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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

freundlicheres Aussehen geben. Ich habe heute schon mit dem Gärtner gesprochen.

Dazu ist aber nötig, daß die Kränze fortgeräumt werden. Wohin damit? Aufbewahren lassen sie sich nicht; es sind ihrer zu viele. Ich will aus jedem ein paar Blättchen zupfen oder einen kleinen Büschel, wie er in der Drahtschlinge befestigt ist. Daraus läßt sich dann ein einziger Kranz winden, der Papachens Jubiläumsbild dauernd schmücken soll. Von den Bandschleifen lassen sich aber nicht ebenso gut einzelne Fäden ausziehen und zu einem Gewebe zusammenbringen. Ich wähle die schönste, die ihm das Ministerium gestiftet hat, und winde sie durch die Lorbeerblätter. Sie lang hängen zu lassen und gar die anderen auch daneben, wäre gar nicht nach seinem Sinn.

Er selbst war der Bescheidensten einer. Er that immer und immer nur „seine Schuldigkeit“. Könnte er selbst Anordnungen nach seinem Begräbnis treffen, er würde uns lächelnd zurufen: Es war alles so gut gemeint; ein großer Mann hätte nicht pomphafter begraben werden können. Aber nun räumt auf, räumt auf! Es war nur so ein ganz kleiner Wirklicher-Geheimer-Ober, von denen zwölf auf ein Dutzend gehen, und morgen ist wieder Werktag.

Ich will aufräumen.


Die Mutter ist sehr angegriffen. Gestern fiel sie mir in Ohnmacht und heute lasse ich sie nicht aus dem Bett. Sie hat sich in der Leidenszeit das Uebermenschliche zugemutet, nicht schwach zu erscheinen. Da sinkt sie nun zusammen.

Ich fürchte, zu ihrem Kummer treten auch noch Sorgen, hauptsächlich meinetwegen. Sie sprach eines Abends recht freundschaftlich und liebevoll mit mir. Der Vater habe nichts erspart. Die Söhne hätten viel gekostet. Nun seien sie freilich in angesehenen Stellungen und auf dem besten Wege zu noch angeseheneren. Aber ohne Vermögen hätten sie vorläufig doch nur gerade das Durchkommen und würden schon den gewohnten Zuschuß schwer vermissen. An Stelle des ganz namhaften Gehalts sei eine recht kleine Witwenpension getreten. Wir würden uns sehr einrichten müssen, alles Ueberflüssige von Hausrat zu verkaufen und uns eine passende Wohnung zu mieten haben. Unseren Umgang hätten wir auf das geringste Maß einzuschränken. Sie überlege schon, ob sie unsere etwas verwöhnte Marie würde behalten können, so ungern sie sich auch von der treuen Person trennen würde. Vielleicht sei es das Verständigste, nach einer kleinen Stadt zu ziehen, wo wir ganz unbekannt wären und uns einrichten könnten wie wir wollten. Aber sie denke an mich und wie wenig ich da vom Leben haben würde, und wie unwahrscheinlich da …

An mich! Als ob ich nicht längst wüßte, daß ich keine Ansprüche erheben dürfe. Wenn eine Geheimratstochter dreiundzwanzig Jahre alt geworden ist, muß sie doch über sich Bescheid wissen. Sie lernt’s früher schon, wenn sie halbwegs verständig um sich schaut. Tanzt sie gern – an Tänzern wird ihr’s nicht fehlen; aber die thörichte Hoffnung, in der Gesellschaft, die sie pflichtschuldigst auszeichnet, den Erwählten ihres Herzens zu treffen, nährt sie nicht lange. Die guten Mütter können nur so schwer von dem Gedanken los, daß ihre Töchter, wenn sie leidlich gut aussehen und die beste Erziehung genossen haben, in der Ehe ihr Glück finden müssen. Und nun die einzige Tochter und das jüngste Kind und das ersehnte Mädel, das etwas verspätete und um so zärtlicher verhätschelte Nesthäkchen!

Nein, ich habe abgeschlossen, und es ist mir nicht einmal schwer geworden. Ich habe etwas von des Vaters heiterem Sinn geerbt und immer die Dinge ruhig an mich kommen lassen. Ist’s nicht, so ist’s nicht! Ich habe auch das Glück gehabt – in meiner Lage muß ich’s wohl so nennen – nie einem Manne zu begegnen, für den ich mich leidenschaftlich hätte erwärmen können. Es ist möglich, daß ich einmal warm geworden wäre, wenn jemand sich recht ernstlich um mich bemüht hätte. Aber diese Erfahrung habe ich nicht gemacht, denn ein paar verliebte Jünglinge, für die ich verständig sein mußte, rechnen nicht mit. Nun habe ich nicht einmal mehr einen Vater, von dessen Einfluß sich etwas für die Carriere erhoffen ließe! Es ist gut so, ich bin vor allen Illusionen bewahrt und kann mich darauf einrichten, ein altes Jüngferchen zu werden. Hoffentlich behalte ich noch lange die schöne Aufgabe, die alte Mutter zu pflegen und zu stützen. Ganz unnütz auf der Welt werde ich auch später nicht sein.


