Uebung, die nötig war, um einem so schwierigen Tanz auch nur annähernd gerecht zu werden. Das Menuett feierte bekanntlich erst jüngst seine Auferstehung in Berlin auf den Hofbällen. Die Gavotte aber harrt noch immer, daß ein gleich günstiges Geschick ihr gleichfalls die Stellung zurückgiebt, welche ihr mit nicht minderem Rechte gebührt.


Menuett.
(XVIII. Jahrhundert.)

Einer kaum geringeren Beliebtheit erfreute sich die Sarabande, ein Tanz, dessen Heimat Spanien ist und der sowohl in Rhythmus wie auch in Schrittweise durchaus an einen südlichen Ursprung gemahnt. Czerwinski verlegt die Zeit seiner Entstehung in das Jahr 1588. Ein wilder, unbändiger Charakter haftete der Sarabande in der That an; später wurde derselbe außerdem noch unsittlich und zügellos. Das verhinderte jedoch keineswegs ihre Verbreitung, und einige Jahrzehnte, nachdem sie in die Geschichte getreten, wird sie bereits über die Grenzen Spaniens hinaus überall getanzt. Die Sittenrichter jener Zeit fällen ein überaus hartes Urteil über die Sarabande; man warf ihr vor, daß sie noch mehr Unheil angerichtet habe als der schwarze Tod mit allen seinen Schrecken. So gelangte sie auch nach Frankreich, wo sie trotz dieser wenig geziemenden Eigenschaften sofort den Tänzen des Hofes angereiht wurde. Sie wurde der Lieblingstanz Frankreichs und drang von dort aus nach Wien, an die deutschen Fürstenhöfe und vor allem in die Niederlande. Die nahe Beziehung zu Gavotte und Menuett, diesen beiden wichtigsten Schöpfungen der gleichzeitigen Tanzkunst, konnte denn auch nicht ohne bessernden Einfluß auf die Sarabande bleiben. So streifte sie denn allmählich das anstößige Wesen ab, behielt aber den frischen, temperamentvollen Charakter. Nachgerade wurde dieser sogar edel und ernst, voll Würde und Majestät, und es hat Choreographen gegeben, welche ihr nach dieser Umgestaltung sogar den Vorrang vor Gavotte und Menuett einräumten. Als vorzüglichste Sarabandetänzerin galt Rinon de l’Enclos. Ganz Paris schwärmte für diese ebenso schöne wie geistvolle Courtisane, als sie sich im Jahre 1603 dazu verstand, öffentlich die Sarabande aufzuführen. Mit Ernst und Hoheit zeichnete sie die Figuren auf den Fußboden, die Castagnetten in den schönen Händen, während sich der Körper elastisch im langsamen Dreivierteltakt hob und senkte, vorwärts neigte oder eine Drehung vollführte. Wie die Choreographen jener Zeit überhaupt bestrebt waren, jedem Tanz einen bestimmten Charakter beizumessen, so wollten sie in dieser Sarabande in ihrer veredelten Form die mimisch dargestellte Ehrsucht erblicken. Auch auf der Bühne, in den Balletten, die zur Belustigung des französischen Hofes und seiner Gesellschaft aufgeführt wurden, durfte die Sarabande niemals fehlen.


Sarabande in holländischer Form
(Anfang des XVIII. Jahrhunderts.)

Zumal Pécour, gleichfalls einer der großen Tanzkünstler dieser Epoche, wurde wegen der Meisterschaft bewundert, mit welcher er die Sarabande zu interpretieren verstand. Er trug dabei eine mächtige Allongeperücke, deren Mehlstaub auf ihn bei jedem lebhafteren Pas wie feiner Regen herniederrieselte und ihn für den Augenblick mit einer Wolke umhüllte. In dem Bestreben der französischen Tanzgelehrten, der von ihnen geradezu verhätschelten Sarabande stets mehr Grandezza und Pomp aufzupfropfen, fing diese allmählich an, zu verknöchern. Sie wurde manieriert und langweilig.

Viel gefälliger nahm sich die Form aus, in welcher dieser Tanz sich bei andern Völkern erhielt. In Deutschland ließ man ihm vorwiegend die Würde und den Ernst, die ihm auf dem Wege über Frankreich eingeimpft worden waren. Heiterer nahm sich der Tanz in den Niederlanden aus, wo er gleichfalls zum festen Bestandteil in den Belustigungen sämtlicher Volksschichten wurde. Man tanzte die Sarabande überall, zu jeder Zeit, mit einer Gewandtheit und einem Eifer, die kaum noch der Steigerung fähig waren. Unser Bild zeigt eine Darstellung der Sarabande in der Form, wie sie sich im XVIII. Jahrhundert in den Niederlanden herausgebildet hatte.

Während man sich noch bei Hofe, die Damen im Reifrock, die Herren unter einem Ungeheuer von Perücke, in der Schrittweise der Sarabande abmühte, belustigte sich das Volk bereits an einem neuen Tanze. Er war aus England gekommen, wo er als „Countrydance“, also ländlicher Tanz, gleichfalls hauptsächlich die Belustigung weiterer Volksschichten bildete. Das Tempo war schnell, der Schritt hüpfend, im vollkommenen Gegensatz zu den Tänzen, die damals die Gunst der Mode genossen. Allein vielleicht gerade deshalb fand man ein solches Gefallen an dem englischen Fremdling. Man war eben der Grazie und Grandezza, die so oft in Manieriertheit und Langweile ausarteten, müde geworden; man sehnte sich nach frischem pulsierenden Leben, nach Bewegungen, die der Natur abgelauscht waren. Der erste Kontertanz soll im Jahre 1710 zu Paris aufgeführt worden sein.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0095.jpg&oldid=- (Version vom 13.8.2023)