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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

grünes Kränzlein war. Die Erscheinung dieser heiligen Frau, die auf den betenden Mann so friedlich und erlösend wirkte, schien zwei abenteuerliche Spukgestalten in entsetzte Flucht zu jagen: eine üppige Teufelin und einen schmerbäuchigen Faun, der ein Schwein am Stricklein führte und einen Kranz von Würsten um den Leib geschlungen trug. Die beiden Unholde schnitten in ihrem Schreck so drollige Gesichter und waren mit so heiterer Laune karikiert, daß Ettingen lachen mußte.

„Ein köstlicher Scherz!“ sagte er. „Und der Humor dieses Bildchens wirkt auf mich, obwohl ich das Wunder, das hier verherrlicht ist, nicht recht verstehe. Darf ich wissen, was es bedeutet? Aber richtig, da steht ja auch eine Inschrift! Und gar eine lateinische!“ Er übersetzte: „Ich bete dich an und singe mein Lob dir, göttliche Mutter Natur, deren schönes Wunder mich erlöste aus den Klauen der Teufel, die da heißen: Unverstand des Pöbels und eitle Thorheit der Menschen! Mein Leben soll dir, o heilige Mutter, zum Danke geopfert sein wie ein Lämmlein mit schneeigem Fell, und meine Kunst, die vor die Säue geworfen war, soll einsam und sorglos blühen zu deinen Füßen, frei und schön, wie eine Blume deiner Berge!“

Der Klang seiner Stimme war ernst geworden, denn die seltsame Inschrift ließ ihn vermuten, daß hinter dem Scherz dieser Farben sich ein tiefes Weh verbarg. Und als er aufblickte, sah er, daß die Augen des Mädchens in Thränen schwammen.

„Fräulein?“

Sie wandte sich schweigend ab, als hätte sein Lachen und seine Frage in ihrer Seele ein Heiliges berührt, das sie dem Fremden nicht preisgeben wollte. Und als möchte sie auch ihre Bewegung vor ihm verbergen, ergriff sie die Gießkanne, um sie in die Hütte zu tragen.

Aber Ettingen vertrat ihr mit raschen Schritten den Weg. „Nein, Fräulein, so dürfen Sie nicht gehen! Mag ich für Sie auch ein Fremder sein, an den Sie schon morgen nicht mehr denken … aber ich habe hier eine so schöne Stunde verlebt, daß ich es mir nie verzeihen könnte, wenn ich Ihnen Ursache zu einer Verstimmung gegeben hätte. Ich fühl’ es, daß ich Sie durch meine Neugier und durch mein Lachen verletzt habe! Aber ich wußte nicht, daß ich es that! Seien Sie mir nicht böse!“

Da reichte sie ihm die Hand und lächelte, während ihre Augen noch in feuchtem Glanze schimmerten. „Ich bin Ihnen nicht böse, gewiß nicht! Dazu hätt’ ich doch gar kein Recht. Und Sie konnten ja wirklich nicht wissen, daß Ihr Lachen mir wehthat. Das Bildchen dort muß doch auch so heiter auf jeden wirken, der nicht weiß, was es bedeutet und wie es entstand. Ehe mein Vater das lustige Ding da malen konnte, mußte er alle Enttäuschung seines Lebens überwinden. Und als er das Bildchen dort an den Baum hängte, das bedeutete für ihn, daß er jede Hoffnung begrub und für immer darauf verzichtete, für sein Talent die Anerkennung der Welt zu gewinnen. Aber deshalb dürfen Sie nicht glauben, daß ihm der Mut oder die rechte Kraft gefehlt hätte …“

„Nein, liebes Fräulein, nein, das thu’ ich auch nicht, gewiß nicht! Was ich hier sehe und was ich von Ihnen hörte, läßt mich ja vom Wesen Ihres Vaters so manchen Zug erraten. Er muß als Mensch und als Künstler geliebt und gesucht haben, was weit abseits von der Heerstraße und ihren ausgefahrenen Geleisen liegt. Aber alles Ungewöhnliche begegnet so leicht dem Mißverstand. Und ich kann mir denken, daß eine feinbesaitete, stolze Künstlernatur auf die Dauer des nutzlosen Kampfes müde wird und der Welt verbittert den Rücken wendet.“

Sie atmete auf und nickte. „Ja! Das war es! Sein Stolz war zu tief verwundet! Kunst, das war für ihn nur das Große, Reine und Schöne. Auch das Wahre! Aber er hatte Augen, denen alle Dinge anders erschienen, als sie sonst den Menschen erscheinen. Da malte er nun alles, wie er es sah, nicht so, wie es die Leute sehen wollten. Und dann verstanden sie ihn nicht und …“ es zuckte wie Schmerz um ihre Lippen, „und lachten über ihn! Das war es, was er nicht ertrug … dieses Lachen immer! Das hat seinen Mut gebrochen … aber nur den Mut des Künstlers … als Mensch ist er ein fester und ganzer Mann gewesen! Das hat er bewiesen, als er starb!“

„Sie haben Ihren Vater verloren?“

„Verloren?“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein! Was man zu tiefst in seinem Herzen besitzt, was mit uns verbunden ist in jedem Gedanken und Gefühl … das kann man nicht verlieren. Er starb … und das ist doch nur ein Wort, das den Ueberlebenden wehthut … mehr ist es nicht!“

Vom nahen Latschenfeld ließ sich das Klirren eines Bergstockes und der Hall schwerer Tritte hören.

