Seite:Die Gartenlaube (1898) 0863.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

„Hört mich, Mitbürger,“ sagte Schlüter gelassen, „und dann entscheidet! Es droht ein Anschlag gegen unsere Stadt, und sollten auch die Zeichen trüglich sein – wir müssen uns auf alle Fälle sichern. Ich habe mannigfache Kunde von hier und dort – und was ich daraus schließen muß, ist ernster Art. Auf der Elbe geht etwas vor – es geschehen Ueberfahrten von Altona nach Grefenhof; dort wird von dänischen Offizieren ein Blockhaus mit Schanzen errichtet. Dänische Schiffe gehen nach Glückstadt, Schanzzeug und Granaten zu holen. In Othmarschen und Ottensen ist Belagerungszeug angekommen. Im Holsteinschen ist an 1800 Höfe Befehl erlassen worden, je einen Schanzarbeiter mit Gerät zu stellen; dänische Truppen ziehen an die Elbe und gegen Itzehoe; Dragoner zeigen sich bei Oldesloe. Vierzehnpfündige Kanonen mit Munition gingen nachts durchs Holsteinsche, niemand weiß wohin, und hinter Ottensen stecken sie ein Lager ab: all das muß gerechte Bedenken erregen und es gilt vor allem, die Stadt selbst zu sichern.“

Es trat eine Pause ein; alle gingen mit sich zu Rate, und es gab manche Frage- und Ausrufungszeichen in den Gesichtern. Der Nachbar flüsterte dem Nachbar zu; dann heftiges Mienen- und Gebärdenspiel. Der Bürgermeister blickte prüfend auf die Versammlung; er schien seiner Sache sicher zu sein; endlich würden der Rat und die Dreißiger zusammenstimmen.

Da rief Jastram, in der Mitte der Bürgerschaft, unter der Krone des Saales, wolle er sich henken lassen, wenn Dänemark Hamburg feindlich überziehe, und trete der Däne kriegerisch auf, so sei es nur zu gunsten der Stadt. Auch Snitger versicherte, es sei unmöglich, dergleichen hätten nur die Meurerischen ausgedacht. Da regte sich der alte Groll gegen die vornehmen Geschlechter, die stets im Rücken der Stadt für das abgesetzte Oberhaupt Ränke spannen, und mit großer Mehrheit wurde beschlossen, die Truppen auf den Werdern zu lassen zur Abwehr gegen Lüneburg und nicht in die Stadt zu ziehen.

Doch in diesen heißen Augusttagen lastete der dänische Alp auf allen Gemütern, und es schien, als ob der Hundsstern droben sie in Verwirrung brächte – es war ein Horchen und Lauschen überall; jede neue Kunde wurde aufgegriffen, weitergetragen, von der einen oder der andern Partei zu Nutz und Frommen gedeutet. Furcht und Zweifel sind zwei Schlangenköpfe, die stets einen langen Leib und Schwanz hinter sich haben, und so wuchs die Meurerische Partei und zeigte überall ihre Giftzähne.

Jastram aber stürzte in das Haus des dänischen Residenten. Jngeborg kam ihm liebevoll entgegen; doch finster drohend sah er sie an. Ein schreckhafter Argwohn regte sich in ihm – wenn die Gerüchte Wahres kündeten, so war sie ja nichts als eine hinterlistige Buhlerin. Doch nein, es konnte nicht sein – edle Offenheit lag ja in ihren Zügen, und ihre Seele kannte kein Arg. So grüßte er sie mit Kuß und Umarmung, teilte ihr in aller Kürze die bedrohlichen Gerüchte mit. Sie schrak zusammen, legte die Hand aufs Herz; allein es war nicht der Schreck des Schuldigen, es war die grenzenlose Angst, irgend ein Unerhörtes könne zwischen sie und ihr Glück treten. Dann schob er sie sanft beiseite und stürzte hastig in das Gemach des Diplomaten. Paulli bot ihm gelassen einen Stuhl an und eine Pfeife, hörte achselzuckend die Kunde von den merkwürdigen Dingen, die da im Holsteinischen vorgehen sollten, und sagte dann, sich die Hände reibend: „Wenn die Klatschbasen das große Wort haben, dann sieht’s schlecht aus um das Werk der Männer. Wenn die guten Hamburger Gespenster sehen, so mag man das ihnen nicht verargen; denn sie sind seit einiger Zeit im Fieber, werfen sich rechts und links auf ihrem Lager hin und her und finden doch keine Ruhe, bis man ihnen den Teufel an die Wand gemalt hat. Dann sehen sie seine Klauen und schaudern zurück davor. Ihr aber, Jastram, der Ihr ja seit langer Zeit wißt, daß Dänemark nur Gutes sinnt – Ihr solltet doch so thörichten Gerüchten nicht Gehör schenken, sondern der Bürgerschaft die Ohren verstopfen, wenn dergleichen durch die Luft fliegt. Wenn wir einige Truppen heranziehen, so geschieht’s doch nur, um euch, sobald ihr’s verlangt, gegen Lüneburg helfen zu können. Im Holsteinschen aber können wir marschieren lassen, soviel es uns gefällt, und die Truppen verlegen, je nach Bedarf – darüber braucht sich niemand ein graues Haar wachsen zu lassen.“

Das sagte Paulli mit vornehmer Haltung, im Gefühl seiner Amtswürde; so durfte der große Staat Dänemark sprechen mit der Handelsstadt Hamburg, deren Ländereien nicht über die Elbinseln hinausreichten. Dann schlug er aber einen warmherzigen Ton an, dem sich Jastram ganz gefangen gab; denn der wilde Volksmann war gemütlicher Regungen fähig. Und um so lieber glaubte er dem wohlmeinenden Diplomaten, als ja seines Lebens Glück davon abhing, daß er die Wahrheit sprach.

