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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

auch nicht viel daran, ich war, wie gesagt, ohnehin nicht con amore dabei.

Also stand ich am Fenster und sah auf den Marktplatz hinab, wo die Bäume sich des frischen Bades erfreuten. Das Laub hatte sich so mächtig entfaltet, daß der Brunnen fast dazwischen verschwunden war, und die Bäumchen auf der Burgruine, deren Umriß sich über dem schwarzen Kirchendach erhob, waren plötzlich grün geworden.

Ich dachte eben, ich sollte eine Skizze von dieser Morgenscene machen, als die Glocken wieder zu läuten anfingen, was den Schluß des Gottesdienstes ankündigte. Einzelne Männer und Frauen kamen aus der spitzbogigen Pforte, schienen aber mit dem Heimweg keine Eile zu haben, sondern zögerten draußen noch herum. Immer mehrere kamen, und alle machten es wie die ersten. Worauf sie warteten, sollte mir bald klar werden.

Denn jetzt erschien eine lange schwarze Gestalt in einem Tuchanzug, der an allen Ecken und Enden zu weit war, einen hohen Cylinder auf dem Kopf, darunter ein bleiches, gedunsenes Gesicht, das aber ganz zuversichtlich umhersah, vielmehr es als eine Art Huldigung aufzufassen schien, daß so viele Augen ihm entgegen spähten. Neben dieser Karikatur von einem ungelenken philisterhaften Kirchgänger nahm sich seine ebenfalls schwarzgekleidete Begleiterin wie eine Fürstin aus, schon durch die stolze Haltung ihres Nackens, der sich auch jetzt nicht beugen wollte. Sie war mir nie so schön erschienen, die Augen so groß und dunkel, und doch wie von einem leichten Schleier bedeckt. In der einen Hand hielt sie ein Meßbüchlein, an der anderen ließ sie sich von der Vogelscheuche an ihrer Seite führen. Ein paarmal wendete sie den Kopf nach rechts und links, einer Bekannten zuzunicken. Dann zog ihr Begleiter mit einem feierlichen Schwunge den Hut und lächelte blöde die Leute an.

Der Weg über den Platz war nicht weit. Mir aber war doch, als das Paar im Hausflur des Gasthofs verschwunden war, als hätte ich am eigenen Leibe die Wunden gespürt, die man ihr bei diesem Spießrutengang durch das gaffende Spalier beigebracht hatte.

*      *      *

Mittags ließ sie sich im Gastzimmer nicht sehen. Die Christel bediente uns und erzählte, Fräulein Johanne habe am Morgen mit ihrem Bräutigam kommuniziert und esse mit ihm auf seinem Zimmer. Mir war’s nur lieb, daß sie nicht zum Vorschein kam. Ich hätte nicht gewußt, mit welchem Gesicht ich sie begrüßen sollte.

Auch war ich entschlossen, den Tag der Hochzeit – übermorgen – nicht abzuwarten, sondern schon morgen mit dem Abendzuge abzureisen. Als ich aber am Montag Vormittag mein Zimmer verließ, um an einer meiner Studien noch ein paar Striche zu machen, begegnete sie mir im Korridor, und es war keine Möglichkeit, ihr auszuweichen.

Ich hätt’ es gern gethan, denn zu allem andern erschien sie mir verwandelt, so aufgeregt lustig, daß mir diese unheimliche Heiterkeit noch weher that als ihre trübsinnige Resignation. Sie begrüßte mich mit einer lauten Stimme, die mir auch fremd klang, sie danke mir vielmals für das Buch, das ich ihr zum Andenken geschenkt hatte – den Vicar of Wakefield – und auf der Seereise werde sie Zeit genug haben, die ganze Geschichte zu lesen, vielleicht finde sich dann auch jemand, ihre Aussprache zu korrigieren. Heute habe sie alle Hände voll zu thun, ihr und ihres Bräutigams Koffer sei schon gepackt, nun müsse sie noch Kuchen backen für die Hochzeit morgen. Gleich nach der Frühmesse werde sie getraut werden, hernach gebe es nur ein Frühstück mit den Trauzeugen, dem Herrn Bezirksarzt und dem Apotheker – Sie begreifen, daß ich es gern möglichst still und klein haben will, sagte sie, denn die dummen Menschen verstehn mich ja nicht und glauben, es sei mein Unglück. Ich allein weiß, was mir bevorsteht, und unser Herrgott sieht in mein Herz, und so kann ich alle auslachen, die mich für verrückt halten. Haha! – sie lachte wirklich! sie, die seit zwölf Jahren nie gelacht hatte! Es war auch danach: wie eine zersprungene, verrostete Glocke, die man nach langer Zeit wieder einmal anschlägt.

