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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Montblanc.
Roman von Rudolph Stratz.
(5. Fortsetzung.)


17.

Es war ziemlich spät nachmittags, als der Afrikaforscher, nach langer Reise in Genf eingetroffen, in den Hotelgarten trat.

Der lag am Quai du Montblanc. Hart vor ihm spülte die Rhone ihre glasgrünen Wellen eilig unter den Brücken hindurch, jenseits standen neue Häuserreihen und Baumgruppen und dahinter schlossen weißliche Abendwolken den Blick in jene Ferne ab, aus der bei ganz klarem Wetter der Montblanc herübergrüßt.

Rings im Garten die internationale Reisewelt der schon beginnenden Hauptverkehrszeit – weißbärtige, bewegliche Franzosen mit dem roten Bändchen im Knopfloch und lächelnde Yankees in Schaukelstühlen, graziöse Pariser Damenwelt, Briten in Masse, streng nach der zwanglosen Mode des Sommernachmittags gekleidet, und dort – waren das nicht alte Bekannte?

Richtig – da stand der alte Herr mit dem eisgrauen Schnauzbart auf, reckte seine hagere, in einem zu kurzen Sommerjäckchen und ganz engen Beinkleidern steckende Gestalt und winkte ihm zu.

Und auch die neben ihm kerzengerade dasitzende, schwarzgekleidete Dame wurde lebendig. Der Major und die Gouvernante! Das Paar hatte er am wenigsten gesucht. Aber es half nun nichts. Er mußte hin und sie begrüßen.

Die beiden ältlichen Menschen waren wie ausgewechselt in ihrem herbstlichen Zug von Herz zu Herzen. Ueber ihrem Gesicht lag ein geradezu sanftes, wehmütiges Lächeln an Stelle der früheren Düsterkeit, und er hatte sich – ganz im Gegensatz zu seinen wilden Auftritten mit Cook und Sohn – ein völlig feierliches Wesen, eine Art altfränkischer Sanftmut beigelegt, die seine verwitterten Züge verklärte. Jedenfalls waren die beiden vollkommen glücklich und kümmerten sich wenig darum – wenn sie es überhaupt merkten –, daß sie unter dieser blasierten, medisanten Touristenwelt wie die Dohlen zwischen den Ziervögeln saßen.

Er nahm bei ihnen Platz, und unaufgefordert, als ob sich das von selbst verstände, erzählten ihm die beiden zugleich von Klara. Die Reise sei ohne Zwischenfälle verlaufen und gestern früh habe man die Kleine in ihre neue Stellung gebracht. Aber heute schon sei ein flehender Brief von ihr gekommen, die Schwester möge sie doch umgehend besuchen. So sei Klara eilends dorthin gegangen und müsse nun wohl bald zurückkommen.

Den Afrikaner, der zerstreut zuhörte, interessierte nur das letztere. Was lag ihm an all diesen verwandtschaftlichen Abenteuern? Am liebsten wäre es ihm gewesen, hätte die blonde Malerin ganz ohne Anhang auf der Welt dagestanden. Denn diese Philister – gewiß, es waren ja treffliche gute Menschen, aber er paßte so gar nicht zu ihnen und sie verstimmten ihn, ohne es zu wissen und zu wollen, in ihrer Sprache, ihrer Haltung, ihren Kleidern – in allem.

Die beiden Damen, die jetzt in den Garten traten, fielen auch durch ihre Schlichtheit und Anspruchslosigkeit auf. Zwischen dem raffinierten Luxus der Amerikanerinnen und Pariserinnen rings umher sahen sie in ihrer einfachen Reisegarderobe wie Kammerfrauen oder Gouvernanten aus.

Nun natürlich – es waren ja doch auch Gouvernanten, die älteste, die da neben ihm saß, und die jüngste, die da trotzigen Gesichts herankam. Und die hübsche Blondine neben ihr konnte sich doch nicht anders kleiden wie ihre Schwestern.

Es dauerte einen Augenblick, bis er sich überzeugt hatte, daß es Klara war, und fast zugleich schoß ihm der Gedanke durch den Kopf, einen wie großen Unterschied es doch macht, ob man ein Mädchen allein mitten in der dämmernden Wüste, in kleidsamem Reitkostüm, als die erste Europäerin seit Jahren erblickt, oder wie hier in einem Kreise glänzender, selbstbewußter und unmerklich spöttisch lächelnder Frauen.

Gleich darauf zürnte er sich selbst wegen dieser Regung. Er ging raschen Schritts auf Klara zu und drückte ihr herzlich beide Hände. Sie erwiderte leise den Druck und schaute ihm heiter ins Gesicht. Eine feine Röte durchleuchtete ihre freundlichen offenen Züge, aber sie sprach kein Wort.