Jngeborg bemerkte mit Freude, daß der düstere Ausdruck aus Jastrams Zügen verschwunden war, als er aus dem Kabinett ihres Vaters heraustrat. Er näherte sich ihr zärtlich und herzlich.

„Das war ein böser Schatten, der auf unsern Weg fiel,“ sagte das Mädchen, „zeigen wir der Welt, daß wir zusammengehören. – Voll steht der Mond über dem Turm der Nikolaikirche und die Alster hat sein Spiegelbild erhascht und schaukelt es in ihren Wellen. Du weißt, wie leidenschaftlich gern ich rudere – ich bin ein Mädchen aus dem Land der alten Wikinger und auf dem Wasser zu Hause. Komm, Geliebter!“

Und bald glitt der Kahn, der beide trug, über die Silberfläche der Alster hin; über die Häusermassen ragten die Türme der Hauptkirchen in den noch nicht ganz verdunkelten Himmel – und von allen klang ein abendlich Geläute, den morgenden Ruhetag verkündend. Bisweilen überließ Jngeborg, des Ruderns müde, den Kahn dem Spiel der Wellen. Dann konnte Jastram glühende Küsse auf ihre Lippen drücken. Das geschah draußen, wo nur die verschwiegenen Bäume und keine neugierigen Stadtfenster auf die Alster hinabsahen.

Als sie, zurückfahrend, zu den belebteren Ufern gelangten, da erkannte dieser oder jener den gefeierten Volksmann.

„Es muß gut stehen um unsere Stadt,“ sagte der eine zum andern, „wenn Jastram mit seiner Liebsten solche Mondscheinfahrten macht,“ und getrösteter gingen sie nach Hause.

Doch die unberechenbare vulkanische Natur des Volkstribuns wollte noch ihr Recht; der hastige Wechsel seiner Stimmungen hatte noch einen stürmischen Ausbruch zur Folge. Sie waren aus dem Kahn getreten. Als Jngeborg so vor ihm stand in Silberschleiern mit den großen blauen Nixenaugen, da kam es über ihn wie eine Vision. „Und wenn es wäre – wenn es doch wäre – wenn du eine Wasserfee wärest mit dem feuchten Saum am Gewand –“ Jngeborg faltete flehend die Hände. „Wenn deine Küsse Verrat wären und mich hinabziehen wollten in die Tiefe! Doch nein, nein, es kann nicht sein! Das eine aber sage deinem Vater: wenn Dänemark Arges gegen uns im Schilde führt, so schließen wir Frieden mit Lüneburg und lassen den roten Hahn über Altona krähen.“

„Und wieder siehst du Gespenster – und so sollen wir scheiden?“

„Vergieb! vergieb!“ versetzte Jastram, „mein Blut, meine Sinne sind in Aufruhr! Bleibe die Meine, was kommen mag – und ich will’s gern tragen!“

Und nach einer innigen Umarmung im Vorgarten des Hauses, aus dessen Fenstern auf sie der Lichtschein fiel, der die Akten des fleißig arbeitenden Residenten erhellte, trennten sie sich.

Einige Tage vergingen, schwerer Nebel war aus den Niederungen aufgezogen und hüllte die Stadt in ein sackartig Gespinst. Straßen und Häuser waren wie vermummt – und auch in den Gemütern der Menschen herrschte eine unbehagliche Finsternis: unschlüssiges Hin- und Hertappen – nur der Rat und die Dreißiger traten sich immer schroffer gegenüber.

In einer stürmischen Sitzung der letzteren waren gerade die Gemüter aufs höchste erregt, als die Thürhüter eine Botschaft des dänischen Königs ankündigten. Sogleich trat tiefe Stille ein, dumpfes schwüles Schweigen – die Ahnung einer großen Entscheidung.

Da trat Paulli ein mit zwei Sekretären … Snitger, der seiner Bestürzung kaum Herr werden konnte, eilte ihm entgegen und hielt sich in seiner Nähe, wie um ihn zu schützen; Jastram saß totenblaß mit geballten Fäusten … warum wußte er von nichts? Was bedeutete der feierliche Aufzug? Wie im Krampf der Erwartung saß er da: er war bereit, dem Verräter den Dolch in das Herz zu bohren.

Mit geschäftsmäßiger Kühle erklärte Paulli, er komme als Gesandter Seiner Majestät und stehe unter dem Schutze des Völkerrechts, dann las er geruhig, wie man ein Protokoll verliest: „Seine Majestät, nachdem er, um seinen Rechten auf

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 863. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0863.jpg&oldid=- (Version vom 5.6.2023)