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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)


Irrenhause vorzog. Diese beiden wurden nach der Zerstörung nach Charenton gebracht, wo sie sicher schlechter aufgehoben waren als in der Bastille. Der Siebente war der Graf von Solages, der als ganz junger Mann ein an Wahnsinn grenzendes abscheuliches Verbrechen begangen hatte und auf Wunsch und Kosten seines Vaters seit 1784 gefangen gehalten wurde. Nach dem damaligen Recht hätte er hingerichtet werden sollen. Er blieb aber als Gefangener der Bastille geheiligt und starb erst 1825 in seiner Familie in Languedoc. Da diese sieben Opfer wenig interessant waren, so erfand die geschäftige Phantasie ein achtes, einen ehrwürdigen Greis und Freiheitshelden, den man den Grafen de Lorges nannte. Er sollte in einem der Kellerverließe gefunden worden sein, aber niemand hat diesen alten Herrn je mit eigenen Augen gesehen. Trotzdem fehlte in der 1888 in Paris aufgestellten sehr interessanten, aber etwas freien Nachbildung der Bastille auch das Verließ mit der Wachsfigur des Grafen de Lorges nicht! Eine konfiszierte Buchdruckmaschine, die man in der Bastille fand, und ein mittelalterlicher Panzer wurden als Folterwerkzeuge ausgegeben. Die Gebeine der im katholischen Kirchhof nicht geduldeten und daher auf der Bastei beerdigten Protestanten, die unter Ludwig XIV in der Bastille ziemlich zahlreich waren, wurden ebenso leichtsinnig als Beweise geheimer Hinrichtungen angesehen. Das alles war freilich thöricht, aber es zeigt wie die ganze Geschichte der Bastille, daß das französische Königtum mit seiner Heimlichthuerei nur das eine erreichte, daß die harmlosesten Dinge zu Ungeheuerlichkeiten aufgebauscht wurden und die geschäftige Fabel die nüchterne Wirklichkeit zu einem phantastischen Zerrbild machte.



BLÄTTER UND BLÜTEN.



Ein Seminar für allgemeine Krankenpflege. Anstalten, in denen Privatpersonen sich in der klinikgemäßen Krankenpflege ausbilden können, bestehen noch nicht in genügender Zahl, so viel Einzelkurse auch da und dort abgehalten werden. Es ist darum ein Verdienst des von Professor Zimmer in Berlin-Zehlendorf gegründeten Evangelischen Diakonievereins, derartige Seminare einzurichten. Kürzlich wurde das siebente in einem Danziger Lazarett eröffnet, wodurch nun der Verein imstande ist, jährlich über 150 Jungfrauen und Frauen von entsprechender Vorbildung in der Krankenpflege zu unterweisen. Die einjährigen Kurse, bei freier Station und freiem Unterricht, zugleich ohne jede Verpflichtung für die Zukunft dargeboten, sind eine vortreffliche Bildungsanstalt für Erwachsene; es haben sich schon viele Bräute von Pfarrern und Aerzten daran beteiligt, um später den Gatten mit ihrer Thätigkeit unterstützen zu können. So ist in den vier Jahren, seit der Verein besteht, über ein halbes Tausend arbeitsfreudiger Kräfte der Krankenpflege in Anstalten und Gemeinden zugeführt worden. Für Mädchen mit Volksschulbildung sind besondere Anstalten, „Pflegerinnenschulen“, eingerichtet, deren Lehrgang ein langsamerer ist. Fragen und Anmeldungen sind zu richten an Professor Dr. Zimmer, Berlin-Zehlendorf.