Sie blickte auf, und wie erwachend fuhr sie mit der Hand über die Stirne.

„Ich muß gehen … verzeihen Sie … aber dort unten wartet meine Arbeit.“

Er meinte ihr nachzufühlen, weshalb sie diesen raschen Abschied nahm. Sie sah den Jäger kommen und wollte wohl jetzt nach allem, was sie gesprochen hatte, nicht von alltäglichen Dingen reden oder das lustige Geschwätz des Jägers hören. Deshalb machte er keinen Versuch, sie zurückzuhalten.

Mit stummem Gruß wollte sie gehen. Aber da reichte sie ihm plötzlich die Hand, sah mit feuchten Augen zu ihm auf und sagte: „Ich danke Ihnen.“

Das kam so überraschend für ihn, und der Klang ihrer Stimme berührte ihn so seltsam, daß er im ersten Augenblick nicht wußte, was er sagen sollte.

Da löste sie auch ihre Hand schon wieder aus der seinen und ging in die Hütte. Als sie nach kurzer Weile wieder ins Freie trat, hatte sie einen grob geflochtenen Basthut aufgenommen, dessen breite Krempe ihr Gesicht überschattete. Sie versperrte die Thür der Hütte, und ehe sie den Garten verließ, nickte sie noch einen Gruß zu Ettingen hinüber. Während sie dann langsamen Schrittes zwischen den Büschen gegen den See hinunterstieg, kam Praxmaler von der anderen Seite auf den Garten zugegangen.

Ettingen war an den Zaun getreten und blickte dem Mädchen nach. Er fühlte sich von dieser Begegnung im Innersten ergriffen, und die Gedanken schwirrten in ihm durcheinander, wie über den Blumen die wilden Bienen. Was hatte ihn nur so sehr bewegt? Der stille, schöne Reiz dieses Ortes? Oder die Erscheinung dieses Mädchens, ihre freie, ruhige Art, sich zu geben und zu sprechen? Oder der Einblick, den er in das seltsame Leben und Schicksal ihres Vaters gewonnen hatte, dieses weltflüchtigen Künstlers, der alle Dinge anders sah, als die Menschen sie zu sehen pflegen – und der in jeder Erinnerung dieses Ortes fortlebte, während sein Herz doch längst schon erkaltet war? Und wie mußte diese Tochter ihn geliebt haben, wie mußte auch jetzt noch der Gedanke an ihn ihr ganzes Leben füllen, da sie es wie ein kostbares Geschenk betrachtete, daß sie eine Stunde von ihm hatte sprechen dürfen!

„Ich danke Ihnen!“

Wie gut ihm dieses Wort gefiel! Es war ein Wort, das so tief blicken ließ wie dort unten der klare See! Und was ihr Vater auch als Künstler aus seiner weichen, träumerischen Seele herausgebildet und geschaffen haben mochte – er hatte sicher der Welt kein edleres Werk seines Blutes und Geistes hinterlassen als dieses junge schöne Menschenkind mit seiner freien und furchtlosen Lebensruhe, mit seinem tiefen, reinen Gefühl und seinem guten Denken!

Da weckte ihn die Stimme des Jägers aus seinem lächelnden Sinnen: „Grüß’ Ihnen Gott, Herr Fürst! Ein bißl lang’ hat’s ’dauert, gelten S’?“ rief Pepperl seinem Herren schon von weitem zu. „Aber der Tag wird heiß, da hab’ ich den Hirsch net liegen lassen können. Drum bin ich gleich ’nüber g’sprungen auf d’ Sebenalm und hab’ mich um ein paar Leut’ umg’schaut, die den Hirsch heut noch ’nausliefern ins Jagdhaus.“ Er hatte den Garten erreicht, setzte den Bergstock ein und schwang sich mit hohem Satz über den Zaun. „Aber gleich hab’ ich mir ’denkt, daß ich Ihnen da im Gartl von der Fräul’n Petri find’!“ Er blickte zur Hütte hinüber. „Schad’! Sie muß net daheim sein, ’s Hüttl is g’sperrt! Aber gelten S’, schön is daherinn! Ja, so ein Platzerl find’t man net leicht in der Welt! Das hat er verstanden, ihr Vater!“

„Sie haben ihn gekannt?“

„Den Maler-Emmerle? Aber freilich hab’ ich den ’kennt!“

„Wie sagten Sie, daß er hieß?“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0079.jpg&oldid=- (Version vom 17.4.2023)