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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

werden Sie begreifen, daß Seine Excellenz sie nicht wie die erste beste Supplikantin abfertigen konnte, sondern sehr gnädig anhörte und versprach, ihre Eingabe bei dem allerhöchsten Herrn zu befürworten.

Sie ist dann auch gleich wieder abgereist, hat aber auch da noch kein Wörtel verraten von dem, was sie gethan hatte. Bis nach etwa vierzehn Tagen ein großes Schreiben aus dem Ministerium an sie einlief, ihr Gesuch sei in Gnaden gewährt und der Häftling werde demnächst entlassen und der Rest der Strafe ihm geschenkt werden.

Ich bekam vor Schrecken einen so heftigen Anfall, daß ich sechs Tage mich wie ein Wurm in meinem Bette krümmte und wand. Zum erstenmal aber schien sie gar kein Mitleid mit meinen Schmerzen zu haben. Sie hatte den Kopf zu voll mit ihren eignen Sorgen, schrieb an den Firmian, daß sie nun Hochzeit machen würden, sobald er frei geworden, ließ sich für ihn und sich alle nötigen Papiere aus ihrer Heimat kommen und bestellte das Aufgebot bei unserm Pfarrer, der freilich auch ein bißchen den Kopf dazu schüttelte, daß gleich vom Zuchthaus weg geheiratet werden sollte. Auch er wußte aber, daß sie sich von niemand raten ließ. Und wie ich ihr sagte: warte doch wenigstens, bis du ihn wieder gesehen hast; es könnte ja sein, er hätte sich sehr verändert – Nein, Frau Pate, sagt sie, das darf mich nicht hindern meine Pflicht zu thun. Wenn er noch so heruntergekommen aussähe, – ich wäre ja schuld daran und würde ihn nehmen wie er geht und steht.

Nun, ein bißchen dachte sie doch auch an sein Aeußeres, schrieb an den Gefängnisdirektor um seine Kleidermaße und ließ ihm dann zwei Anzüge machen, einen für den Werktag und einen für die Hochzeit. In der Sträflingsjacke mochte sie ihn doch nicht vor sich hintreten sehen.

Und dann kündigte sie ihr Kapital, das sie auf der Nürnberger Bank deponiert hatte – die Zinsen hatte sie nicht angerührt und obenein noch ein Sparkassenbuch angelegt, denn sie brauchte fast nichts für ihre Person, nicht einmal die Hälfte von dem Lohn, den ich ihr zahlte. Einmal fuhr sie noch selbst nach Nürnberg, ich glaube, um ihr Testament zu machen. Dann, als alles besorgt war, wurde sie ordentlich heiter und wieder ganz besorgt um mich und bat mich um Verzeihung, daß sie mich verlassen würde. Aber ich sähe wohl selbst, hier, wo alles ihn kannte, könne er nicht bleiben. Sie will mit ihm nach Amerika. Sogar die Billette zur Ueberfahrt hat sie schon in Hamburg besorgen lassen.

Nun soll in fünf Tagen die Hochzeit sein, eine ganz stille. Uebermorgen erwartet sie ihn, und jetzt, wo es ernst werden soll, kommt mir’s doch vor, als ob sie manchmal ein Schauer überliefe, daß sie nun die Hand drücken soll, die ihrem Geliebten den Tod gebracht hat. Aber dann schüttelt sie sich und spricht von gleichgültigen Dingen. Sie ist eben ein ganz apartes Menschenkind, und eben darum ein Jammer, daß sie sich in dieses Schicksal verrannt hat. Wenn ich denke, den Firmian rührte über Nacht der Schlag, und dann könnte mein Franz wieder Hoffnung fassen – – aber stille! Da kommt sie eben über den Hof. Verraten Sie ihr ja nicht, daß ich mir das Herz gegen Sie erleichtert habe!

Wirklich sah ich sie jetzt dem Garten sich nähern, mit ihrem steten, ruhigen Schritt und dem festen Blick der schönen großen Augen. Sie sah uns beide so eigen an, als ob sie wohl vermute, wovon wir so lange geschwatzt hatten, sagte aber kein Wort. Nur daß es Zeit für die Frau Pate sei, wieder ins Zimmer zu kommen, die Sonne scheine, durch das Dach des Bräuhauses abgehalten, nicht mehr in das Salettl. Wie du willst, Kind, sagte die Alte, ließ sich aufrichten und fester einwickeln und dann, mehr getragen als geführt, wieder zu Bett bringen, nachdem sie sich bei mir entschuldigt hatte, daß sie mich so lange belästigt habe.