Armin bei der Seherin. (Zu dem Bilde S. 4 und 5.) Wie die Römer ihre Auguren und Weissager hatten, welche die Zukunft verkündeten nach den Zeichen der Opferschau, so unternahmen auch die Germanen kein kriegerisches Wagnis, ohne vorher die Götter um Rat befragt zu haben; aus den Eingeweiden von Tieren, die am Opferstein von Priestern oder Priesterinnen geschlachtet wurden, erforschten sie die günstige Zeit des Kampfes und den Ausgang desselben, Sieg oder Niederlage. Solche Kunde wurde in der Regel von den Seherinnen offenbart, den Walas oder Albrunen, von denen einige wie Velleda, die Priesterin der Brukterer, sogar einen großen politischen Einfluß hatten; bei den Verhandlungen mit den Römern hat Velleda eine wichtige Rolle gespielt. Nach dem Hain oder Hag, in dem sich die Priesterinnen aufhielten, wurden sie auch Hagadisen genannt. Ferdinand Leeke wurde zu seinem trefflichen Bilde durch F. Stilkes Dichtung von „Rinold und Tuiskomar“ angeregt. Sie schildert uns, wie Armin mit seinen Begleitern die Hagadise aus der Mooshütte im Hage holen und zum Opfersteine geleiten läßt. Hier zündet sie ein Feuer an und setzt den Kessel darüber. Dann holt sie ein schwarzes Huhn, durchschneidet ihm den Hals und läßt das Blut in den Kessel träufeln. Daraus kündet sie Armin und seinen Begleitern, die vor der Entscheidungsschlacht mit Germanicus am Ufer der Weser zu ihr kommen, um die Gunst oder Ungunst der Götter zu erforschen, daß die Reihen der Römer sich zum Rhein zurückziehen werden. „Heil dir, hoher Held, Wodans Erwählter, du Rächer und Retter des stolzen Stammes Tuiskos.“ Freudig vernehmen die Cherusker die Kunde und die Priesterin selbst freut sich so herrlicher Verkündigung. Wohlgelungen ist dem Künstler die erhabene Frauengestalt, die in ihrer göttlichen Sendung aufgeht, nicht weniger die Charakterköpfe der Heerführer, des noch jugendlichen Armin, der ja zur Zeit des Kriegs mit Germanicus noch nicht lange das dreißigste Lebensjahr überschritten hatte, und seiner in höheren Lebensjahren stehenden Begleiter. Auch die Scenerie des Urwalds ist stimmungsvoll: die alte Eiche mit dem mächtigen Stamm und dem weitausgebreiteten Geäst und der Opferstein mit seinen geheimen Orakeln. †     

Die „Harfe“ bei Frauenberg.

Die „Harfe“ bei Frauenberg. (Mit Abbildung.) In dem schönen Mürzthale zwischen den Stationen Bruck und Kapfenberg in Obersteiermark liegt der Wallfahrtsort Frauenberg. In der Nähe des Kirchleins steht im Walde nicht weit vom Wege ein sonderbar gewachsener Nadelbaum, der im Volksmunde die „Harfe“ genannt wird. Er ist eine etwa vierzigjährige Fichte, die in ihrer Jugend vom Sturme oder einem anderen Mißgeschick auf den Boden niedergelegt wurde. Aus dem Hauptstamme, der mit seiner Spitze im Bogen nach aufwärts strebte, wuchsen im Laufe der Zeit neun senkrechte Aeste empor, von denen einer mit dem Hauptstamme an Stärke wetteifert und für sich einen hübschen schlanken Baum abgeben würde. Diese „Harfe“ erinnert in ihrer Gestalt an die „umgewehte Tanne“ im Forstenrieder Park, die wir als einen der „merkwürdigen Bäume Deutschlands“ im Jahrgang 1897 auf S. 291[WS 1] in Bild und Wort unseren Lesern vorgeführt haben. A. S.     

Der Tribut. (Zu dem Bilde S. 9.) Unter der Fahne des Propheten zu einem Volke vereint, unternahmen die Araber im siebenten Jahrhundert ihre Eroberungszüge in Afrika. Aegypten fiel ihnen als leichte Beute zu; denn die aus Kopten und Griechen bestehende Bevölkerung war nicht kriegstüchtig genug, um den fanatischen Scharen erfolgreichen Widerstand zu leisten. In dem reichen Nilthale, auf Stätten uralter Kultur, richteten sich die Sieger häuslich ein, und die Macht der arabischen Statthalter in Aegypten wurde so groß, daß sie später sich von den Kalifen unabhängig machten. In diese Zeiten der Araberherrschaft im Nillande versetzt uns das treffliche Bild von L. Deutsch. Die Abgesandten einer fernen Provinz sind in dem Palasthofe des Statthalters erschienen, um dem Machthaber den schuldigen Tribut zu entrichten. Sie schreiten gegen das Thor, vor dem ein nubischer Krieger Wache hält. Der würdige Greis an der Spitze der Abordnung trägt in einem silbernen Behälter eine Pergamentrolle, auf welcher Versicherungen der Unterwürfigkeit und Treue geschrieben stehen; ernst folgen ihm seine Begleiter,


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Seite 291 ist die Fundstelle in der Halbheft-Ausgabe; in der Wochen-Ausgabe 1897 steht der Beitrag auf Seite 276.



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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0034.jpg&oldid=- (Version vom 11.8.2023)