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Assisi.
Nach dem Gemälde von M. J. Jwill.


Wollte er? Er lachte bitter auf. Hatte er denn noch eine Wahl? Vorhin noch, in Monte Carlo, glaubte er, sein Geschick in der Hand zu haben und frei am Kreuzweg zu stehen. Jetzt gab es nur noch einen Pfad, und der führte nach Genf, ehe es zu spät war, ehe auch dort das blonde sanfte Glück verschwand und ihn mit leeren Händen allein ließ.

Denn jetzt kam er mit leeren Händen! Als ein Bettler kam er zu ihr, um Zuflucht zu suchen! Er wählte nicht mehr, er bat! Und wenn sie es zehnmal nicht wußte und nicht merkte, in seinem Inneren mußte das weiter nagen und immer weiter. Und lang’ verhehlen ließ sich das auch nicht. Er war von Anfang an der Schwächere. Er gab sich in ihre Hand. Er wurde ein Philister wie andere, schlimmer als andere, die nicht als die Ruine ihres eigenen Selbst herumwandeln und, durch die Gewohnheit abgestumpft, schließlich ganz vergnügt dabei sind. Denn schließlich gewöhnte auch er sich gewiß allmählich an den engen Kreis des Daseins und wurde ein ganz anderer Mensch, der nichts mehr mit dem rauhen Mannestrotz des einstigen Weltumseglers gemein hatte.

Der Trotz gegen das Schicksal bäumte sich wütend in ihm auf, während er gesenkten Hauptes wieder der Stadt zuschritt. Da lief sein Pferd … da lief der Stier … warum mußten diese beiden Körper aufeinander prallen? Wer hatte das angeordnet?

Er blieb plötzlich stehen, warf den Kopf zurück und lachte zornig auf. Wer anders als du selbst, du abenteuernder Thor! Der Stier wandelt jeden Abend diesen Weg zur Tränke. Du kamst ihm in die Quere, blindlings, von deinem eigentlichen Wege nach Tanger abgewichen, irrlichternd auf der Jagd nach einem Schattenbild, jenem Schattenbild mit silberhellem Lachen und mädchenhaftem Madonnengesicht, das deiner spottet, das dich krank und einsam in Tetuan zurückließ, das wie ein Traum verflogen war, als du es wiederum auf dem weißen Geisterschiff auf der Reede von Gibraltar suchtest.

Und wer war der erste Mensch, der dir nach deinem Unfall begegnete, wer pflegte dich in Tetuan und richtete dich mit heiteren Worten auf, wer stand geduldig, mit tapfer hinuntergeschluckten Thränen deiner wartend da, als du enttäuscht und ärgerlich von dem weißen Schiff zurückkamst?

Immer wieder der treue, blonde ehrliche Kamerad. Einen besseren findest du nicht. Sieh um dich! Was du in der Ferne suchst, wofür du dort so viel Leid und Ungemach erlitten hast, wofür du zum Krüppel geworden bist, das Glück, das steht da still und schweigend neben dir wie eine Blume am Weg und wartet, daß du es pflückst.

Und wenn du es pflückst, bringt es dir Ruhe. Mag auch in dir die wilde Abenteurerlust hinschwinden, dafür wirst du zufrieden. Das warst du bisher nie, in deinem unsteten Sehnen und Jagen. Vielleicht kommt einmal der Tag, wo du lächelst, wenn du an die Vergangenheit denkst. Du hast es ja neulich schon in Tetuan geschrieben: Wir werden alt und grau, Frau Aventiure! Die Zeit schwindet hin. Der Herbst ist nahe. Jetzt war er da! Eine bittere Wehmut beschlich ihn, als er in seinem Hotelzimmer träumend saß und von der Vergangenheit Abschied nahm. Sie war bunt genug und doch – jetzt schien sie ihm leer und öde. So zwecklos erschien ihm plötzlich alles, was er errungen und erstrebt, so wertlos alle seine wissenschaftlichen Thaten, so arm und ohne Inhalt das ganze Menschenleben, daß er sich heiß nach einem neuen sehnte.

Er wußte wohl, warum diese rätselhafte Stimmung über ihn gekommen war. Der Tod hatte bei ihm angepocht – nicht von außen her; da kannte er ihn und sein Anblick verdoppelte seinen Trotz – nein, da innen saß er und klopfte und mahnte: Es ist Zeit, von dem großen Maskenball nach Hause zu gehen. Bunt genug und lärmend war er ja. Viel Menschen in allen Trachten der Welt. Kaiser und Könige, fratzenhafte Wilde und schöne Frauen, ein ganzer Karneval voll Jubel und Trubel. Aber wenn man den Mantel umschlägt und in den grauen grämlichen Morgen hinaustritt, da kommt die Ernüchterung. Die Sehnsucht nach Schlaf. Die Sehnsucht nach einem Menschengesicht, das uns freundlich lächelnd im Sonnenschein zu Hause empfängt, nach all den kichernden, wesenlosen Masken der buntscheckigen Nacht, nach dem verräterischen, silberhellen Lachen, das durch das Dunkel klingt und zu immer neuen Abenteuern und zum Tode lockt. Dort aus der Ferne grüßte es blond und heiter herüber und nickte ihm unbefangen zu wie einem alten Freund. Er stand auf und klingelte. „Ich reise morgen früh nach Marseille,“ befahl er dem eintretenden Kellner. „Von da gleich weiter bis Genf. Hier ist die Depesche, in der ich meine Ankunft anzeige.“ (Fortsetzung folgt.)


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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 781. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0781.jpg&oldid=- (Version vom 1.2.2023)