Statt ihrer fing die Kleine an. Sie befand sich in höchster Aufregung und wartete gar nicht ab, daß man sie nach dem Grund der Rückkehr frug. Sie müsse eben zurückkommen! Sie habe Klara gebeten, sie nur gleich wieder fortzunehmen, und das habe die nach einer gütlichen Aussprache mit der Familie denn auch glücklich gethan. Und da sei sie nun wieder. Um eine traurige Erfahrung reicher! Aber das mache nichts! Es sei schon besser so!

„Ja, was hat es eigentlich gegeben?“ frug die älteste streng.

„Gar nichts. Gestern abend, wie ich mich eben eingerichtet hatte und es mir so recht schwer ums Herz war, da klingelt es und er ist da! Ihr könnt euch denken, wie mir da das Herz geklopft hat. Er war direkt von Gibraltar durchgefahren und wollte sich in Genf eben nur die paar Stunden aufhalten, um mich zu sehen – dann gleich weiter!“

„Ja, wer denn?“

„Wer?“ Die Kleine schien höchst erstaunt, daß nicht alle Welt das sofort wußte. „Nun, Herr Steffen doch natürlich. Ich erkannte ihn doch auch gleich, obwohl es dämmerte, an dem großen blonden Vollbart und war so froh …“

„Aber die Familie wohl nicht?“

„Nein. Der Hausherr, dieser langweilige alte Mucker – aber so soll es viele hier in Genf geben – der frömmelte da was zusammen: das sei doch ein starkes Stück! Gleich am ersten Abend Herrenbesuch von zugereisten Ausländern. Und man könne doch gar nicht wissen … und überhaupt … und das ginge nicht. Ich wagte ja auch gar nichts zu sagen und fing nur an zu weinen. Da wurde Herr Steffen auf einmal so furchtbar grob und fing in einem so greulichen Französisch zu wettern an, wie ich es nie zuvor gehört hab’! Mir wurde ganz angst und bang!“

„Was hat er denn gesagt?“

Die Kleine hob ihr blasses Gesichtchen und sah sehr stolz und ernst aus. „Das verbäte er sich, hat er gesagt, daß man seine Braut so behandle! Das dulde er nicht!“

„Seine Braut?“ Die Gouvernante und der Major riefen es gleichzeitig und ziemlich erschrocken.

Auch Hilda war etwas beklommen. „Ja, jetzt bin ich es! Der alte Frömmler hat mich auch gleich gefragt, warum ich denn gar nichts davon gesagt hätte, daß ich verlobt sei. Und ich hab’ ihm erwidert: ‚Ich bin es ja auch seit eben erst und jetzt bleib’ ich’s!‘ Da hat er gemeint, dann sei es wohl besser, wir trennten uns wieder, und ich habe geantwortet: ‚Das glaub’ ich auch!‘ und hab’ an Klara geschrieben. Und da bin ich nun und es ist alles gut!“

Das schienen die andern nicht anzunehmen. Wenigstens legte sich ein gedankenvolles Schweigen über die Gesellschaft.

„Hm ..,“ sagte endlich der Major und räusperte sich … „Hm .. aber .. liebes Kind … wenn Sie mir gestatten, daß ich mich einmische …. erwägen Sie doch nur …. ein Mann, der mit Blutegeln und Honig feilschend in der Wildnis herumreitet … hin und her … wir kennen ja alle dies Land … jräßlich …“ Unwillkürlich kam ihm sein früheres Lieblingswort über die Lippen: „jräßlich ist es dort. Sie haben ja selbst am meisten darunter gelitten. Wie wollen Sie ihm dahin folgen?“

„Wenn es sein muß, folge ich ihm bis ans Ende der Welt,“ erklärte die Kleine trotzig. „Aber wahrscheinlich kehrt er ja gar nicht mehr nach Marokko zurück. Er ist ja doch gleich gestern abend weiter von Genf, nach Chamounix, zu dem Herrn Rey, der die schöne Jacht hat. Der hat ihn eingeladen, ihn zu besuchen, und der ist furchtbar reich! Nicht wahr?“ Sie wandte sich zu dem Afrikaner. „Er ist ja doch Ihr Freund und Sie wissen, wie viel Geld er hat.“

„Mein Freund ist er nun eigentlich wohl nicht! Aber ich kenne ihn gut, und weiß, daß er viele Millionen besitzt.“

„Und davon wird er wohl nun Deinem Herrn Steffen eine schenken?“ bemerkte die Gouvernante spitz.

Die Kleine geriet in Zorn. „Schenken natürlich nicht! Aber eine Stellung wird er ihm verschaffen, eine Lebensstellung. Was wißt ihr denn überhaupt vom Seebad Tanger und all unseren Plänen, bei denen der Herr Rey uns hilft? Er ist gewiß ein guter

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 806. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0806.jpg&oldid=- (Version vom 1.2.2023)