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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

„Es ist freundlich von Ihnen, daß Sie mir Gelegenheit geben, Ihnen nochmals zu danken,“ erwiderte sie auf seine etwas verworrene Begrüßung und reichte ihm die Hand. „Sie haben sich mir in einer trüben Zeit gütig erwiesen, das vergißt man nicht. – Also durch Frau Konsul Preusch haben Sie von uns gehört? Ich dachte es mir schon. – Ich verdanke ihr ja auch die erste Bekanntschaft mit Ihren Dichtungen,“ fügte sie mit einem leichten Erröten hinzu.

„Ja,“ begann Franz Hertel entschlossen, „Frau Konsul Preusch hat mir auch erzählt, wie Sie zu Ihren köstlichen Blumenstücken veranlaßt wurden – durch die Sträuße jenes Jungen, dem Sie damals mein Amt übertrugen. Gestatten Sie mir, daß ich ein Versäumnis dieses Glücklichen nachhole. Sie erinnern sich vielleicht, daß er am letzten Tage seines Dienstes – am Tage Ihrer Abreise von Grünau ohne Entschuldigung ausblieb. Hier ist der versäumte Tribut – leider sehr schlecht erhalten, wie Sie sehen. Der Schlingel sollte Ihnen dazu noch etwas von mir überreichen – eine thörichte gereimte Huldigung an die Namenlose, deren Namen ich wenigstens so gern gewußt hätte.“

Bestürzt blickte Maria von Berthen auf das kleine Bündel trocknen Heidekrauts hin, das in dem Seidenpapier vor ihr lag. „Wenn ich Sie recht verstehe,“ begann sie unsicher, „so stammten also auch jene Sträußchen alle von Ihnen? – Dann habe ich Ihnen ja wohl doppelt zu danken. Der arme Junge kommt freilich dabei um seinen Ruhm,“ fuhr sie mit einem schwachen Lächeln fort. „Aber ich verstehe nicht recht, weshalb Sie –“ sie stockte und sah ihn mit einem fast unwillig fragenden Blick an.

„Sie meinen: weshalb ich jetzt meine Urheberschaft geltend mache?“ entgegnete Franz. „Ich versichere Sie, daß ich es nicht aus Eitelkeit thue, um den armen Jungen um seinen Ruhm zu bringen, wie Sie sagen. Aber die bedauerlichen Folgen meines Versteckspiels, das ich gewiß nicht böse gemeint hatte, muß ich doch auf mich nehmen, nicht wahr? Und ich danke dem Himmel, daß mir endlich jetzt möglich wird, was Ihre Abreise – und meine Unkenntnis Ihrer Adresse damals verhinderte: Sie aufzuklären und um Verzeihung zu bitten wegen der albernen Kränkung, der ich Sie leider – leider aussetzte.“

Mit dem Ausdrucke ehrlichster Verwunderung blickte sie ihm ins Gesicht. „Nun verstehe ich Sie aber gar nicht mehr,“ sagte sie. „Wovon, von welchen Kränkungen reden Sie denn? Ich bitte um Aufklärung. Sie sind mit Ihren Gedanken wohl ganz bei Ihrem Drama? Da wird ja wohl viel von Kränkungen und übler Nachrede erzählt.“

„Von übler Nachrede muß ich denn wohl leider erzählen,“ versetzte er seufzend. „Am besten ist es, wenn ich Sie bitte, meine Beichte von Anfang an zu hören.“ Und ohne eine andere Antwort als von ihren freundlich fragenden Augen abzuwarten, begann er zu „beichten“ – mit Kunst und Auswahl, wie es sich für einen Dichter schickt; aber er konnte es doch nicht verhindern, daß sie bei der Schilderung seiner heimlichen Arbeit für sie bis unter die goldblonden Flechten errötete, und daß sich die schöngeschwungenen Lippen in verächtlichem Zorn zusammenpreßten, als er zögernd nur in Andeutungen die pikanten Neuigkeiten von Fräulein Helene wiedergab.

Im ganzen aber hörte sie ihm ruhig zu, mit der Miene lächelnden Staunens, und als er zum Schlusse eine wirkungsvolle Schilderung seiner Gewissensbisse unternahm, schnitt sie ihm mit einem köstlichen silberhellen Lachen die Rede ab.

„Aber das ist ja ein wunderliches Mißverständnis, Herr Doktor,“ rief sie. „Ich kann Ihnen versichern, daß ich von all diesen Leistungen müßiger Uebelrede erst durch Sie erfahre! – Daß Sie darunter gelitten haben, bedauere ich natürlich tief.“

„Wie,“ fragte er, „Sie hätten von all dem – “

„– wirklich nichts gemerkt,“ fiel sie ein. „So wenig wie ich, dank der Verschwiegenheit unseres barhäuptigen kleinen Geschäftsträgers, bis jetzt wußte, wer mir in Wahrheit die schönen Modelle zu meinen ersten Waldblumenbildern lieferte. – Es mag ja sein, daß ich ein gewisses Talent habe, Tuscheln und Winken hinter meinem Rücken nicht zu beachten. Man lernt das, wenn man arm ist,“ fügte sie ernst, aber ohne Bitterkeit hinzu.

