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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

für dich! Und wenn etwas mir unsere junge Ehe verbittert, so ist es diese Freundschaft. Er ist wild und grausam und hat es durchgesetzt, daß unsere Entführer ihr Haupt auf den Block legen mußten. So häßliche Leute diese Soldknechte waren – man hätte doch mit ihnen ein christlich Erbarmen haben müssen. Und auch sonst hetzt er fortwährend zum Krieg drinnen und draußen; er kommt mir vor wie der Klöppel einer Sturmglocke, ich aber höre noch immer unsere Hochzeitsglocken läuten, die uns ein friedlich Glück versprachen.“

Snitger, auf den Spaten gestützt, sah auf sein Weib mit fast andächtigem Blick, als wäre sie in der That eine Botin des Friedens in dieser von Kämpfen arg zerrütteten Welt.

„Ich wäre am liebsten,“ sagte er, „ein unter Blumen wandelnder Weiser, wie jene frommen Männer von Hindostan, welche in den Kelchen der Lotosblumen die Wiege ihrer Götter sehn; oft scheint es mir sündhaft, zu zerstören, was lebt und atmet, und ich gönne jedem Wesen seine Art und sein Recht; doch hier ist nichts als Kampf und Notwehr ringsum und wer das Gute will, muß zertreten, was ihm feindlich ist; und unser friedliches Heim, wo wir so glücklich sein könnten, wird umspannt von einem andern größeren Heim, der Vaterstadt; da gilt’s zu sorgen für die vielen, die Hilflosen zu schirmen, dem Unrecht zu wehren; da sind die Stürme zu Hause und die Unwetter und da muß der Mann seine Kraft bewähren und den tödlichen Blitz nicht fürchten. Ja, liebe Käthe – glücklich bin ich, daß ich bei dir eine Zufluchtstätte finde, wo ich rasten kann, wenn ich müde und zerschlagen und oft lahm in meiner Lieb’ und meinem Glauben an den Herd des eignen Hauses flüchte.“

Eine Thräne glänzte im Auge der Hausfrau: sie wollte ja nichts als sein Glück! So lebte sie stets still zu Hause, mit Nähen und Spitzenanfertigen beschäftigt, besuchte nicht die Lustbarkeiten, die damals im Schwang waren, putzte sich nicht aus wie die üppigen Ratsdamen mit Sammet und Taft, Gold und Silber. Und wie einfach war nicht ihre Hochzeit gewesen, auf ihren Wunsch, obschon Snitger reicher war als die Graduierten, die mit ihren Aemtern und Würden protzten, und auch sie eine stattliche Mitgift hatte. Nur ein kleiner Kreis von Gästen war zur Hochzeit versammelt, obschon eine Verordnung des Rates doch 240 erlaubte, eine Zahl, die sonst von den prahlerischen Hansen oft überschritten worden war.

Ehe Käthe noch einmal ihrem Gatten sagen konnte, was sie auf dem Herzen hatte, knirschte der Kies unter den Tritten eines Gastes und das düstere Gesicht Jastrams zeigte sich hinter den Taxusbüschen. Frau Snitger ging seiner Begrüßung aus dem Wege; sie konnte ihm jetzt kein freundlich Gesicht zeigen; er war ihr gerade jetzt zuwider wie kein zweiter, und heucheln konnte sie nicht.

Koordt Jastram kam in gewohnter Hast; ihn kümmerte es nicht, daß er den Blumenflor auf den Beeten niedertrat, um rascher zu Snitger zu gelangen. „Die Lüneburger haben gesiegt – Gott verdamme sie! Seitdem wir ihnen den Fang abgejagt haben, ist der Herzog ungnädiger als je, und weil wir seine Gesandten damals despektierlich behandelt, weil wir den Meurer abgesetzt haben, der drüben in ihrem Lager spukt, weil wir die Räuber gerichtet, die zu seinem Nutz und Frommen geraubt, schickt er seine Truppen in die Vierlande und auf die Elbinsel und deckt den Friedensbruch mit des Kaisers Majestät, die zu allem herhalten muß! Das weißt du ja, aber man muß dir’s ins Gedächtnis zurückrufen; denn du bist sanft wie ein Lämmlein, wo es gilt, den Feinden wie ein brüllender Löwe entgegenzutreten. Doch was du nicht weißt: die Lüneburger haben den Moorwerder erobert; Oberst Meinecke hat sich überraschen lassen! Vors Kriegsgericht mit ihm!“

„Ein Fehler in der Kriegsführung –“

„Ist ein Verbrechen!“ rief Jastram, dem Freunde ins Wort fallend; „mit dem Schrecken müssen wir herrschen; denn überall lauert der Verrat; wir sind in einem verzweifelten Kampfe begriffen.“

