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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

biblischen Raben für den Elias.“ Während sie langsam auf das Gartenthürchen zuschritt, blickte sie über die sonnigen Berge hin. „Ein Tag ist das heute, ach, ein Tag …“

Ettingen nickte. „Er könnte nicht schöner sein!“


6.

Ein mager aufgeschossenes vierzehnjähriges Bürschlein kam in den Garten gesprungen – wohl ein Hüterbub von einer der naheliegenden Almen. Er trug ein mürbes, verwaschenes Kittelchen aus blauer Leinwand und ein abgewetztes Lederhöschen. Die hageren Beinchen waren von der Sonne so kupferbraun gebrannt, daß ihre lange Nacktheit gar nicht auffiel. Für einen Sennbuben, dessen Arbeit täglich sechzehn Stunden durch Schmutz und Unrat geht, war er ganz auffällig sauber gewaschen. Und das glatte Blondhaar, das unter dem verwitterten Filzhütchen hervorlugte, klebte ihm so naß an den Ohren, als hätte er vor wenigen Minuten erst den Kopf unter einer Brause herausgezogen. In der Hand trug er an einem Strick ein kleines Holzgeschirr, das mit Fichtenzweigen überbunden war.

So ehrfürchtig, als wäre er in eine Kapelle getreten, zog der Bub sein Hütlein. „Recht schön guten Morgen, Fräul’n Petri!“

Nun wußte Ettingen ihren ganzen Namen: Lolo Petri.

„Guten Morgen, Loisli! Bringst mir was?“

„Ja, Fräul’n! Aber der Vater laßt sich verentschuldigen, daß er heut nix anders hat als bloß ein Bröserl Butter und ein Tröpferl Milli. Aber morgen bring’ ich schon wieder was! Gelten S’, ich därf morgen wiederkommen?“ Der Bub stellte die Frage, als wär’ es für ihn ein Geschenk, wenn er kommen durfte.

„Morgen, Loisli? Büberl, morgen wird’s schlecht ausschauen!“ sagte sie, den Dialekt des Buben so weich und geläufig plaudernd, als hätte sie von Kind auf keine andere Sprache geredet. „Weißt, morgen fahr’ ich heim zum Mutterl.“

„Aber gelten S’, Sie kommen bald wieder?“

„Ja, Loisli! Heut über drei Tag, da därfst dich wieder einstellen bei mir.“

„Und gelten S’, nachher verzählen S’ mir wieder was?“

„Ja, mein Bürscherl, komm nur, und … Aber schau nur an, wie nett und sauber als dich heut gemacht hast! So! Brav! So laß ich mir’s g’fallen!“

Der Bub kicherte in verlegener Freude. „Ja, wissen S’, seit S’ mich neulich so ausg’scholten haben, trau ich mich nimmer ’rein mit ein’ schmierigen G’sicht. Aber, gelten S’, heut bin ich sauber?“

„Sauber, ja, aber da schau her …“ Sie nahm das Bürschlein bei der Hand und drehte an seiner Joppe den Aermel vor, der einen spannenlangen Riß über den Ellbogen hatte. „Was is denn das?“

Der Bub wurde rot und stotterte: „Mir scheint, das is ein Loch!“

Da lachte sie, hell und herzlich. „Ja, du, das scheint mir auch. Nur ’runter gleich mit ’m Jöpperl!“

„Thun S’ mir’s flicken, Fräul’n?“

„Freilich! Und bis ich fertig bin, kannst dort das Gießkanndl nehmen und kannst mir Wasser vom See raufholen, gelt? Weißt, jede Gutthat muß der Mensch verdienen!“

„Ja, Fräul’n! Und …“ Hurtig zog der Bub das Jöpplein herunter, „und tausendmal Vergeltsgott derweil!“ Er schoß auf die Gießkanne zu, packte sie und eilte mit langen Sprüngen davon. Während er durch die Latschen hinuntertrollte, nahm er die Brause von der Kanne, um das Rohr als Trompete benutzen zu können. So mißtönig diese Laute auch klangen – sie schienen dem Buben eine wahre Feiertagsfreude zu bereiten. Und als er sich müd geblasen hatte, begann er unter lustigem Jodeln auf der Kanne zu trommeln.

Lolo war in die Hütte getreten, um zu verwahren, was der Bub ihr gebracht hatte. Dann kam sie mit Nähzeug, setzte sich auf die Thürschwelle und begann die Wunde des Jöppleins in die Kur zu nehmen. Die Sonnenlichter, welche durch die Lücken der Epheulaube drangen, spielten mit Leuchten und Gezitter um ihre Gestalt.