Mich überlief es kalt. Ich wünsche Ihnen das beste Glück, Fräulein Johanne, sagt’ ich, und wenn ich Sie nicht mehr sehen sollte – ich reise schon morgen mit dem ersten Zug – so lassen Sie mich Ihnen Lebewohl sagen, und denken Sie manchmal an mich, als an einen Freund, der Sie nie vergessen wird.

Nein, nein! machte sie, ich lasse Sie nicht fort. Meinen Kuchen müssen Sie durchaus probieren und morgen früh sich überzeugen, wie ich als glückliche junge Frau aussehe. Sie haben wohl Furcht, es möchte viel geweint werden? Die Frau Pate freilich – für die steh’ ich nicht. Aber ich – Sie sollen sehen wie vergnügt ich sein werde, ich habe ja auch Ursache dazu – einen Mann zu kriegen, der zwölf Jahre Wolle gezupft hat, um mich endlich heimführen zu dürfen – und wenn er darüber ein bißchen schläfrig geworden ist, ich werde ihn schon aufwecken, und es wird eine recht musterhafte Ehe geben, wie sie nicht immer so gut und friedlich ausfallen. Nur erst fort – fort! Sie glauben nicht, wie müde ich mich fühle, aber das hat ja so sein müssen, und jetzt bin ich am Ziel. Also Sie bleiben noch zur Hochzeit, ich nehme keine Ausrede an, und nun noch vielen Dank für all Ihre Freundlichkeit!

Damit huschte sie von mir weg, auch darin verwandelt, daß sie alles in einer seltsamen Hast that und z. B. die Treppe hinunter sprang wie ein ganz junges Ding.

Ich kann nicht sagen, welch peinlichen Eindruck das alles auf mich machte.

Draußen auf dem Markt sah ich den Firmian. Er kam, in seinem Sommeranzug, aus einem Laden, in dem allerlei kurze Ware zu Kauf geboten wurde, hatte sich eine Pfeife angeschafft mit einem Porzellankopf, auf dem ein Mädchen in sehr losem Gewande gemalt war. Als ich an ihm vorüberging, zeigte er mir seinen Einkauf mit einem vertraulichen Grinsen, ohne dabei zu sprechen, und ging dann in einen anderen Laden, wo Tabak zu haben war. Seine Braut hatte ihn offenbar mit einem Taschengeld versehen, das er sich nun beeilte loszuwerden, um dadurch die lang entbehrte Freiheit zu bekunden. Die Kinder ließen sich’s nicht nehmen, ihm auf Schritt und Tritt zu folgen und auch wohl gelegentlich ihm etwas zuzurufen, was ehrenrührig klang. Er aber schien auch das wie eine Huldigung hinzunehmen, zog zuweilen mit ironischer Höflichkeit den Hut und schwenkte ihn gegen die ungezogene Bande, die dann schreiend und lachend auseinanderstob. Es war offenbar, daß er kein klares Bewußtsein mehr hatte von allem, was um ihn und mit ihm vorging.

Und dieses arme Mißgeschöpf, das man nicht mehr für einen richtigen Menschen ansehen konnte, sollte morgen früh – der Gedanke war nicht auszudenken!

*      *      *

Ich verbrachte den Tag in tiefer Verstimmung, die ich an meiner armen Studie ausließ. Zu Mittag mochte ich nicht in den Gasthof zurückkehren. Ich ließ mir in einem Bauernhof eine Schüssel Milch und Brot geben und malte nachmittags weiter. Aber es ging endlich nicht mehr. Ich packte mein Malgerät zusammen, als es noch kaum zu dämmern anfing, und beschloß, den Hochzeitsmorgen überhaupt nicht abzuwarten, sondern schon mit dem Abendzug mich aus dem Staube zu machen.

Als ich aber in den Ort zurückkehrte, erstaunte ich nicht wenig, den kleinen Marktplatz schwarz von Menschen zu finden, die alle in dumpfem Schweigen nach den Fenstern des Bayrischen Löwen hinaufstarrten. Sämtliche Einwohner des Städtchens schienen aus ihren Häusern herausgekommen zu sein, in Erwartung irgend eines ungewöhnlichen festlichen oder traurigen Schauspiels.

Warum stehen hier alle Leute? fragte ich einen ehrsamen Bürgersmann, der von seiner Arbeit weggelaufen zu sein schien, da er noch den Schurz vorgebunden hatte und keine Mütze trug.

Fräulein Johanne ist vor einer Stunde von ihrem Bräutigam erschossen worden, war die Antwort, mit einem so verstörten Gesicht, als handle sich’s um eine nahe Verwandte.

Das Mädchen wurde allgemein verehrt; ich hatte es an vielen Beweisen sehen können.

Aber das ist ja unmöglich! rief ich, im Innersten erschüttert. Am Tag vor der Hochzeit – und da er ihr alles verdankt –

Es soll nicht mit Absicht geschehen sein, sagte ein anderer. Mit dem Firmian war’s nicht ganz richtig – er ist auch jetzt ganz auseinander – aber tot ist sie –

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0064.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)