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über die Art und Weise seines Verschwindens ergeben. Seine Rückkehr erregte das größte Aufsehen, und er wurde zum Kurfürsten Johann von Schönenburg beordert, um diesem mündlich Bericht zu erstatten. Der Kurfürst war von der buchstäblichen Wahrheit der Erzählung Scharfensteins völlig überzeugt. Er hielt, befangen in dem Wahn seiner Zeit, dessen plötzliches Entrücktwerden vom Rheine in das Gebiet der Türkei für Zauberwerk und ordnete strenge Maßregeln zur Verfolgung des Hexenunfugs an.

Die größte Freude, und wahrlich nicht mit Unrecht, hatte der Knecht über die Rückkehr seines Herrn; denn er war bezichtigt worden, denselben ermordet zu haben. In der That schien auch hierfür alles zu sprechen; denn der Knecht wußte nur zu berichten, er habe mit dem Klostergesinde so lange gezecht, bis er in tiefen Schlaf verfallen sei; erwachend aber habe er sich unter dem Galgen zu Bubenheim wiedergefunden. Wie abergläubisch auch die damaligen Gewalthaber sein mochten, so wollte ihnen doch die Wahrheit dieser Erzählung nicht einleuchten, und es wäre um den Hals des Knechtes geschehen gewesen, wenn der Scharfensteiner nicht im letzten Augenblick wiedererschienen wäre. Viele Mühe hatte dieser, des eisernen Halsringes ledig zu werden, bis es der Geschicklichkeit eines alten Schmiedemeisters gelang, ihn davon zu befreien. Das Eisen hat er nachher in der Kapelle zu Beurich niedergelegt.

Das ist nach dem „Rheinischen Antiquarius“ die nackte Erzählung des Vorgangs. Es wird sich wohl niemals mehr feststellen lassen, was Herr Anton Cratz von Scharfenstein während der Zeit vom Allerheiligenabend 1589 bis zum Allerseelentage 1590 in Wirklichkeit erlebt hat. Die Annahme liegt nahe, daß der wackere Amtmann, des Sitzens auf Stolzenfels müde, sich auf gut Glück in die weite Welt begeben hat. Er mag dabei Abenteuer erlebt haben, die ihm nicht zu besonderem Ruhme gereichten, und so hat er wohl nach seiner Rückkehr in die Heimat die wundersamen Abenteuer erfunden. Daß er dabei seinen Landsleuten einen solchen Bären aufbinden durfte, erscheint dagegen gar nicht wunderbar, wenn man die damaligen Anschauungen und auch die Oertlichkeit selbst in Betracht zieht.

Nicht weit von Stolzenfels, unterhalb Rhens, liegt eine in der deutschen Geschichte denkwürdige Stätte: der Königsstuhl, auf dem sich die Kurfürsten versammelten, um über deutsche Reichsangelegenheiten zu beraten und die Königs- und Kaiserwahl zu vollziehen. Die Gegend, in welcher der aus Quadersteinen aufgeführte, mit Säulen und steinernen Sitzen versehene Bau sich befand, war in früheren Zeiten wenig belebt, und an den Ort knüpften sich allerlei Sagen und Spukgeschichten. Weit und breit war der alte Königsstuhl berühmt und gefürchtet wegen der Hexensabbathe, die dort gefeiert werden sollten, und dieser traurige Ruf wurde durch die Aussagen der Angeklagten in einer ganzen Reihe von Hexenprozessen bekräftigt. Wenn also Anton Cratz von Scharfenstein erzählte, daß er in der verrufenen Gegend durch einen Zauber entrückt und von dort in ferne Länder versetzt wurde, so sagte er etwas aus, was seinen Zeitgenossen durchaus möglich erschien. Er baute auf den Aberglauben, daß man durch magische Kräfte den eigenen Körper oder auch andere Personen an weit entfernte Orte versetzen könne. Dieser Zauber kam bei der Hexenfahrt zustande. Der Hexensalbe wurde die Kraft zugesprochen, daß selbst Leute, die mit dem Teufel den Pakt nicht abgeschlossen hatten und nur aus Neugierde sich mit ihr bestrichen, augenblicklich zum Hexenchor hinweggeführt wurden. So erging es, um ein Beispiel anzuführen, einem zu Ferrara wohnenden Köhler Namens Antonio Leone. Er hatte auf sein eigenes Weib einen Argwohn geworfen, daß sie, vieler Leute Meinung und Gerede nach, des Nachts, während er schlafe, zum Hexenkonvent ginge; weswegen er heimlich darauf zu merken beschloß und in einer gewissen Nacht sich stellte, als ob er im tiefen Schlafe läge. Worauf das Weib vom Bette aufstand, aus einem kleinen Geschirr, welches sie vorher verborgen gehalten, sich schmierte, und hierauf nirgends mehr zu sehen war. Der hierüber sich verwundernde Mann gewinnt Lust, den Handel zu probieren, steht also auf und bestreicht sich gleichfalls mit der Salbe. Darauf wird er allsofort durch einen Schlot oder Kamin davon- und in eines Grafen Weinkeller geführt, allwo er sein sauberes Weib bei vielen anderen Zunftschwestern antrifft. Sobald aber dieselbe seiner ansichtig wurde, ist sie nach einigen gemachten Zeichen mit den anderen davon gefahren und er allein zurückgeblieben. Des Morgens finden ihn die Diener des Hauses, nehmen ihn mit großem Geschrei als einen Dieb gefangen und bringen ihn vor den Grafen. Als derselbe ihm zu reden erlaubt, hat er, wiewohl nicht sonder Scham, den rechten Verlauf und wie er in den Keller geraten, berichtet. Hiernächst ist sein Weib bei den Untersuchern der Hexerei angegeben und, nachdem sie es gestanden, zu gebührender Strafe gezogen worden.

