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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Skabiosen, rote Kuhblumen und gelben Waldklee beschränkt sieht, so läuft man auch bei der größten Kombinationsgabe doch leicht Gefahr, sich zu wiederholen. Noch aber war ein Notbehelf in Menge vorhanden – das Heidekraut, oder wie es mit seinem alten deutschen Namen so sinnvoll heißt, das Immerschön, mit seinem zierlichen, zumal bei Lampenlicht in so wundervollem Grün strahlenden Gefieder, mit den zarten, gleich gotischen Spitztürmchen aufsteigenden Blütenrispen und dem kräftigen, lebensfrohen Duft.

Als der Sommersprossige eines Abends in der Hand seines Gönners nur einen sorgsam komponierten Strauß Immerschön entdeckte, blickte er verächtlich darauf und sagte: „Herrje, das ist ja Besenheide! Na ja, nun ist’s überhaupt mit den Blumen bald alle. Unser Fräulein merkt wohl auch so was. Sie bestellt ab.“

„Was meinst du damit, Junge?“ fragte der Dichter erschreckt.

„Sie hören es ja,“ erwiderte der Junge. „Sie bestellt ab. Morgen soll ich zum letztenmal kommen. Möglich, daß die kranke Frau es nicht mehr braucht.“ Damit steckte er seinen Nickel ein und trollte gefühllos pfeifend davon.

Diese Neuigkeit brachte in Franz Hertels Seele einen großen Entschluß zur Reife. Als er am folgenden Abend an der Ecke erschien, trug er außer einem zierlichen Strauß Immerschön ein Briefchen bei sich, das in den anmutigsten Versen der schönen Namenlosen huldigte und zum Zeichen ihres Verzeihens um eine Zeile mit ihrem Namen flehte. Das Gedicht brauchte sich der Unterschrift Franz Hertels wahrhaftig nicht zu schämen; wenn die Florentinerin noch eine Spur weiblicher Eitelkeit besaß, so mußte sie die Bitte erfüllen, zumal auch das Geheimnis der späteren Sträußesendungen darin in einer spannenden Weise mehr gestreift als enthüllt wurde. Dieses Briefchen sollte der Bote zugleich mit dem letzten Strauß überreichen und sodann, mit bewährtem Geschick, durchbrennen, ohne sich auf weitere Fragen einzulassen. Aber kein Junge ließ sich sehen, obgleich Franz Hertel anderthalb Stunden an der Ecke wartete. Wahrscheinlich war das Wetter sogar dem Sommersprossigen zu schlecht gewesen; denn ein abscheulich kalter, scharfer Nordoststurm pfiff durch die Gassen; dem Wartenden brannten die Wangen, wie wenn sie mit Eis abgerieben wären, nur mit Mühe hielt er zuletzt in den frostklammen Händen noch die zitternden Heidezweige fest, von denen der Wind die rotweißen Blütenknöpfchen längst alle abgerissen hatte. Es blieb ihm nichts übrig, als nach Hause zu gehen. Dabei widerstand er der Versuchung nicht, den Weg durch das Brezelgäßchen zu nehmen. Hier, in den schadhaften hohen Dächern der alten Hinterhäuser, heulte der Wind ganz greulich: und deutlich klang durch das Geheul aus dem kleinen Häuschen, hinter den Holzläden mit dem schmalen Lichtstreif her, ein scharfes Klopfen wie wenn eine Kiste zugenagelt wird – oder sonst etwas Hölzernes. Den Dichter durchzuckte es mit jedem Hammerschlag, eine unheimliche Vermutung stieg in ihm auf, und er mußte hart mit sich kämpfen, daß er nicht an das Pförtchen pochte, um sich zu vergewissern, daß da drinnen das blühende junge Leben noch nicht mit dem Tod zusammenwohne.

Als er eben das Ende der Gasse erreicht hatte, bog vom andern Ende eine schwerfällige Droschke ein und arbeitete sich mühsam, unter lautem Fluchen des Kutschers, auf dem holprigen Pflaster bis zu dem ehemaligen Kirchhofthor durch.


5.

Ueber Nacht schlugen Wind und Wetter um. Als Franz Hertel am Morgen das Fenster öffnete, rieselte draußen ein unendlicher Landregen nieder. Mit dem Blumenpflücken war es nichts mehr – aus allen Gründen. Mißmutig setzte er sich hinter ein Buch, ohne recht zu verstehen, was er las. Noch nie hatte er die niederdrückende Wirkung des ersten trübfeuchten Herbsttages so empfunden.

Aus seinem schwermütigen Brüten wurde er durch den Besuch einer Frau aufgeschreckt, die das einladende Herein gar nicht erst abwartete und überhaupt nicht aussah wie der Genius, der Höflichkeit. Sie war nach Art der Hökerinnen gekleidet, das feuerrote Gesicht von einem ungeheuren bunten Kopftuch umrahmt, führte in der einen Hand einen triefenden Regenschirm und in der andern einige Bündel Mohrrüben. Das Merkwürdigste an ihr aber war die Beweglichkeit ihrer Sprechwerkzeuge, welche bei den ersten Worten jeden Versuch einer Gegenrede als aussichtslos erkennen ließ.

