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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

aus der Thüre trat, war der Förster mit dem Jagdherrn schon im Wald verschwunden. Lustig blinzelnd lugte Pepperl zum Fürstenhaus hinauf und gewahrte an einem offenen Fenster den Kammerdiener.

„Ja, Mannderl, paß nur auf! Morgen fallt der Vierzehner … nachher kannst mich verklampern, wie d’ magst!“

Schon wollte er mit langen Schritten seinen Weg beginnen. Aber da blieb er erschrocken wieder stehen und sah mit sorgenvollem Blick zur Sennhütte hinunter.

„So, schön! Jetzt bleibt mir das dumme Madl den ganzen Tag ohne B’hütung! Mar’ und Josef, was thu’ ich denn da?“

Aber in dieser Sorge bekam der Praxmaler-Pepperl zu merken, daß es im Himmel einen gütigen Gott und draußen in der Leutasch einen gestrengen Bauern gab, der wöchentlich von der Tillfußer Alm seine zwanzig Pfund Butter sehen wollte.

Denn während Pepperl noch in Gedanken stand, wurde drunten an der Sennhütte die Thüre zugesperrt, und Burgi, mit der hohen, gegen die Sonnenwärme dick vermummten Butterkraxe auf dem Rücken, schritt über das Almfeld hinunter dem Walde zu.

Ein Strahl der Freude leuchtete über das Gesicht des Jägers. „Gott sei Lob und Dank! ’s Madl muß abtragen heut’. Da kommt’s vor Abend nimmer z’ruck,“ so rechnete er in Gedanken, „derweil is der Herr Fürst schon wieder daheim … und da muß er bei der Arbeit sein, der G’schniegelte!“ Mit einem seelenvergnügten Juchzer quittierte er das Ergebnis dieser Rechnung und rief – mit unverkennbarer Schadenfreude im Ton der Stimme – über das Almfeld hinunter: „He! Burgi! Thu’ mir dein’ braven Vattern schön grüßen, gelt!“

Er lachte nur, als die Sennerin sich umblickte, ohne ein Wort zu erwidern. Und mit langen Sprüngen eilte er schräg durch den Wald hinunter.

Es dauerte gar nicht lange, da erschien unter der Thüre des Fürstenhauses der Herr Kammerdiener in weiß und grün gestreifter Hausjacke, eine Cigarette zwischen den Zähnen und ein weißes Hütchen auf dem schön frisierten Kopf. Den Rauch in die Sonne blasend und dazwischen eine Arie aus „Rigoletto“ pfeifend, spazierte er über das Almfeld hin und her; wie im Zufall geriet er vor die Sennhütte – und fand die Thüre verschlossen.

„Fräulein Burgi!“ rief er ganz leise durch die Ritzen der Bretter, „Fräulein Burgi!“

Als er keine Antwort erhielt, wanderte er mit gründlich verstimmter Miene davon. Beim Jägerhäuschen blieb er stehen und blickte durch das offene Fenster.

Drinnen lag Mazegger angekleidet auf dem Bette, das Gesicht in die Arme vergraben.

„Heda! Sie!“

Der Jäger erhob sich. Seine Augen waren heiß gerötet.

„Halten Sie sich fertig bis in einer Stunde. Sie haben einen Brief nach Leutasch zu bringen, der noch heute mit der Post nach Innsbruck muß.“

Mazegger nickte und biß die Zähne übereinander.

Als gält’ es plötzlich ein hochwichtiges und unaufschiebbares Geschäft zu erledigen, eilte Martin ins Fürstenhaus hinauf, holte aus seiner Kammer ein Notizbuch und ein Centimeterband, begab sich in das „Grafenstübchen“ und verriegelte hinter sich die Thüre. Hier saß er eine Weile und betrachtete überlegend den anspruchslos möblierten Raum und die weißgetünchten Wände. Dann maß er alle Mauern und Fenster ab – und begann in sein Notizbuch eine lange Liste zu schreiben:

„1) Zartgeblümte Seidentapete auf mattblauem Fond, für 46 qm Wandfläche; Plafond 16 qm.

2) Für zwei Fenster seidene Gardinen von etwas tieferem Blau; Spitzen als Unterlage; Leisten in Weiß und Silber; Stores in gedämpftem Rosa oder zartem Heliotrop, mit allem Zubehör.

3) Portieren für 1 Thüre, Stoff und Farbe der Gardinen; ohne Spitzen; mit allem Zubehör.

4) Englischer Teppich, 16 qm, 4 zu 4, das Blumenmuster der Tapete entsprechend.“

So schrieb und schrieb er, bis die Liste über fünf Seiten seines Notizbuches ausgewachsen war. Dann verließ er das Stübchen, verschloß die Thüre und steckte den Schlüssel zu sich.

