Seite:Die Gartenlaube (1899) 0003.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

der gezahnte, stundenlange Grat des Wettersteingebirges, im Glanz der Sonne wie ein goldenes Gebild erscheinend. Je weiter und weiter das sich hinzog, desto blauer tönten sich die Felsen, so daß sie in der Ferne mit der golddurchwobenen Farbe des Himmels fast in eins zerflossen.

„Wie schön!“ Tief atmend hatte der Fürst dieses Wort vor sich hingesprochen; und als die Kutsche über die leicht fallende Straße niederrollte, lag er nicht mehr mit stillem Brüten in die Kissen des Wagens versunken, sondern schickte in lebhafter Achtsamkeit die Augen nach allen Seiten auf die Reise.

Eine Weile führte der Weg zwischen einem latschenbewachsenen Hang und dem Ufer der Ache dahin, nun wieder durch schütteres Gehölz und dann im Bogen über eine weite Blöße gegen ein Waldplateau empor, in dessen Mitte, wie aufsteigender Rauch verkündete, das von mächtigen Fichten umschützte Jagdhaus stehen mußte. Der Fürst beugte sich aus dem Wagen, um besseren Ueberblick zu haben – er schien gespannt auf das Jägerheim, das ihm die Fürsorge eines Freundes in dieser Bergeinsamkeit erworben und bereitet hatte. Als sich die Kutsche einem aus Steinen am Waldsaum erbauten Stalle näherte, hörte man unter den Bäumen eine erregte Männerstimme rufen:

„Er kommt! Er kommt!“

Der Fürst lächelte. Da waren wohl Vorbereitungen für einen feierlichen Empfang getroffen?

Etwa hundert Schritte ging der Weg noch durch schattigen Hochwald, dann traten die Bäume auseinander, im Kreis das sanft geneigte, von heller Sonne überglänzte Weidefeld der Tillfußer Alm umschließend. Inmitten des Feldes lag eine steinerne Sennhütte mit rauchendem Schindeldach – und vor der Thür der Hütte stand mit gekreuzten Armen eine junge Sennerin, die dem anfahrenden Wagen neugierig entgegenblickte.

Der Kutscher stieß den Lakai mit dem Ellbogen an und blinzelte gegen die Hütte hinunter. Martin reckte den Hals, doch eines der Jägerhäuschen, welche dicht neben dem Wege standen, verdeckte ihm die Aussicht.

Kleine Fähnchen mit den tiroler Farben schmückten die Giebel der Jägerhütten, eine Flagge wehte auf dem Dach des größeren Fremdenhauses, und ein hoher, von grüner Fichtenguirlande umschlungener Mast, auf welchem zwischen der deutschen und der österreichischen Fahne eine Flagge mit den Farben des fürstlichen Hauses flatterte, erhob sich vor dem Staketenzaun, der den Hofraum des großen, zweistöckigen Jagdhauses umschloß. Auf einem das Almfeld überblickenden Hügel ruhend und angelehnt an den bergwärts steigenden Fichtenwald, grüßte das schmucke, mit rötlichem Zirbenholz verschalte Gebäude freundlich seinem jungen Herrn entgegen, leuchtend in der Sonne, mit blinkenden Fenstern und halb versunken in einen gutgemeinten, aber nicht besonders zierlich geratenen Aufputz von Kränzen und Guirlanden, an denen in dicken Büscheln die roten Tannenzapfen baumelten.

Neben der Hausthür hatten in schmucker Feiertagstracht fünf Jäger Aufstellung genommen, und vor ihnen, wie ein Korporal vor seinen Rekruten, stand der Förster, dessen Rang nicht nur das goldene Emblem auf dem Joppenkragen, sondern auch der würdige Ernst in Haltung und Miene erkennen ließ – eine klobig stramme Gestalt mit breiten Schultern, ein derbes Gesicht mit rötlich gekraustem Vollbart und mit braunen Augen, gutmütig wie Kinderaugen; doch ein paar verdächtig angeschwollene Aederchen an Stirn und Schläfen ließen vermuten, daß der Förster zeitweilig an „gachen Hitzen“ zu leiden hatte.

Als die Kutsche in den Hofraum einfuhr, warf der Förster noch einen musternden Blick über die Jäger, welche die Köpfe entblößten, dann schwang er den Hut und rief mit einer Stimme, welche heiser gegen seine Aufregung kämpfte: „Unser neuer, hochverehrter Jagdherr, Seine Duhrlaucht Fürst Heinrich Ettingen-Bernegg, er lebe hoch!“

Die Stimmen der Jäger fielen ein. Nur ein einziger von ihnen schwieg und blickte dem anfahrenden Wagen gleichgültig entgegen: doch als er den Fürsten sah, streckte sich seine Gestalt, und der Blick seiner Augen schärfte sich, als gäbe ihm der Anblick seines jungen Herrn zu denken.

„Hoch! Hoch!“ klangen die Stimmen der anderen. Dann kam noch ein unerwarteter Nachklang, drunten bei der Sennhütte, hell wie der Ton eines Silberglöckleins: „Hooooch!“ Und diesem Ruf folgte ein Jauchzer, der hinaufkletterte bis in die höchste Stimmlage einer kräftigen Mädchenkehle.