„Aber daß man Ihnen deshalb die Wohnung kündigte –“

„– ist eben auch eine Erfindung Ihrer Waschfrauen, oder was die Damen sonst sein mögen. Wir reisten einfach ab, weil durch den Tod meiner Vorgängerin mein Platz im Stift freigeworden war. Nochmals – beruhigen Sie sich: Sie haben die Aufregung und den Aerger über die bösen Zungen von Grünau ganz allein getragen. – Und das finde ich eigentlich ungerecht,“ setzte sie mit einem schalkhaften Lächeln hinzu; „denn eigentlich – ich meine, eigentlich war ich’s ja doch, die mit der ersten Bitte um Ihre Blumen das ganze Unglück anstiftete!“

Diese Bemerkung und der Blick, mit dem sie ihn dabei ansah, erfüllten das erleichterte Herz des Dichters mit einem ahnungsvollen Entzücken; aber trotzdem war er noch nicht ganz zu Ende mit seinen Zweifelfragen. „Aber wenn dem so ist, warum mußte ich denn überhaupt zu gunsten des Jungen abdanken?“ fragte er. „Ich besitze die Entlassungsurkunde noch. Und ich hätte Ihnen doch so gerne die Blumen weitergebracht!“

Die schöne Stiftsdame nestelte einen Augenblick verlegen an ihrem Armband herum; dann erhob sie die Augen wieder zu ihm und sagte: „Das muß ich Ihnen denn freilich auch noch erklären, schon meiner Mutter wegen, ehe ich Sie mit ihr bekannt mache. Es war nämlich um ihretwillen. Ich hatte ihr von vornherein vorerzählt, daß ich die Sträußchen von einem Jungen gekauft hätte; und ich war immer sehr besorgt, daß sie die Wahrheit merken könnte. Denn meine Mutter ist kränklich, wie Sie wohl wissen; und Krankheit macht ängstlich. Da war es mir eine glückliche Fügung, daß ich eines Tages wirklich so einen Jungen fand .... Und also, nicht wahr, Sie verraten meiner Mutter nichts von unserer ersten Bekanntschaft? Näheres von mir haben Sie ja auch erst bei Frau Konsul Preusch erfahren!“


10.

Bei dieser gemeinsamen Freundin lernten sie sich denn in den nächsten Wochen noch um vieles näher kennen – auch am Krankensessel von Marias Mutter, auf Spaziergängen und wer weiß wo; und wenn sich einmal eines von ihnen allein bei der Freundin fand, so redete es zumeist nur vom andern.

Die Frau Konsul hatte an diesen Gesprächen eine Zeit lang großes Gefallen, nach einigen Wochen wurden sie ihr aber doch zu „thatenlos“, und als eines Abends – es war zwei Tage vor der ersten Aufführung seines Lustspiels – Franz Hertel wieder einmal vor dem gemalten Immerschönsträußchen stand und sich in Bewunderung erging, klopfte sie ihn auf den Arm und sagte: „Hören Sie mal, mein lieber Freund, Rückert oder sonst einer von Ihren seligen Kollegen behauptet zwar, nur ein Dichter könne von der Dame seines Herzens reden, ohne die Hörer zu langweilen; aber ich finde, auf die Dauer langweilt es auch bei Dichtern. Thun Sie mir den Gefallen, ehe Sie mir ganz unausstehlich werden: gehen Sie doch morgen vormittag zu Frau von Berthen und halten Sie der – und Maria den Vortrag mit Motiven! Vielleicht wirkt er da noch durch den Reiz der Neuheit. Ich glaube Ihnen sogar versichern zu dürfen, daß er wirkt.“

Worauf Franz Hertel sich umwandte, ihr lange mit tiefsinnigem Ausdruck in das lachende Antlitz schaute, ihre Hand küßte und sich bald empfahl.

Am folgenden Morgen saß die Frau Konsul mit Maria in deren Wohnung am Fenster und plauderte scheinbar höchst unbefangen, während sie mit einem ihren resoluten Grundsätzen ganz widersprechenden Vergnügen das befangene, zerstreute Wesen der jungen Freundin beobachtete. Plötzlich erhob sie sich. „Nun muß ich aber aufbrechen, liebes Kind,“ sagte sie, „denn ich möchte der alten Dame an dem Fenster drüben noch gerne einen Besuch machen, damit die Spioniererei doch mal aufhört. Ich will ihr bestellen, daß sie das Telegramm an die Schwester nur ruhig absenden soll.“

„Mein Gott, Frau Konsul, wie kommen Sie auf solche Einfälle?“ fragte die junge Stiftsdame erschrocken.

„Nun, wissen Sie,“ antwortete die Frau Konsul, „ich sah da eben den Doktor Hertel um die Ecke biegen, im schwarzen Opferkleide mit weißer Halsbinde; er trug einen großen Strauß Waldblumen – in welcher Gärtnerei er die wohl um diese Zeit aufgetrieben hat? – und wenn ich nicht irre, klingelt er eben draußen bei Ihnen. Da will ich lieber gehen, denn mir ahnt was. Wissen Sie, im Ahnen und Deuten sind wir groß, wir – bösen Zungen!“


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