Eine halbe Stunde später trug Mazegger einen Brief davon, der an einen Hotelier in Innsbruck adressiert war. –

Für fünf Uhr nachmittags war das Diner befohlen. Wenige Minuten früher kehrte der Fürst zurück.

Trotz der weiten, siebenstündigen Wanderung, die kreuz und quer durch Wälder und Latschenfelder und über steile Almen gegangen war, verriet seine Haltung keine Spur von Müdigkeit. Sein Gang war strammer und fester als am Morgen, seine Augen hatten Leben und Feuer, die heiße Julisonne hatte ihm das Gesicht verbrannt, daß es glühte – nur die Stirne, soweit sie im Schatten der Hutkrempe lag, war weiß geblieben.

Bei der Ankunft vor dem Fürstenhaus forderte er den Förster auf, die Mahlzeit mit ihm zu nehmen. Dieser dankte verlegen und sagte zu; nur habe er vorher noch mit Mazegger etwas Wichtiges zu besprechen.

Ohne beim Försterhäuschen anzuhalten, ging er auf die Jägerhütte zu; es gewitterte in seinen kleinen Blitzaugen. Als er die Hütte leer fand, lachte er höhnisch auf.

„So so? Net daheim bist? Aber wart’ nur, Bürscherl, auf d’ Nacht, da kommst mir schon!“

Seine üble Laune war auch nicht besser geworden, als er später vom Essen kam und sich vorm Betreten der eigenen Hütte von neuem überzeugt hatte, daß Mazegger nicht daheim war.

In der finsteren Stube hatte er eben das Licht angezündet, da kam der Praxmaler-Pepperl in die Thür gestürmt, atemlos von einem zweistündigen Dauerlauf.

„Herr Förstner! Der Hirsch is heut’ am richtigen Fleckl g’standen … wenn der Herr Fürst morgen in der Fruh mit mir ’nausgeht zum Sebensee, kommt er ihm an auf hundert Schritt’!“

„No also, geh nur gleich ’nauf und thu’s ihm melden!“

Pepperl stellte die Büchse nieder und rannte davon. Als er nach einer Viertelstunde zurückkam, berichtete er mit aller Freude, deren er in seiner Erschöpfung noch fähig war: „Morgen kracht’s! Der Herr Fürst geht mit! Um Zwei in der Fruh wird abmarschiert!“ Er stellte den Wecker, dann stieß er die Schuhe von den Füßen und warf sich völlig angekleidet auf die Matratze. Aber nach einer Minute richtete er sich wieder auf. Droben im Fürstenhaus war ihm der „Schwarzlackierte“ begegnet – und jetzt überfiel ihn der Gedanke an die Sennhütte drunten, an das „dumme unb’hütete Madl“ und an Burgis „armen alten Vattern“, mit finsterer Sorge.

„Sie, Herr Förstner,“ sagte er dann zu seinem braven Vorgesetzten, der sich wieder in das „Geheimnis von Woodcastle“ vertieft hatte, „wenn S’ daheimbleiben, sollten S’ Ihnen doch ein bißl um den Herrn Kammerdiener kümmern.“

„Warum denn?“ klang’s unwillig zurück.

„Mir scheint, er muß ein bißl Langweil’ haben, wenn der Herr Fürst net daheim is.“

„Soll er halt was Vernünftig’s lesen!“

„Plauschen, mein’ ich, thut er lieber!“

„Soll er mit der Köchin plauschen!“

„Oder mit der Burgi? Net?“

„Ja, meinetwegen, mir is alles recht!“

„Aber wissen S’ … der Burgi, mein’ ich … der g’fallt er net recht … die kann die Stadtischen net leiden. Und wann er plauscht mit ihr … ja … da könnt’ s’ ihm leicht ein unb’schaffens Wörtl sagen, das ihn verdrießen muß. Ja … wenn er plauscht mit ihr … ich mein’, da sollten S’ doch dabei sein … damit sich die Burgi ein bißl z’ruckhalt’, Wissen S’!“

„Ja, ja, is schon recht! Laß mich nur jetzt in Ruh’! Und thu schön leuchten, gelt, daß der Herr Fürst net stolpert in der Finstern! Und schau, daß den Hirsch mit heimbringst! Und halt’ dich ordentlich auf der Birsch, gelt, daß d’ mir kein’ Schand’ net machst!“

„Na, na, da wird sich nix fehlen!“

Der Förster war ans Fenster getreten. Da sah er, wie drüben in der Jägerhütte der Lampenschein aufleuchtete. Sofort verließ er die Stube und ging mit langen Schritten hinüber.

Mazegger kniete vor dem eisernen Sparherd, um Feuer anzuschüren.

„Du? Wo warst denn heut’?“

Zögernd erhob sich der Jäger. Er schien es gleich zu merken,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0047.jpg&oldid=- (Version vom 15.4.2023)