Das Grab ist in bester Ordnung. Ich lege nun täglich ein frisches Blumensträußchen auf den grünen Rasen. Nur ein ganz kleines. Wir müssen sparsam sein.

Heute wurde ich zum erstenmal unliebsam in meiner Andacht gestört.

Ein langer Mensch strich zwischen den Gräbern herum, als ob er etwas suchte, und kam auch wiederholt über den freien Platz vor dem unsern, blieb stehen und ging weiter. Er sprach vor sich hin, so daß ich anfangs glaubte, er wollte von mir eine Auskunft haben. Ich merkte aber bald, daß er mich gar nicht beachtete.

Nach einer Weile kam auch der Friedhofsinspektor und schloß sich ihm an. Ich hatte mich abgewendet, hörte aber, daß sie in kurzen Sätzen miteinander sprachen.

„Hier also?“

„Ja, das ist die Reihe.“

„Eine andere Stelle ist nicht frei?“

„Was haben Sie gegen diese auszusetzen, Herr Professor?“

„O nichts, nichts.“

„Ich denke, sie ist sehr schön.“

„Jawohl – nur ein wenig beengt.“

„Ach – da ist noch viel Raum, Herr Professor.“

„Also gut!“

Sie entfernten sich hügelab dem Ausgang zu.

Das Gespräch war kaum falsch zu deuten. Der Lange sah sich nach einer Stelle für ein neues Grab um, und der Inspektor wies sie ihm hier in der Nähe an. Ich weiß nicht, wie es kam, daß mich dies beunruhigte und geradezu verdrießlich stimmte. Was kümmerte es mich?

Als ich bald darauf durch das große Portal den Friedhof verlassen wollte, stand der Herr Inspektor vor seinem Hause und grüßte mich. Ich konnte mich nicht enthalten, ihn zu fragen, ob wirklich ein Begräbnis angemeldet sei. „Ja,“ antwortete er, „zu übermorgen. Das Grab kommt ganz in die Nähe des Ihren.“ – „Ganz in die Nähe –?“ wiederholte ich wie erschreckt. Es mochte ihm wenigstens so klingen, denn er sah mich lächelnd an und sagte: „Gewiß, wir bleiben immer in der Reihe.“ – „Aber doch nicht nebenan?“ – „Freilich nebenan.“ – „Aber“ … Da half kein Einreden. „Es kann Ihnen ja gleichgültig sein, liebes Fräulein, wer neben Ihrem Herrn Papa schläft,“ meinte er. „Jst’s nicht der, so ist’s ein anderer, irgend einer gewiß. Und Wenn’s Ihnen auf gute Gesellschaft ankommt – ich denke, Sie können zufrieden sein. Es ist ein Professor, der seine Mutter begräbt.“

Ich erkundigte mich nicht weiter, um nicht neugierig zu erscheinen, was ich gewiß nicht war. Irgend einer gewiß! Ganz richtig. Es konnte und mußte mir gleichgültig sein, an wen der nächste Platz abgegeben wurde. Die Mama hatte ja vorsichtig eine Doppelstelle erworben, um sich die Ruhestätte neben ihrem lieben Alten zu sichern. Weitere Ansprüche hatten wir nicht zu erheben. Und doch –! daß überhaupt einer … Es war mir bisher gar nicht eingefallen, daß der offene Raum, über den ich mich so gefreut hatte, noch weiter benutzt werden könnte. Und nun überkam mich ein Gefühl der Abgunst – ich kann’s gar nicht anders nennen. Ich wollte für mich allein behalten, was ich mir rund herum gleichsam dadurch zugeeignet hatte, daß ich es in einem gewissen Zustande sah, den ich mir unverändert wünschte. Wär’ ich reich gewesen, ich hätte alle die Grabstellen bis zur Mauer hin kaufen mögen, nur damit niemand weiter dort begraben werden könnte.

Ich kam ganz aufgeregt nach Hause, und die Mama hatte Mühe, mein Gefühl zu beruhigen, nachdem der Verstand längst eingesehen hatte, daß mein Verdruß grundlos sei.

Wie selbstsüchtig wir sind! (Schluß folgt.) 0


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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 791. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0791.jpg&oldid=- (Version vom 24.5.2023)