„’n Tag,“ begann sie, „ich bin hier ja wohl recht beim Herrn Doktor Hertel, nicht wahr? Und Sie sind ja wohl der Herr, der meinem Jaköbchen alle Tag Geld gegeben hat, und das Fräulein in der Brezelgaß hat ihm auch Geld gegeben, damit daß er die Sträußchen und so was von Ihnen an das Fräulein bringt, nicht wahr? Dann wollt’ ich Ihnen nur sagen, Herr Doktor, daß ich mir so was verbitte, denn es ist unmoralisch und es führt die Kinder auf Abwege, wenn man ihnen so Geld in die Finger giebt; was meinen Sie wohl, wie viel mein Jaköbchen in der letzten Zeit durch Sie vernascht hat? Und so kommen sie dann ans Naschen, und von da kommen sie ans Stehlen, wie das Jüngste von meinem Vetter Wilhelm, nicht wahr? Und überhaupt muß ich sagen, das ist eine unmoralische Geschichte, wenn man dann noch so einem Kind von vierzehn Jahren sagt, es soll nichts davon sagen: du lieber Gott, hätten Sie ihm noch gesagt, er sollt’ das Geld seiner armen Mutter geben, die sich den ganzen Tag für ihre Würmer abrackern muß, dann wollt’ ich noch gar nichts sagen, denn man muß seinen Mitmenschen behilflich sein; die vornehmen Leute, die haben manchmal so Bestellungen und Heimlichkeiten untereinander, man kennt das ja, ich bin auch einmal jung gewesen, nicht wahr? Aber so, wo der Junge alles verschleckt, und wird noch angehalten, daß er es nicht verrät, und ich krieg’ es gestern nur so durch Zufall heraus und muß mich an ihm müd’ prügeln, eh’ er mir sagt, wo er das viele Geld her hat – ne, Herr Doktor, das ist nichts Moralisches mehr, und wenn Sie noch mal was zu bestellen haben, dann suchen Sie sich gefälligst einen anderen, und das können Sie auch dem Fräulein Braut bestellen und können ihr sagen, das hätt’ die Frau Schmitz gesagt, nicht wahr?“

Bei den letzten Worten tippte sie sich nachdrücklich mit dem Mohrrübenbündel vor die Brust und verschwand sogleich hinter der Thür, die sie mit kräftiger Faust zuschlug. Franz Hertel war überhaupt nicht zu Wort gekommen, es dauerte sogar noch eine Weile, ehe er zum Verständnis des Gehörten kam. Alsdann kleidete er sich mit besonderer Sorgfalt an und begab sich auf den Weg nach dem Brezelgäßchen, um eine Pflicht zu erfüllen, die für sein Gefühl nach dem, was er eben vernommen, ganz selbstverständlich war: die junge Dame um Verzeihung zu bitten für das unvorsichtige Spiel, durch das er sie den moralischen Betrachtungen alter Weiber mit Mohrrüben in der Hand ausgesetzt hatte.

Als er vor dem wohlbekannten Häuschen anlangte, waren die Holzläden zurückgeschlagen und ließen dem Blick freien Einlaß durch die gardinenlosen, saubergeputzten Fensterscheiben in die niedrigen, einfach ausgestatteten Räume. Hinter einem der Fenster war ein Mann in Eisenbahnuniform eben damit beschäftigt, einen großen gedruckten Zettel anzukleben: „Möblierte Wohnung zu vermieten. Bescheid im Nebenhause.“

Trotz allem Mißlichen, das diese neue Entdeckung für ihn bedeutete, seufzte Franz Hertel aus tiefster Brust erleichtert auf: das Klopfen am gestrigen Abend erklärte sich durch den Umzug der bisherigen Bewohnerinnen ganz harmlos.

Der Mann am Fenster drinnen schien in dem salonmäßig gekleideten Herrn einen ersten und besonders Vertrauenswerten Bewerber um die Wohnung zu ahnen. Mit einer höflichen Verbeuguug verließ er seinen Posten und öffnete das Hauspförtchen.

„Sie wollen sich wohl die Wohnung ansehen, mein Herr? Entschuldigen Sie, bitte, einen Augenblick – ich will meine Frau herüberholen, sie weiß besser Bescheid: ich selber bin nämlich meist dienstlich abwesend. Wenn Sie sich, bitte, inzwischen schon hinein bemühen wollen – entschuldigen Sie nur die Unordnung; die Damen, die bisher hier wohnten, sind erst gestern abend abgereist, ich kam gerade von der Reise, als sie in die Droschke stiegen. Einen Augenblick, bitte!“

Damit eilte er nach dem andern Häuschen hinüber, während Franz Hertel mit einer gewissen Scheu das kleine Wohnzimmer betrat. Von Unordnung konnte eigentlich kaum die Rede sein: in seinem eigenen Arbeitszimmer sah es auch ohne Umzug selten so aufgeräumt und ordentlich aus. Er hatte aber keine Zeit, sich langen Betrachtungen hinzugeben: denn bereits hörte er hinter sich den Beamten zurückkehren, im halblauten Gespräch mit seiner Frau. Als Franz Hertel sich umwandte, erkannte er mit einigem Schrecken

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