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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

„Was ist denn?“ murrte er, und seine schwarzen Augen schossen einen gereizten Blick auf den Förster. „Wo fehlt’s denn schon wieder?“

„Dein Hütl schau dir an!“

Toni nahm den Hut ab, und da sah er, daß er von seiner Spielhahnfeder die Sichel verloren hatte.

„Die muß ich mir gestern am Abend abg’stoßen haben! Aber freilich, wenn der Herr Förstner schon wegen so was brummt …“

„So? Meinst? … Gestern verlierst dein Federl, und heut’ laufst umeinander mit ’m Stümperl. Was so was für ein’ Jager bedeut’ … wenn das net begreifen kannst, da thust mir was! Ja! Leid thust mir! B’hüt’ dich Gott!“

Der Förster drehte dem Jäger den Rücken und wanderte durch den Wald hinunter ins Bachthal.

Auf dem Heimweg hörte er aus einem nahen Jungholz die Stimme der Sennerin, welche die Kühe zum Melken eintrieb. Sonst pflegte Burgi bei diesem Geschäft vergnügt zu singen und zu jauchzen; heut’ aber schalt sie mit Zorn und Aerger auf das widerspenstige Vieh.

Das fiel dem Förster auf und er fragte sich: „Was das Madl heut’ nur hat, weil ’s gar so viel ungut thut?“

Als er gegen neun Uhr vormittags die Tillfußer Alm erreicht hatte und ins Försterhäuschen trat, sah er den Praxmaler-Pepperl, mit einem nassen Handtuch um die Stirne, in schwerem Schlaf auf der Matratze liegen.

„No also! Jetzt brummt ihm der Schädl, von der lustigen Nacht! Ja ja, ’s Leben hat halt allweil seine Zwidrigkeiten … und aller Zucker schmeckt ei’m sauer auf d’ Letzt!“

Lautlos, um den stöhnenden Schläfer nicht zu wecken, machte er Toilette zum Frühstück, das heißt, er wischte mit einem Handtuch die Schuhe sauber und bürstete einen Scheitel ins Haar.

Als er hinaufkam ins Herrenhaus, hatte er seine Freude an dem frischen Aussehen des Fürsten, der fest und gut bis in den hellen Morgen hinein geschlafen hatte. Und da gab’s gleich was zu lachen. Denn als der Fürst versicherte, er hätte einen Schlaf gethan wie ein Bauer, fuhr es dem Förster lustig heraus: „Na, hören S’, Duhrlaucht, das is aber doch g’spaßig! Sie sagen: wie ein Bauer! Und unsereiner, wenn er so recht gut g’schlafen hat, unsereiner sagt: heut’ hab’ ich g’schlafen wie ein Fürst!“

Während des ganzen Frühstücks behielt das Gespräch die heitere Stimmung bei, mit der es begonnen hatte, und Ettingen amüsierte sich über all die drollig derben und doch von einem gesunden Kern erfüllten Lebensweisheiten, die ihm dieser rauhborstige Philosoph in der Jägerjoppe zu hören gab.

Gleich nach dem Frühstück machte sich Ettingen fertig für den „Orientierungsmarsch“, der bis zum Abend dauern sollte. Martin war dem Fürsten beim Umkleiden behilflich, und als er ihm gerade die Schuhe zuschnürte, sagte er mit dem süßesten seiner Töne: „Ich bitte um Vergebung, wenn ich Durchlaucht eine Unbehaglichkeit bereite, aber ich sehe mich leider gezwungen, gegen einen der Jäger … ich glaube, er heißt Praxmaler … ernstliche Beschwerde zu führen. Der Mann hat sich gestern in so ungehöriger Weise gegen mich benommen … er hat allerdings die zweifelhafte Entschuldigung, daß er schwer bekneipt war … aber die Art, in der er sich mit mir zu sprechen erlaubte …“

„War jedenfalls begründet!“ unterbrach ihn der Fürst. „Du wirst den Jäger eben gereizt haben … schon gut, schweige nur, ich bin nicht neugierig. Ich kenne dich, mein lieber Martin! Und deshalb sag’ ich dir ein für allemal: Verschone mich hier im Jagdhaus mit solchem Klatsch! Und laß du die Jäger in Ruhe! So … und jetzt kannst du mir meinen Hut bringen.“

Als der Fürst aus dem Jagdhaus trat, stand Kluibenschädl schon wegbereit vor der Thüre, mit der Büchse hinter dem Rücken.