Die Jäger schmunzelten, während der Förster etwas aus der Fassung geriet, denn er schien nicht recht zu wissen, ob diese programmwidrige Zugabe zur Empfangsfeierlichkeit ernst oder spöttisch gemeint war. Aber der Fürst lächelte, und freundlich grüßend nickte er der Sennerin zu, welche kichernd um die Ecke der Almhütte verschwand.

Der Lakai war vom Bock gesprungen und hatte den Wagenschlag geöffnet.

Der Fürst stieg aus, und nun sah man erst, wie kräftig und schlank er gewachsen war. Der schlichte Jägeranzug aus schottischem Loden, mit kurzen Bundhosen und hohen braunen Schnürschuhen, paßte kleidsam zu dieser jugendlichen Gestalt, aus der alle Schwäche und Ermüdung plötzlich verflogen schien. Er bot dem Förster die Hand. „Ich danke Ihnen! Das ist ein lieber Empfang, den Sie mir bereitet haben!“ Freundlich bestaunte er den etwas plump geratenen Schmuck des Hauses. „Und wie hübsch Ihnen das gelungen ist! Wirklich, Sie haben mir die Ankunft im Jagdhaus zu einer Freude gemacht.“

Der Förster bekam ein Gesicht so rot wie ein Krebs, der im besten Kochen ist. „Is’s wahr? G’fallt’s Ihnen? No, Gott sei Dank! Da is mir ein ganzer Stein von der Seel’! Denn daß ich’s g’rad’weg raussag’ … auf d’ letzt hab ich schon selber ein bißl g’forchten, es g’fallt Ihnen net. Unsereins versteht sich halt schlecht auf solchene Deggerazionsg’schichten … P’lagt haben wir uns freilich g’nug, aber ang’stellt haben wir uns alle miteinander wie der Holzknecht, wenn er ein Grillenhäusl macht! Aber Gott sei Dank … weil’s Ihnen nur g’fallt!“ Er nahm die Hand des Fürsten in den Schraubstock seiner Fäuste. „Und da sag’ ich halt jetzt Grüßgott und Weidmanns Heil, Herr Fürst! Jetzt lassen Sie’s Ihnen halt gut gehn bei uns da heraußen! Wissen S’, wir haben uns schon verzählen lassen, wie schwer krank als S’ g’wesen sind … ja, meiner Seel, und ein bißl g’ring schauen S’ auch noch aus am Leib … wie ein Hirscherl, das mit knapper Not über ein’ schiechen Winter nüber g’rutscht is!“

Der Lakai warf einen erschrockenen Blick auf seinen Herrn.

Der aber betrachtete den Förster mit offenem Wohlgefallen.

„Aber passen S’ nur auf, Duhrlaucht, unser Lüftl da heraußen, das richt’ Ihnen schon wieder z’samm auf’n Glanz!“

Der Fürst lächelte. „Ja, ich merk’ es schon jetzt: ich werde mich wohlfühlen hier! Die Luft, in welcher Sie sich so kerngesund ausgewachsen haben, wird auch mir bekommen!“ Er gab dem Lakai einen Wink, ins Haus zu treten. „Aber nun will ich meine Jäger kennenlernen. Ich bitte, mein lieber … wie heißen Sie, Herr Förster?“

„Kluibenschädl!“

Der Fürst schien nicht zu verstehen. „Wie, bitte?“

Verlegen schwieg der Förster, und sein rotes Gesicht wurde noch röter. Dann platzte er heraus: „Wenn Duhrlaucht nix dagegen haben … ich heiß halt einmal Kluibenschädl! Da is nix dran z’ ändern!“

Der Fürst konnte nur schwer seinen höflichen Ernst bewahren. „Mein Ohr ist nicht gewöhnt an die hier üblichen Ausdrücke und Namen,“ sagte er, „verzeihen Sie also, Herr Förster, wenn ich nicht gleich verstanden habe.“

„Klui–ben–schädl!“ buchstabierte mit etwas gereizter Deutlichkeit der Förster, dem die Adern an den Schläfen schwollen.

„Jetzt hab’ ich verstanden!“ Erheitert bot Ettingen dem Förster die Hand. „Aber wollen Sie nun die Güte haben, mir die Jäger vorzustellen?“

Der Förster trat vor seine Leute hin. „Bitte, Duhrlaucht … die ersten zwei, das sind der Kassian Birmoser und der Krispin Ruef, die zwei Jäger von Leutasch draußen. Der dritte da, das is der Sylvester Beinößl, der Jäger von Ehrwald drunten. Und die letzten, das sind die zwei Tillfußer Jäger, der Toni Mazegger und der Praxmaler-Pepperl.“

Der Fürst hatte jedem Jäger die Hand gereicht und jeden mit prüfendem Blick betrachtet. Mazegger und Praxmaler schienen sein besonderes Interesse zu erwecken. Die beiden standen nebeneinander, wie unfreundlicher Schatten neben warmer, gesunder Helle. Mazegger, der jüngste von allen, mochte etwa dreiundzwanzig Jahre zählen. Recht auffällig unterschied sich seine

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0003.jpg&oldid=- (Version vom 19.1.2024)