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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Hinter den Tannen, aus dem Busch hervor, tönt seltsamer Sang. Dort steht im Dunkel verborgen ein Zelt, in dem allerhand orientalisches Volk sein Wesen treibt. Hier murmeln die Fremden ihre eintönigen Lieder, während ein altes Weib aus den Linien der Hand weissagt und schwarzäugige Dirnen fremdartige Tänze tanzen.

Eingangsflur des Berliner Künstlerhauses.
Nach einer Photographie von Zander und Labisch in Berlin.

Auch ein indischer Gaukler fehlt unter ihnen nicht. Während wir staunend dastehen, schmettern Fanfaren und Musik. Es ist Zeit, zum großen Festsaal hinauf zu eilen. Hier unter den bunten Bannern und Wimpeln, die den Raum schmücken, steht die Menge schon dicht gedrängt. Kaum daß man durch die hohen gotischen Fenster einen Blick in das Rheinthal werfen kann, das an den Wänden in täuschender Malerei dem Auge erscheint. Rechts ist die Bühne zur Minneburg umgewandelt, mit Mauer und Thor. Liebliche Frauen und Mädchen, Rosen im Haar, grüßen von der Zinne herab. Aber das Thor ist geschlossen. Der Zugang zu ihnen ist verwehrt. Die Idee des Festspiels, das nun folgt, ist die Erstürmung der Minneburg durch Junker Mai und seine Mannen. Dies Spiel ist nicht frei erfunden, sondern war während des Mittelalters im Volke heimisch und wurde in Stadt und Dorf an jedem ersten Maien aufgeführt. Die Regie des Malers Pape hat es prächtig und stilgerecht neu erstehen lassen.

Schon hat der Landgraf (Professor Eschke) mit seiner erlauchten Gemahlin auf den für sie bereit gestellten goldenen Stühlen Platz genommen, und jetzt naht unter Vorantritt der Spielleute, mit kriegerischer Musik, mit Hallo und Holla die Schar der eisengepanzerten Ritter, die trotzig ihre Schwerter aneinander schlagen.

Ihnen folgt unter dem Maienbaum, der jungen Birke, Junker Mai selbst (Maler Storch), begleitet von seinen Leuten. Er fordert Einlaß in die Burg, aber Frau Minne (Fräulein Vickers) erscheint mit dem neckischen kleinen Liebesgott auf der höchsten Warte und weigert den Einlaß. Zunächst versucht’s der Junker diplomatisch. Während sich die Ritter im Kreise lagern, entspinnt sich ein wunderhübscher Dialog zwischen ihm und der reizenden Frau Minne, den Julius Lohmeyer in zierliche Verse gebracht hat. Der Junker sucht sich angenehm zu machen und stellt seine Vorzüge ins beste Licht:

Fahrendes Volk.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0081.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)