Auf der Schwelle blieb der Fürst eine Weile stehen, blickte lächelnd hinaus in den reinen zauberhaften Glanz des Morgens und drückte tiefatmend die Hände auf die Brust. „Wie schön! Und diese Luft!“

„Ja, gelten S’, bei uns daheroben, da schnauft man sich leicht! Und ein Tagerl is das heut’, das kann sich sehen lassen! Heut’ müssen wir schon ein bisserl wo ’naufsteigen, damit S’ die richtig’ Aussicht kriegen. Ja, gleich da hinter’m Jagdhaus steigen wir ’nauf, da haben wir den schönsten Reitsteig bis zum Steinernen Hüttl!“

Der Fürst blickte auf, als wäre bei diesem Namen eine Erinnerung in ihm wach geworden. „Zum Steinernen Hüttl?“ Er lächelte. „Gut! Steigen wir hinauf!“

Sie verließen den Hof.

„Wohnen Leute dort oben … beim Steinernen Hüttl?“

„Aber freilich! Der Senn und sein Bub’.“

„Sonst niemand?“

„Gott bewahr’!“

„Wirklich? Niemand sonst?“

„Na! Kein Mensch sonst! Es steht ja bloß die einzig’ Sennhütten droben.“

„Aber gestern am Abend, als ich den kleinen Spaziergang machte … ich glaube, es war auf dem Weg zum Steinernen Hüttl … da kam jemand von dort oben herunter.“ Wieder lächelte der Fürst. „Und das war nicht der Senn. Auch nicht sein Bub’.“

„No ja, wird halt ein Tourist g’wesen sein.“

„So? Meinen Sie?“

„Ja freilich! Wissen S’, Duhrlaucht, da droben is ein Uebergangl vom Zugspitz und von der Knorrhütten ’rüber. Da kommen schon diemal Touristen vom Bayrischen her, ja der Weg is net grob und is gut zum gehn.“

„Auch für Damen?“

„Ah ja! Ich bin schon öfters einer begegnet. Und das muß ich sagen: die haben mir allweil g’fallen. Ich bin net gut auf d’ Weiberleut’ z’reden … aber wenn ich merk’, daß eine ihr Freud’ an der lieben Natur und an die Berg’ hat und noch ein bißl was anders versteht als ihr Kuchlg’schäft, da lupf’ ich mein Hütl gar net ungern. Ein bißl G’rechtigkeit muß der Mensch auch bei die Weiberleut gelten lassen, ja!“

Sie waren zum Försterhäuschen gekommen, unter dessen Thüre der Praxmaler-Pepperl stand, mit hängenden Armen und einwärts gedrehten Fußspitzen: das verkörperte schlechte Gewissen. Sein Gesicht war übernächtig und bleich, nur die linke Wange, auf welcher er im Schlaf gelegen hatte, war rot gefleckt. Scheu blickte er seinem Herrn entgegen, und dieser Blick schien in banger Sorge zu fragen: „Bin ich jetzt schon verklampert oder net?“

Lächelnd nickte der Fürst ihm zu. „Ausgeschlafen, Pepperl?“

Diese freundliche Ansprache verwandelte den Jäger in einen anderen Menschen. Seine Gestalt streckte sich, als wäre ihm jählings alle Müdigkeit der durchwachten Nacht aus den Gliedern geblasen, und dunkle Röte schoß ihm übers ganze Gesicht. „G’rad’ hab’ ich noch ein Stünderl nachg’holt,“ sagte er mit verlegenem Lachen, „denn das is wahr, Herr Fürst, … ja, das muß ich sagen … heut’ nacht, mein’ ich, hab’ ich ein bißl z’viel derwischt!“ Und kleinlaut, als bedürfte diese Thatsache doch einer Entschuldigung, fügte er hinzu: „Enker Wein is halt so viel stark! Allweil brummt’s mir noch ein wengerl unter die Haar!“

Das kam so drollig heraus, daß Ettingen laut und herzlich lachen mußte. Da faßte der Jäger Mut. „Wissen S’, Duhrlaucht, beim Sebensee draußen, da steht unser bester Hirsch! Ein Vierzehnerg’weih hat er droben, nix Schöneres giebt’s nimmer auf der ganzen Welt! Heut’ am Abend schau’ ich mir sein’ Auszug an, und wenn er am richtigen Fleckerl steht, so müssen S’ mit, Duhrlaucht, gleich morgen in aller Fruh! Die Freud’, Herr Fürst, daß S’ Enkern ersten Hirsch mit’m Pepperl schießen … die Freud’, die müssen S’ mir machen! Recht schön thät’ ich bitten drum! Gelten S’ ja?“

„Ja, Pepperl! den holen wir uns morgen!“

In der ersten Freude stieß Pepperl einen klingenden Juchzer aus. Dabei fuhr er mit dem Kopf so derb gegen einen vorspringenden Balken der Hütte, daß der Förster rief: „Hö, hö, hö, laß mir doch wenigstens ’s Häusl noch stehn!“

„Ja, schiergar hätt’ ich’s mit umg’rissen,“ meinte Pepperl, rieb sich die Haare und verschwand mit brennendem Eifer in der Hütte.

Als er nach einer Weile, fertig für den Birschgang, wieder

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0046.jpg&oldid=- (Version vom 3.1.2023)