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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)


man, was da angeboten wird. Manchem dürfte auch der Rede Sinn sehr dunkel bleiben. Was verkauft jener Rufer im Streit, der auf den absonderlichen Text singt: „Schwarze! Schwarze! Der Tod der Schneider!“ Der Erklärer muß weit ausholen. Im Monat August, wo das Volk halbnackt einherläuft, „sterben die Schneider aus Mangel an Arbeit,“ zu dieser Zeit aber erscheint die gar absonderliche, bei Schleckmäulern in hohem Ansehen stehende Frucht des Eßbaren Nachtschattens, So1anum esculentum, die von schwarzvioletter Farbe ist. Auf Italienisch heißt sie „Melangiana“, der Neapolitaner nennt sie „Mulignana“ und entfernt sich dadurch von der italienischen Bedeutung des mela insana, Tollapfel, um ein Bedeutendes. Ruft der Bauer diese Frucht also mit kühnster Uebertreibung aus, so besingt er die süßen schwarzen Kirschen als „Mulignane von Ischia“.

Austernhändler.

Es ist eine eigenartige Erscheinung, wie der einfachste Bauer aus dem Sumpflande, der in der Stadt arg verspottete „Padulano“, mit der Sprache vertraut und zungenfertig ist.

Seine Rede trägt jeden nur möglichen Schmuck, so schmückt er auch seine Ware ganz kunstsinnig aus; er verschönert das Ekelhafteste durch Ornamente von Blättern, Blumen, buntem Papier, giebt den Dingen wie der Maler seinem Bilde einen goldenen Rahmen. Gaumen und Neugier werden angeregt, der Kauflustige sieht und hört Wunderdinge, und hat der Ausrufer über alles das noch eine schöne Stimme, so wird gekauft, besonders von den Frauen, auch ohne Bedürfnis. Man muß es gesehen haben, mit welchem Entzücken die Mädchen, die Mägde, ihre Arbeit unterbrechend, dem „Manne mit der schönen Stimme“ lauschen. „Signora, wir brauchen doch heute Sellerie oder Salat oder Radieschen oder dies und jenes?“ Und der Korb tanzt aus dem zweiten, dritten, vierten Stockwerke hinab, tanzt wieder hinauf, nochmals hinab, der Handel dauert oft lange, jeder Kauf ist eine kleine unterhaltende Komödie. Und diese Komödien vor den Hausthüren hat sich das Volk Neapels nicht nehmen lassen. Die Väter der Stadt wollten, wie in der ganzen civilisierten Welt, den Handel mit Nahrungsmitteln in große, schöne, luftige Hallen bannen. Die Hallen wurden gebaut, Millionen dafür ausgegeben, nie aber ist ein ambulanter Händler in ihnen seßhaft geworden; wenn man den Handel unter Dach und Fach bringen will, müßte man ein Dach über die ganze Stadt bauen, die inzwischen den orientalischen Namen der „Mutter des Schmutzes“ behalten wird.

Scharen von Fruchthändlern sind inzwischen vorübergeeilt, wir wollen die interessanten Rufe nicht verlieren. Die Maiskolben, in Salzwasser abgekocht oder über dem Kohlenbecken gebraten, sind „Hühnchen“. „Warme Hühnchen, Hühnchen mit dem goldenen Dotter! Zart, ach wie zart, Hühnchen!“ Die aus Maismehl gebackenen Brötchen werden angezeigt durch die Worte: „Komm und wärm’ dir den Bauch, Junge!“ Der Apfelhändler nennt seine Ware „Gewürznelken“, der Orangenhändler „Ananas“, der Händler mit kleinen frischen Quarkkäsen, die meist von Massa Lubrense auf der Sorrentohalbinsel kommen, „Zucker von Massa“, der Bauer mit den Artischoken „Mütterchen aus den Sümpfen“; so werden die Aprikosen zu „Zimmet“, die ausgeschälten Nüsse zu „Wachteln“, weil die halbe Nuß einer gebratenen Wachtel ähnelt.

„Zehn Farben, zehn Geschmäcke!“ schreit der Austräger der bunten, in ihrer Buntheit auf den lebhaften Farbensinn der Jugend berechneten „Konfekte“, die, genau besehen, nichts anderes als gebackene Haselnüsse sind. Die gewürzige Frühbirne wird verstanden unter der Sangstrophe: „Ei, wie duften sie dir aus dem Munde!“ Auf den Geruchsinn sollen die Worte des Waffelbäckers und des Schneckenkochs abzielen: „Ich geh’ vorüber und du riechst nichts?“ Charakteristisch ist die „voce“, Stimme, wie der Ausruf genannt wird, des Kirschenverkäufers: „Sie sind ohne Passagiere, zwei Bissen eine!“ Das bezieht sich auf das Freisein von Maden, auf die Härte der Frucht und ihre münchhausensch aufgefaßte Größe. Die „Corvine“, rabenschwarze Hartkirschen, werden als „Chokolade“ ausgesungen. Aus der „Grotta del Sole“, der Sonnengrotte, kommen die goldfarbenen Pfirsiche nach der Versicherung ihrer Verkäufer, pures Gold sind die edelfaulen Weintrauben, und der weiße, aus diesen Trauben gepreßte sogenannte Asprinowein braucht silberne Becher.

Wer nicht die landläufige Gepflogenheit kennt, die unreifen Melonen zur Nachreife für den Wintergebrauch an der Außenseite der Häuser aufzuhängen, würde nimmer den Ruf verstehen: „Hänge sie auf! Hänge sie auf! Ich geb’ dir den Nagel dazu!“ Das sind die Sumpfmelonen; die Wassermelone, jene, die drei Farben Italiens aufweisende immer dunkelrote hochbeliebte Frucht, wird von buntbemalten Ständen aus verkauft. Für wenig Geld stillt sie der Bedürfnisse drei, denn „für einen Soldo eß ich, trink ich und wasch’ ich mir das Gesicht“. Haben zwei dieser Melonari durch Zufall ihre Stände nebeneinander, so steigern sie gegenseitig ihre Anpreisungen bis zur Raserei, und dies zum höchsten Gandium des dicht gedrängten Publikums.

Polypenverkäuferin.

Da schreit der eine: „Von Castellammare! Welches Wunder, schaut! Von Castellammare sind sie!“

Der andere übertönt ihn: „Jetzt, jetzt eben sind sie aus der Grotte des ewigen Eises gekommen und sind doch voll Feuer!“

Nun geht der Wettstreit erst los. Eine Meloue wird auseinandergeschnitten,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 851. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0851.jpg&oldid=- (Version vom 4.6.2023)