In dieser Weise redeten sich viele aus, die an Orten, an die sie nicht hingehörten, betroffen wurden, und brachten andere ins Unglück. Die Flunkerei Anton von Scharfensteins erscheint somit durchaus – zeitgemäß.

Außer der Hexensalbe kannten die Zauberer noch andere Mittel, um eine magische Entführung der Personen wider deren Willen zu Wege zu bringen. Man brauchte von einem Menschen nur drei Haare zu besitzen, und dann war man mit Hilfe von allerlei Hokuspokus imstande, sie „von weitem zu sich zu bekommen“.

Was man vor zwei- und dreihundert Jahren über den Hexenflug auftischen durfte, davon zeugen die folgenden drei Berichte, die wir der „Geschichte des Okkultismus“ von Carl Kiesewetter entnehmen.

Der erste rührt von dem Spanier Prudentius von Sandoval her. Gelegentlich eines im Jahre 1507 in Calahorra geführten Prozesses wollte er sich durch den Augenschein überzeugen, auf welche Weise die Hexen eigentlich flögen. Er habe deshalb einer Mitgefangenen alten Hexe Gnade versprochen, wenn sie in seiner Gegenwart ihr Zauberwerk üben wollte. Die Alte nahm den Vorschlag an und verlangte die ihr bei der Verhaftung fortgenommene Salbenbüchse. Darauf stieg sie in Begleitung vieler Personen auf einen Turm, stellte sich an ein Fenster und rieb sich mit der Salbe ein. Dann fing sie an, am Turme herabzusteigen, den Kopf nach abwärts gerichtet und ihrer Hände und Füße sich nach Art der Eidechsen bedienend. Als sie so in die Mitte der Turmhöhe gelangt war, flog sie in die Luft und die Augen der Anwesenden folgten ihr, bis der Horizont die Fliegende verbarg. Leider erfahren wir nicht, ob die Hexe zurückkehrte.

Der zweite wundersame Vorfall soll sich 1587 zu Calais ereignet haben, als Erzherzog Albert die Stadt eingenommen hatte. An der Brücke nach Boulogne zu standen wallonische Vorposten. Zwei derselben sahen abends bei hellem Himmel eine schwärzliche Wolke heranziehen und hörten aus ihr verwirrte Stimmen ertönen, ohne daß sie etwas unterscheiden konnten. Da sie der Sache mißtrauten, schoß der eine Posten seine Arkebuse auf die Wolke ab, worauf zu seinen Füßen ein dickes betrunkenes Weib mittleren Alters niederstürzte, welches verwirrt fragte: „Sind Feinde oder Verbündete hierselbst?“

Der dritte Bericht stammt aus Deutschland. Im „Theatrum Europaeum“ heißt es: „Am 9. Januar 1666 empfing zu München, der Chur-Bayerischen Residentz-Stadt, ein Hexenmeister seinen Lohn, welcher in abgewichenem Sommer in einem Ungewitter, welches er zur Verderbung der Erndten wollte angerichtet haben, durch die Wolken gefahren und nackend zur Erde gefallen, auch darüber gefangen und nach München gebracht worden.“

Wir halten heute solche Erzählungen für albernes Geschwätz, das entweder ausgedacht wurde oder auf falschen Beobachtungen beruht. Bei dem Unglück des Münchener Hexenmeisters läßt es sich wenigstens denken, daß der arme Mann von einem Tornado in die Luft emporgerissen und seiner Kleider beraubt auf die Erde geschleudert wurde. Solches ereignet sich noch heute bisweilen, namentlich in Nordamerika, wo die Tornados häufig vorkommen und besonders heftig sind. Aber nicht alle unsere Zeitgenossen denken so. Carl Kiesewetter, dessen genanntes Buch im Jahre 1895 gedruckt wurde, schreibt im unmittelbaren Anschluß an die drei letzten Geschichtchen: „Was sollen wir nun zu derartigen Berichten sagen? Wir müssen angesichts des modernen Phänomens der Levitation schweigen, wenn wir uns auch keineswegs auf den Standpunkt der alten Dämonologen stellen, welche die Hexenfahrt nur auf diese grobsinnliche Art erklären zu müssen und zu kennen glauben.“ So reicht der moderne Mystiker dem alten Zaubergläubigen die Hand. An Stelle des grobsinnlichen Fluges tritt das rätselhafte Phänomen der Levitation, bei dem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0051.jpg&oldid=- (Version vom 11.8.2023)