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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)


Mädchen aus dem Gutachthale. (Mit Abbildung.) Vor ein paar Jahren konnten wir unseren Lesern berichten, wie das in allen deutschen Gauen erwachte Streben, die alten Volkstrachten zu erhalten, auch im badischen Schwarzwald sich rege. Wir brachten damals (Jahrgang 1894, S. 689[WS 1]) zwei Abbildungen von Gruppen „lebender Bilder“, welche bei einem Trachtenfest im Schwarzwalddorf Gutach gestellt worden waren, einem Fest, das von dem dortigen Verein zur Erhaltung der Landestrachten veranstaltet wurde. Die Tracht des Gutachthals ist eine der malerischsten im ganzen Schwarzwald. Da nun auch der Charakter seiner Bewohner sehr liebenswürdig und die Landschaft dort überaus reizvoll ist, kann es nicht wundernehmen, daß sich seit Jahren im Sommer eine kleine Malerkolonie in Gutach zusammenfindet, deren Mitglieder mit Eifer dafür wirken, daß alte Tracht und Sitte sich in der dortigen Gegend erhalten. Der Gründer dieser Kolonie ist Wilhelm Hasemann, dem wir auch das hübsche Mädchenbildnis verdanken, das unser heutiges Heft schmückt. Als dieser aus der Provinz Sachsen stammende, an der Weimarischen Akademie gebildete Künstler vor nunmehr bald zwanzig Jahren auf fröhlicher Wanderfahrt durch den Schwarzwald mit seinem Malkasten in das Gutachthal kam, behagten ihm Land und Leute derart, daß er beschloß, hier für den Sommer dauernd seinen Aufenthalt zu nehmen, und sich im Dorfe ein Atelier bauen ließ. Dort entstanden dann Hasemanns köstliche Illustrationen zur Prachtausgabe von Auerbachs „Lorle“, welche bei ihrem Erscheinen Ludwig Pfau mit dem schönen Lobe begrüßte, daß man beim Anblick dieser Bilder den vollen Duft des freien Feldes atme und fühle, daß sie wie Blumen frisch und wild von Wald und Wiese weggeholt sind. Auch das kleine Lorle unter dem großen Gutacher mit roten Wollrosen besetzten Strohhut auf unserem Bild macht solch frischen Eindruck, wie es da frohen Sinns vor dem wehenden Kornfeld steht.

Mädchen aus dem Gutachthale.
Nach dem Gemälde von W. Hasemann.

Das Kerzenspiel. (Zu dem Bilde S.40 u. 41.) Zu Goethes Jugendzeit hätte dies Bild keiner Erklärung bedurft, denn überall, wo Mädchen und junge Leute zusammenkamen, gab es Gesellschaftsspiele, und das hier dargestellte erfreute sich ganz besonderer Beliebtheit. Wir sehen es in vollem Gang. Eins der Mädchen steht mit dem brennenden Licht an seinem Stuhl – wie graziös sie es zu machen weiß! – und die Gesellschaft bemüht sich, das Licht auszublasen. Wer es fertig bringt, kommt selbst auf den Stuhl und das Spiel geht weiter, aber es kann bis dahin lange dauern, wenn die Kerze, wie hier, unbarmherzig hoch gehalten wird. In die Höhe springen ist verboten, so streckt sich denn der Jüngling im hellfarbigen Atlasrock aufs äußerste und bläst immer hitziger, während rundum die mutwillige Jugend laut auflacht, ja selbst die Mama, welche mit dem Abbé im Hintergrunde des reichen Rokokosalons Chokolade trinkt, ein Lächeln nicht unterdrücken kann. Was würden wohl unsere jungen Damen sagen, wenn man ihnen in Gesellschaft ein solches Kerzenspiel zumuten würde, statt der Litteratur und Kunstunterhaltung mit den Verehrern? Sie würden vermutlich verachtungsvoll die Achseln zucken, und doch – man kann nicht wissen … Das altmodische Menuett ist neu zu Ehren gekommen, vielleicht erlebt das Spiel aus der „guten alten Zeit“ auch einmal seine Auferstehung. Bn.     