Ettingen sah ihr lächelnd zu. „Geben Sie acht, Fräulein,“ sagte er nach einer Weile, „wenn der Bub das nächste Mal wiederkommt, wird er sein Kittelchen übel zurichten, um Ihnen Arbeit zu machen und länger bleiben zu dürfen.“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein! Bevor er das nächste Mal wiederkommt, wird er sein Jöpplein genau untersuchen und die Alm nicht verlassen, bevor ihm nicht die Mutter jeden Schaden ausgebessert hat.“

„Wie gut Sie von dem Jungen denken!“

„Wie er es verdient! Er ist ein braver, lieber Bub und wird einmal ein tüchtiger, herzensguter Mensch werden.“

„Denken Sie von allen Menschen so freundlich?“

„Von den guten, ja.“

„Aber von jenen, denen Sie neu begegnen? Und von denen Sie nicht wissen können, ob sie gut oder schlecht sind?“

„Auch von denen. Wer mißtrauisch ist, begeht ein Unrecht gegen andere und schädigt sich selbst. Ich glaube, daß wir die Pflicht haben, jeden Menschen für gut zu halten, solange er uns nicht das Gegenteil beweist.“

„Das ist eine wahre und schöne Lebensregel!“

„Nur eine selbstverständliche,“ sagte sie ernst, „eine, die keiner entbehren kann, der am Verkehr mit den Menschen Freude haben will.“

„Ja, mein Fräulein, Sie haben recht! Und im Grunde genommen denke auch ich nicht anders, nein, trotz allem nicht!“ Es ging wie ein trüber Gedanke über seine Stirne – aber das schien ihm selbst nur halb bewußt zu werden, denn gleich wieder lächelte er. „Und ich hörte das gerne von Ihnen sagen, denn … nun weiß ich doch, daß Sie auch mich für gut halten. Oder nicht?“

Sie hob das Gesicht, als hätte ihr diese Frage nicht gefallen. Aber an seinem Blick erkannte sie, wie heiter das gemeint war, und da sagte sie: „Ich wüßte nicht, womit Sie mir das Gegenteil bewiesen hätten.“

„Vielleicht durch die unbescheidene Hartnäckigkeit, mit der ich mich hier festgesetzt habe?“

„Das beweist nur, daß es Ihnen hier gefällt. Und das macht mir Freude!“

Der letzte Bergschatten, der noch auf einzelnen Beeten gelegen, war über die Hecke zurückgewichen, und Hütte und Gärtchen lagen in voller, ungetrübter Morgensonne. Der Wind war still geworden, und in den Wipfeln des Harfenbaumes schwiegen die Glocken. Man hörte nur noch den Wasserfall, der fern in der Tiefe rauschte, und das leise, feine Gesumm der wilden Bienen, die von überall her zu den blühenden Beeten geflogen kamen und gleich schwirrenden Fünklein in wirrem Zickzack die sonnige Luft durchschnitten.

Da brachte der Bub die zum Ueberlaufen gefüllte Wasserkanne. „So, Fräul’n, da bin ich schon wieder!“ Dabei stellte er die Kanne so energisch nieder, daß das Wasser rings über den Kiesweg spritzte.

„Ich dank’ dir, Bürscherl! Und schau, dein Jöpperl hab’ ich auch schon fertig. Komm, schlupf ’rein!“

Lolo hielt dem Buben das Kittelchen hin, und er fuhr mit beiden Fäusten in die Aermel. „Vergelt’s Gott tausendmal!“ Neugierig schielte er nach der geheilten Wunde. „Sie! Das haben S’ aber fein g’macht! Da sieht man ja gar nix nimmer!“

„Na, na! Die Mutter wird’s schon sehen, paß nur auf!“ Lächelnd gab sie dem Buben einen Klaps auf die Wange. „Und jetzt mach’, daß du heimkommst. Drunten brauchen sie dich bei der Arbeit.“

Loisli drehte das mürbe Hütlein zwischen den Händen, blickte mit glänzenden Augen zu dem Mädchen auf und bettelte: „Krieg’ ich noch ein Blümerl, Fräul’n?“

„Ja, Bürscherl, was willst denn für eins?“

„Ein Brunellerl thät ich gern haben. Die Enkern schmecken[1] viel feiner als die anderen von der Alm draußen.“

Lolo pflückte ein paar von den braunen Blütenköpfchen und reichte sie dem Buben. Sein Gesicht strahlte vor Freude, während er die Blumen achtsam hinter die Hutschnur schob. Und mit einem Juchzer rannte er davon, das leere Holzgeschirr im Kreis wie eine Schleuder schwingend.

Das Mädchen nahm die Gießkanne auf und begann den Epheu zu besprengen.

„Der Bub hat recht, Fräulein,“ sagte Ettingen, „die


  1. riechen
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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 76. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0076.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)