*      *      *

Ich verließ denn auch bald nach den Frauen den Garten, holte mein Skizzenbuch und schlenderte ins Freie, um noch ein paar Striche zu machen auf einem andern Fleck als am Vormittag. So dankbar aber das Motiv war – ich kann es Ihnen noch zeigen – die Arbeit ging mir nicht recht von der Hand. Diese wunderliche trübselige Geschichte lag mir im Sinn, das Bedauern mit dem herrlichen Geschöpf, das eine so abenteuerliche Buße über sich nahm. Für andere Weiber ist’s ein Scheidungsgrund, wenn ihre Männer sich ins Zuchthaus gebracht haben; wenigstens wünschten sie, nun von ihnen loszukommen. Und dieses Mädchen wartet zwölf Jahre standhaft, bis der Bräutigam, den sie nie recht geliebt hat, frei würde, verschafft ihm einen Nachlaß seiner Strafzeit, will seinetwegen ihre Heimat aufgeben und ihm in eine ungewisse Ferne folgen – das schien mir in einem Atem großartig und verrückt, bewundernswert und kläglich, und ich konnte mich, wie die alte Frau Pate, des Wunsches nicht erwehren, der Himmel möchte dazwischenfahren und den Knoten dieses Trauerspiels durchhauen, ehe die schöne Heldin an dem unseligen Ehebund ersticken müßte.

Noch ehe es zum Zeichnen zu dunkel wurde, klappte ich das Buch zu und ging in die Stadt zurück.

Als ich aber in mein Zimmer trat, fand ich zu meinem Erstaunen Fräulein Johanne an meinem Tische stehend, ein Buch in der Hand, in welchem sie so eifrig gelesen haben mußte, daß sie mein Kommen überhörte. Es war die Tauchnitzausgabe des Vicar of Wakefield, die ich mit einiger andern Lektüre mitgenommen hatte, für Regentage; ich wollte ja seit Jahren eine Studienreise nach England und Schottland machen, zu der es auch heute noch nicht gekommen ist.

Verzeihen Sie, sagte das Mädchen, indem sie mit einer kleinen Verlegenheit das Buch wieder auf den Tisch legte, – ich wollte nachsehen, ob Ihr Zimmer gelüftet und frisches Wasser im Kruge sei – die Christel ist oft nachlässig –, da fiel mir das Buch in die Augen, und ich habe mir erlaubt –

Ich beruhigte sie, daß sie gar kein Verbrechen begangen habe, und fragte, wie sie denn Englisch gelernt habe, da Engländer doch wohl kaum unter den Passanten im Bayrischen Löwen zu finden seien.

Freilich nicht. Aber sie habe es schon seit Jahr und Tag auf ihre eigene Hand gelernt, es falle ihr nicht schwer, ein leichtes Buch zu verstehen, nur mit der Aussprache sehe es übel aus, da sie keinen Lehrer gehabt habe und aus der Grammatik nicht alles habe lernen können.

Ich lachte: das glaubte ich wohl; ich würde mich ihr gern zum Lehrmeister anbieten, aber wenn ich selbst auch länger bleiben wollte, ich hörte ja, daß sie schon in kurzem das Haus verlassen werde. Vielleicht fände sie auf der Ueberfahrt einen freundlichen Reisegefährten, der ihre Aussprache korrigieren könne.

Sie sah mich mit einem prüfenden Blicke an, ob ich es ernst meinte, oder, wie die anderen, ihre Auswanderung für ein tolles und thörichtes Unternehmen hielte.

Die Frau Pate hat Ihnen natürlich gleich meine ganze Geschichte erzählt, sagte sie dann. Sie kramt sie ja auch vor jedem aus, der die Geduld hat, ihr zuzuhören, und da ohnehin der ganze Ort darum weiß – aber hat sie Sie am Ende aufgestiftet, mir, wie sie’s versteht, zur Vernunft zu reden, um mich noch kurz vor der Entscheidung andern Sinnes zu machen, so möcht’ ich Sie bitten, sich darauf nicht einzulassen. Jeder weiß allein, was er thun und lassen soll, und ich habe lange genug Zeit gehabt, mit mir selbst darüber einig zu werden, was meine Pflicht ist.

Sie irren, Fräulein Johanne, sagt’ ich. Ihre Frau Pate hat mir gar keinen Auftrag gegeben; sie ist zu sehr überzeugt, daß Sie sich nicht mehr umstimmen ließen. Und ich selbst – daß Sie unter diesen Umständen nicht in der Heimat bleiben wollen, begreife ich ja. Auch werden Sie drüben über dem Wasser mit Ihrer Thatkraft und Besonnenheit sich bald einen neuen Wirkungskreis geschaffen haben und Ihr mangelhaftes Englisch wird Sie darin kaum hindern. Nur, wenn ich mich doch offen aussprechen soll – daß Sie die Heirat so übereilen, noch ehe Sie den Bräutigam wiedergesehen haben – ich meine nicht wegen seines Aeußeren, aber sein Charakter – wer bürgt Ihnen, daß es in Ihrer Macht steht, ihn wirklich glücklich zu machen, auch wenn Sie auf eigenes Glück gar keine Rücksicht nehmen wollen?

Sie schwieg eine Weile und sah an mir vorbei nach der alten Kirche hinüber. Die feinen Flügel ihres etwas stumpfen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0062.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)