Ueberführung eines Fesselballons über einen Eisenbahnkörper. (Zu dem Bilde S. 45.) Das bewegte lebensvolle Bild zeigt uns ein Manövcr, das die deutsche Luftschifferabteilung bei ihren Uebungen in der Umgebung Berlins nicht selten ausführen muß. In der Nähe der Großstadt kommen viele Eisenbahnlinien und Telegraphenleitungen zusammen, und da gilt es oft, die Haltetaue des Fesselballons über den Eisenbahnkörper zu bringen, ohne die Telegraphenleitungen zu beschädigen. Zu diesem Zwecke erklettern einige Leute, mit Steigeisen an den Füßen, die starken Telegraphenstangen, ziehen die Haltetaue einzeln heran und werfen sie über die Drähte. Auf der anderen Seite werden die Taue von bereitstehenden Mannschaften aufgefangen und kräftig angezogen. Es muß dabei auf beiden Seiten geschickt vorgegangen werden, um den Ballon in der Gewalt zu behalten. Zum Transport des Fesselballons werden etwa 40 Mann unter Kommando zweier Offiziere verwendet. *     

Dorfklatsch. (Zu dem Bilde S. 49.) Wer es noch nicht wußte, daß unsere Landbewohner an Interesse für den lieben Nächsten durchaus nicht hinter den Städtern zurückbleiben, der könnte es durch dieses Bild erfahren. Leibhaft und naturgetreu stehen sie vor uns: die alte Klatschbase, welche eine köstliche Skandalgeschichte von Hof zu Hof trägt, und die beiden hochaufhorchenden Dorfältesten mit ihren genußvoll schadenfrohen Gesichtern. Ob die Geschichte wahr ist, danach fragt man auf dem Land so wenig wie in der Stadt: sie ist schön, man schmückt sie im Erzählen noch ordentlich aus, und wenn sich’s dann schließlich herausstellen sollte, daß sie gänzlich erlogen war, dann spricht man mit hochverwunderter Miene: „Ja, wie ’s nur g’rad’ möglich ist, daß die Leut’ auch so was sagen können! Ganz schrecklich ist’s doch, was es heut’ für böse Mäuler in der Welt giebt!“ … Bn.     

Friedrich mit der gebissenen Wange hält die Feinde auf, während sein Töchterchen trinkt. (Zu dem Bilde S. 53.) Landgraf Albrecht von Thüringen, dem die Geschichte den wenig schmeichelhaften Beinamen „der Unartige“ verliehen hat, hatte als Gemahlin Margaretha, die Tochter Kaiser Friedrichs II, heimgeführt. Sie schenkte ihm zwei Söhne, Friedrich und Diezmann. Die Ehe schien glücklich zu sein, bis eines Tages mit dem Erscheinen einer neuen Hofdame, Kunigunde von Eisenberg, der Friede für immer schwand. Angezogen von der blendenden Schönheit Kunigundens, begann der Landgraf seine Gemahlin zu vernachlässigen, bis er eines Tages beschloß, durch Mord sich ihrer für immer zu entledigen. Doch der gedungene Knecht warf sich, vom Gewissen aufgerüttelt, der Landgräfin zu Füßen und gestand alles. Da beschloß Margaretha zu fliehen. In der Nacht trat sie an das Bett ihrer Kinder und nahm herzzerreißenden Abschied – für immer. Und als sie ihren Lieblingssohn Friedrich in ihrer Verzweiflung herzte, da biß sie ihn vor Trennungsweh in die Wange. Seitdem trug dieser den Namen „der Gebissene“. Aus einem Laufgang – er heißt noch heute Margarethengang – ließ sich Margaretha an einem Seile in die gähnende Tiefe nieder und entfloh. Sie ist dann auch bald darauf in Frankfurt gestorben – an gebrochenem Herzen, wie das Volk erzählt.

Als die Söhne Albrechts groß geworden waren, verweigerte ihnen der Vater alles Recht und Anspruch am Erbe und gedachte sie zu gunsten eines Sohnes, den ihm Kunigunde geschenkt hatte, zu enterben.

Es fanden sich aber viele Freunde und Helfer für das Brüderpaar. Mit thatkräftiger Unterstützung derselben traten Friedrich und Diezmann in den Kampf ein, und Friedrich that sich so herrlich hervor, daß ihn das Volk den „Freudigen“ nannte. Er hatte die Wartburg sich erobert, und dort oben war’s, wo ihm sein junges Gemahl Elisabeth ein Töchterlein schenkte. Da aber kein Geistlicher auf der Burg war, so bedrückte es die Eltern schwer, daß die Kleine ungetauft bleiben sollte. Denn auf den Höhen ringsum wie drunten im Thale hielten die Kriegsvölker.

Friedrich den Gebissenen aber schreckte keine Gefahr. In einer dunklen Nacht öffnete sich leise das Burgthor, und heraus ritt Friedrich, hinter ihm zwölf mannhafte Kampfgesellen, in deren Mitte die Amme

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: S. 677
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0067.jpg&oldid=- (Version vom 3.7.2020)