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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Menschen abgeschieden, und da ihre Augen immer schwächer würden, könne sie auch nur mit Mühe aus der Zeitung erfahren, wie es in der Welt zugehe. Ihre Johanne – dabei blickte sie ihre Pate zärtlich an – habe leider nicht viel Zeit, ihr Gesellschaft zu leisten, und ihre alten Bekannten im Ort seien fast alle weggestorben. Dabei seufzte sie, und über ihr gutes faltiges Gesicht, das halb unter einem schwarzen Tuch vergraben war, ging ein schmerzliches Zucken.

Ich sagte ihr natürlich, es würde mir sehr angenehm sein, wenn sie die warme Mittagssonne hier neben mir genießen wollte, und half der Johanne, sie in einen großen Rohrstuhl mitten in die Sonne zu setzen. Ein Fußbänkchen wurde ihr unter die Füße gestellt, ein dicker wollener Shawl über ihre Knie gebreitet, und erst als sie wie ein kleines wohleingewickeltes Häufchen Unglück mir gegenüber am Tische thronte, verließ uns das schöne stille Mädchen ohne viel Worte, mit ihrem mir schon bekannten nachdenklichen Nicken.

*      *      *

Wir schwiegen erst eine Weile. Der Anblick der kleinen Frau, die bessere Tage gesehen hatte und nun in der zurückgegangenen Wirtschaft krank und einsam auf fremde Hilfe angewiesen war, hatte etwas Rührendes für mich. Zumal sie gar nicht nach Art solcher Kleinstädterinnen sich neugierig an mich machte, sondern still abzuwarten schien, ob ich mich weiter mit ihr zu beschäftigen Lust hätte.

Sie haben da eine rechte Stütze an Ihrer Patin, Frau Wirtin, sagte ich endlich. Ich höre aber, sie will sich verändern. Es wird schwer sein, einen Ersatz für sie zu finden.

Der zahnlose Mund der Alten verzog sich zu einem bitteren Ausdruck von Schmerz und Hilflosigkeit.

Schwer? murmelte sie. Sagen Sie lieber: unmöglich! Nun, ich überleb’ das ja nicht lange. Wie mein Sohn es dann halten will, ob er das Haus verkauft oder den Gasthof fortführt – das ist seine Sache. Junge Leute wissen, was für sie taugt, wir haben es auf unsre Manier gemacht, sie machen’s auf ihre. Das aber ist gar nicht das Schwere. Daß sie so von mir geht, das drückt mir das Herz ab, darüber kann ich mich nicht zufrieden geben.

Wieder das geheimnisvolle „so“, das ich schon von der Magd hatte hören müssen.

Ich denke, Fräulein Johanne will heiraten, sagt’ ich. Sie scheint mir sehr verständig zu sein und genau zu wissen, was sie will. Wie kommt es nun, daß Sie mit ihrem Entschluß nicht einverstanden sind?

Die Alte antwortete nicht sogleich, sah erst traurig vor sich hin, dann blickte sie zu mir hinüber, wie um sich zu vergewissern, daß ich ein Mensch sei, dem man vertrauen könne, und sagte dann: Auch Sie, lieber Herr, würden mit dieser Heirat nicht einverstanden sein, wenn Sie die näheren Umstände kennen würden. Und warum soll ich Ihnen nicht davon reden? Es wissen’s ja alle im Ort, und am Ende – Schande macht’s ihr ja auch nicht, wenn’s auch zu ihrem Unglück sein wird. Denn so zusammenzukommen, nein, das thut meiner Lebtage nicht gut, und daß sie selbst es auch empfindet, das ist ihr ja am Gesicht anzusehen. Eine glückliche Braut sieht anders aus.

Es sollte mir sehr leid thun, sagt’ ich, wenn es so käme, wie Sie fürchten. Man braucht Ihre Pate nicht lange zu kennen, um zu wissen, daß sie einen Mann sehr glücklich machen könnte und wert wäre, den besten Mann zu finden.

Das ist ein wahres Wort, sagte die Alte, und das weiß niemand besser als ich und noch einer, mein armer Sohn, der glücklich gewesen wäre, wenn er sie hätte kriegen können, und weil sie ihn nicht genommen hat, weggegangen ist und sich nicht in seinem Elternhaus mehr hat blicken lassen. Wenn sie nun fort ist, wird er wohl wiederkommen, aber vergessen thut er sie nimmer, das weiß ich bestimmt, und wenn er mal eine andere heiratet – so wie mit der Johanne kann er’s mit keiner finden. Und das ist das einzige, wodurch sie mir jemals Kummer gemacht hat. Denn sonst – eine leibliche Tochter hätte nicht mehr für mich thun und mir treuer beistehen können, und das, was sie jetzt vorhat – du lieber Heiland, es ist ja auch nicht ihr freier Wille, sie wird dazu gezogen von einer Einbildung, die ihr den klaren Verstand verstört hat, und leidet selbst heimlich unter ihrem Eigensinn. Sehen Sie, lieber Herr, andere Mädchen haben zu wenig Gewissen, und sie hat zu viel. Das allein ist schuld an der ganzen unglücklichen Geschichte.