„Das hab’ ich mir anders gedacht,“ sagte Snitger nachdenklich, „ich wollte der freie Bürger einer stolzen Stadt sein, in deren Ratschlüsse sie nicht alle hineinreden, nach der sie nicht alle die Hände ausstrecken dürfen. Und Meurer wollte unser freies Hamburg dem Kaiser in die Tasche praktizieren! Deshalb stand ich gegen ihn auf. Denn was hilft uns Kaiser und Reich? Was sind sie den Fremden draußen jenseit der Meere? Sie kennen nur Hamburg und seine Flagge. Kein Kaiser schützt uns vor den Piraten; wir selber säubern die Meere. Fest ragt die dreitürmige Burg in unserem Wappen, und das wilde Getier in dem Wappen der Fürsten mag in seinen Käfigen bleiben. Stolz wehn die Wimpel und Segel unserer Seeherrschaft in allen Meeren; sturmfest und wetterfest sind unsere Seeleute – was soll uns das seekranke deutsche Reich? Wir wollen selber bestimmen, was uns notthut, uns selbst regieren nach eigenem Gewissen, ohne Vermerk und Verbesserung von draußen und freche Strafandrohung – eine freie Stadt, unantastbar, ein Hort des Handels im Norden, jeder Bürger ein König! Und daß sie alle uns das neiden und hindern sollten, die Nahen und die Fernen – das hätt’ ich nicht geglaubt!“

„Weil dies aber so ist,“ versetzte Jastram, „so gilt es, jeden Vorteil zu nützen und gelegentlich den einen Bedränger gegen den andern auszuspielen. Wir brauchen einen Rückhalt gegen Kaiser und Reich und die Lüneburger. Der Kurfürst von Brandenburg ist ein wackerer und hochgesinnter Herr; aber er will sein Land und seinen Namen groß und herrlich machen. Seine Diplomaten vermitteln zu unsern Gunsten; doch er will’s mit den andern Reichsfürsten und auch mit dem Kaiser nicht verderben; darum ist er zaghaft und vorsichtig und dabei auch auf seinen Vorteil bedacht; denn er hofft auf einen günstigen Handelsvertrag. Es giebt nur eine Macht, die unsere Rechte energisch schützen will –“

„Du meinst – den dänischen König?“

„Ja, unsere Unabhängigkeit wäre ihm willkommen; er würde in einer freien Stadt Hamburg einen sehr erwünschten Bundesgenossen sehn; da hörten des deutschen Reichs Chikanen auf und blühen würde Handel und Verkehr zwischen Sund und Belt und unserer Elbe. Ich habe eben wieder mit dem Residenten Paulli verhandelt und ihn gebeten, zu dir herauszukommen – natürlich durchs Seitenpförtchen; denn solche Besuche dürfen nicht an die große Glocke gehängt werden.“

„Jastram,“ sagte Snitger, den warnenden Finger erhebend, „daß du nicht Staatsangelegenheiten und Herzenssachen vermengst! Die schöne Jngeborg, des Residenten Tochter, hat dir es angethan.“

„Sie liebt mich, den älteren Mann, und ich bin glücklich durch diese Liebe; sie ist ein feurig Mädchen, für Großes empfänglich, und sie glaubt an den Sieg unserer guten Sache.“

„Wir müssen genau prüfen und erwägen,“ versetzte Snitger, „ich um so mehr, als Dänemark bei dir einen zu wichtigen Stein im Brette hat: eine Dame, eine Königin! Doch auch mir erscheint es vorteilhaft, mit den Dänen Hand in Hand zu gehn.“

Inzwischen regte sich das im Laubwerk versteckte Gartenpförtchen und gleich darauf erschien der dänische Resident Paulli bei den Hamburgern.

Paulli war ein feiner Herr mit höfischen Manieren, einer Denkerstirn und einem scharf ausgeprägten Profil. Er nahm mit Jastram in der Laube Platz, und Snitger sorgte für feurigen spanischen Wein; ein reiches Lager von Malaga, das Erbe seines Vaters, füllte seinen Keller.

„Solch ein trautes Plätzchen im Grünen,“ sagte Paulli, sich behaglich die Hände reibend, „das fehlt uns in der Stadt, und wir Diplomaten können nicht aufs Land gehen; denn die königlichen Ordres können uns nicht nachlaufen und verlangen rasche Erledigung, zumal in so bewegten Zeitläufen. Die Lüneburger regen sich ja, wie ich höre.“

„Und haben,“ rief Jastram, „leider! einen kriegerischen Erfolg gehabt.“

„Und wenn sie weiter vorrücken, da geht’s der guten Stadt Hamburg an Hals und Kragen,“ sagte Paulli, „und auch den Dreißigern, denn die haben vor allem das Heft in Händen, und besonders auch hier meinen guten Freunden, auf deren Wohl ich jetzt trinke.“ Und über das Glas hinüber den beiden mit freundlichem Augengruß zuwinkend, fuhr er fort: „Mein König hat stets das Wohl eurer Stadt im Auge; wir wollen nicht, daß ihre Gerechtsamen gekränkt werden; die Meurerischen wollen die Gewalt einigen wenigen in die Hände spielen, die Bürgerschaft und ihre Aemter auflösen, eine dem Kaiser und dem Reichshofrat dienstbare Behörde schaffen. Wir aber halten’s mit der Bürgerfreiheit; Wir wünschen nicht, daß Fremde nach ihrem Gefallen die Commercia

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