Ich sagte ihr, daß ich aus diesen rätselhaften Andeutungen nicht klug werden könne. Aber wenn es ein Familiengeheimnis wäre, wolle ich nicht weiter fragen, wie das zusammenhinge.

Nein, ein Familiengeheimnis sei es nicht. Die Johanne sei nicht mit ihr verwandt, nur mit ihrer verstorbenen Mutter sei sie gut bekannt gewesen, von der Schule her. Die habe dann aufs Dorf hinaus geheiratet, und wie dies, ihr erstes und einziges Kind gekommen sei, habe sie’s der alten Freundschaft wegen aus der Taufe gehoben, und die Kleine sei auch nach ihr genannt worden.

Und dann – das Dorf liege nur eine halbe Stunde von dem Städtchen entfernt – dann habe die Gevatterschaft es mit sich gebracht, daß sie einander von Zeit zu Zeit besucht hätten, und sie habe großes Gefallen an dem lieben Kinde gehabt, das schon von klein auf brav und gut gewesen sei, nur freilich immer einen eigenen Sinn gehabt habe. Was ihr einmal wichtig gewesen sei, davon habe sie niemand abbringen können, nicht einmal der Herr Pfarrer.

Auch sehr hübsch sei sie schon als Kind gewesen und habe sich immer ordentlich gehalten in ihrem Anzug und saubere Hände gehabt bei aller harten Arbeit, daß sie, die Pate, sich oft verwundert hätte, wie sie’s nur fertig bringe, während andere Dorfmädchen die reinen Schlampen sind. Dabei sei sie nicht eitel gewesen, oder doch nur so viel wie jedes Mädchen sein müsse, die was auf sich halte. Ich hab’ schon damals bei mir gedacht, die wäre einmal eine Frau für meinen Sohn und eine rechte Wirtin für den Bayrischen Löwen, sagte die Alte mit einem tiefen Seufzer. Aber unser Herrgott hat es anders beschlossen gehabt.

Sie hat sich als junges Ding besonders mit zwei Spielkameraden abgegeben, der eine war ein paar Jahre älter als sie, der Firmian vom Großbauern, ein hübscher Bub, groß und stark, aber ein bißchen langsam von Begriffen und in der Schule immer zurück. Der andere war der Sohn einer Taglöhnerin, ein lediges Kind, kleiner als der Firmian und grad so alt wie die Johanne, aber ein aufgeweckter Bursch, dieser Veit. Es hieß, seine Mutter, die eine durchtriebene Person war, habe sich mit dem Forstmeister eingelassen, der hat sich aber von ihr weggeleugnet und hat für den Buben nichts thun wollen. So ist er der Gemeinde zur Last gefallen, nachdem die Mutter gestorben war; man hat ihn beim Dorfschneider untergebracht, der ihm mehr Prügel als gute Bissen gab, was er auch verdient haben mochte, denn er steckte voll unnützer Streiche. Dabei war er aber immer kreuzwohlauf und duckte sich auch nicht vor den anderen Buben, die ihre richtigen Eltern hatten und ihn gern beiseite geschoben hätten. Besonders mit dem Firmian raufte er gern und hänselte ihn wo er konnte, zumal er auch in der Schule über ihm saß und der Lehrer ihm seine Unarten hingehen ließ wegen seines anschlägigen Kopfs trotz seiner Faulheit.

Um die kleine Johanne strich er immer herum wie der Hahn um die Henne. Sie aber, obwohl sie damals eine wilde Hummel war, was man ihr jetzt nicht mehr zutraut, hat sich nichts aus ihm gemacht. Sein schlechter Aufzug und das schmutzige Hemd waren ihr zuwider, und sie zog ihm den Firmian vor, schon weil der so viel von dem nichtsnutzigen Buben zu leiden hatte. Denn Sie müssen wissen, sagte die Frau, sie hat schon als ganz junges Ding ein gar mitleidiges Herz gehabt. Wenn sie gesehen hat, daß es einem Schwächeren schlecht ging von einem groben Lümmel, das brachte sie in hellen Zorn, und wenn’s nur ein kleiner Köter war, dem ein großer Schlächterhund das Fell zauste. So hat sie auch dem Firmian immer beigestanden, so oft der Veit ihn zum Narren machte oder beim Balgen ihm ein Bein stellte.

Das zog sich so hin, bis sie alle aus der Schule waren und gefirmelt wurden. Dann ist der Veit vom Dorf weggekommen, nach Nürnberg, wo er einen Onkel hatte, der war Obergesell bei einem Kunstschreiner. Da sollte er das Handwerk lernen, und man hörte auch, daß er sich ganz gut dazu anließ, auch keine

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0024.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)