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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

„Wie sind Sie denn dann aber hereingekommen?“

„Ich bin gerade noch vor Thorschluß in Old-Mole gelandet. Sonst hätte ich umkehren müssen und die Nacht an Bord der ‚Liberty‘ bleiben.“

„Mich wundert überhaupt, daß Sie das nicht gethan haben,“ sagte die Malerin und schaute wieder in die Weite. „Eingeladen hat man Sie doch gewiß. Und es muß doch eine sehr unangenehme Nachtfahrt gewesen sein – die weite Strecke von dem Schiff bis zur Old-Mole!“ Sie wies nach einem weißen Schattenstrich in der Ferne, der sich undeutlich zwischen dunklen Schiffskörpern von dem satten, schaumgesprenkelten Schwarz des Meeres abhob. Er sah sie erstaunt an. „Woher wissen Sie denn, daß dort die ‚Liberty‘ liegt?“

„Ich hab’ sie doch gesehen. Und vor einer Stunde konnte man sie noch ganz deutlich erkennen!“

„Also so lange stehen Sie schon hier?“

„Seit dem Dinner steh’ ich hier! Was soll ich denn im Hotel machen?“

„Aber viel ist hier doch eigentlich auch nicht los?“

„Ich bin doch wenigstens allein,“ sagte Klara müde. „Es giebt Stunden, wo man das braucht.“

Er rückte dicht zu ihr heran, so daß sie Kopf an Kopf dastanden und in das Plätschern der Wellen an der Quaimauer hinabschauten. „Ich glaube, ich habe Ihnen vorhin weh’ gethan!“ sagte er plötzlich. „Und das thäte mir sehr, sehr leid!“

Sie schaute ihn fragend an.

„Ich meine, weil ich wieder an Bord der verwünschten weißen Jacht gegangen bin! Sehen Sie sich das Ding nur an! Liegt es nicht wie so ein Geisterschiff auf dem Wasser? Wie so ’ne Art Fliegender Holländer oder so was?“

„Sie können doch kommen und gehen, wie Sie wollen. Wenn mir etwas weh thut – nein, ich will sagen, wenn mich etwas wundert, ist es nur, zu sehen, daß selbst ein Mann wie Sie ein Spielball des Augenblicks werden kann. Denn, wenn ich an Ihr Gesicht denke, als Sie mir damals in Tetuan das Päckchen für Berlin gaben und mir erzählten, daß die Tochter des Herrn Rey und ihre Freunde Sie verlassen hatten …“

„Haben Sie das Päckchen bei sich …?“

Sie nickte. „Hier in meiner Tasche! Da ist es!“

Er nahm es ihr aus der Hand und ließ es in seinen Rock gleiten. „Also …, ‚wenn ich an Ihr Gesicht denke‘ … fahren Sie doch fort! Sie wissen, wie gut mir Ihre Strafpredigten thun!“

Aber sie schüttelte den Blondkopf. „Nein. Das war damals. In Tetuan haben Sie’s gebraucht. Weil Sie krank waren, oder vielmehr mit den Nerven herunter. Aber jetzt, wo Sie, gottlob, besser sind …“

„Die Stiche in der Herzgegend hab’ ich leider immer noch. Also lassen Sie sich nicht abhalten!“

„Nein,“ sagte sie kurz und schaute von ihm weg in das Kochen der See hinunter.

„Dann will ich Ihnen etwas sagen!“ Er neigte seinen Mund zu ihrem Ohr. „Ich war heute zum letztenmal auf diesem weißen Geisterschiff da drüben. Wirklich zum letztenmal. Nun bin ich frei.“

Sie sah ihn schweigend an und schüttelte zweifelnd den Kopf.

„Doch!“ sagte er zornig. „Heute ist die da drüben zum letztenmal vor mir verschwunden, während ich schon ihre Hand zu halten glaubte. Als ich zurückfuhr, kam mir ganz plötzlich die feste Ueberzeugung, daß sie doch auf dem Schiff war! Sie ließ sich ganz einfach vor mir verleugnen und blieb ruhig in ihrer Kabine. Ich weiß es. Und ich lasse nicht mehr mit mir spielen. Seit ich Sie kenne, habe ich meinen Stolz wiedergefunden.“

Sie erwiderte nichts. Um die beiden dunklen Gestalten spielte der warme Blumenwind und unter ihnen flüsterten die Wellen. Vom Hotel her kam, den Strohhut schief im Genick, ein junger Lieutenant der Coldstream-Garde und ging, das Paar erblickend, diskret im Bogen vorbei.

Der Afrikaner schaute ihm nach, bis er im Dunkel verschwand. Dann wandte er sich seiner Gefährtin wieder zu. „Haben Sie nun eigentlich näher über Ihre Zukunft nachgedacht, Fräulein Klara?“ frug er mit einem unsicheren Klang in der Stimme. „Ich meine … was nun eigentlich werden soll …“

„Da ist doch nicht viel nachzudenken. Die Sache zwischen dem Major und meiner Schwester scheint sicher. Wenigstens hat er nach einem schrecklichen Lärm mit dem Impresario sein Cooksches Rundreiseheft fahren lassen und sich entschlossen, uns nach Genf zu begleiten. Dort bringen wir die Kleine unter …“

„Und was thun Sie dann?“

„Ich muß nach Dresden zurück. Dort habe ich mein Atelier. Und die Leute, die meine Sachen kaufen. Dort muß ich schon bleiben. Leider Gottes nun bald ganz allein.“

Sie brach ab. Die ganze Stadt schien jetzt zu schlafen. Jeder Lärm war verstummt. Nur ein Rauschen und Brausen wallte unbestimmt dahin, der Zwiesang zwischen Luft und Meer, und darüber stand still die Sternenpracht.

Da hörte sie neben sich seine Stimme. „Eigentlich möchte ich Sie etwas ganz Indiskretes fragen,“ sagte er. „Wie alt sind Sie eigentlich, Fräulein Klara?“

„Siebenundzwanzig! Ich hab’s Ihnen ja schon einmal gesagt.“

„Ja, ich weiß. Eben darum wundert es mich eigentlich.“

„Was denn?“

„... Ich meine … daß Sie noch nicht geheiratet haben.“

Sie wandte sich von ihm ab, dem Meer zu. „Können hätt’ ich schon öfters,“ sagte sie, ohne ihn anzusehen, vor sich hin. „Und es war wohl dumm von mir, daß ich’s nicht gethan hab’!“

„Warum haben Sie’s nicht gethan? Verzeihen Sie die Frage. Aber es … es liegt mir wirklich viel daran.“

„Warum?“ Ein trauriges Lächeln umzog ihren Mund und sie stockte eine Weile. „Schließlich … warum sollen Sie es nicht wissen: es war eben einer da. Der kam nicht … Er ahnt es nicht. Er wird es nie ahnen. Er ist ja nun auch schon verheiratet und glücklich, und ich wünsche ihm nichts Besseres auf der Welt …“

„... und Sie sind dafür unglücklich!“

Sie sah ihn an und schüttelte den Kopf. „Das ist kein Unglück!“ sagte sie ernst. „Nein, wahrlich … das ist etwas Großes, Heiliges. Ich weiß es, denn ich trage es seit vielen Jahren …“

„Und Sie wollen es tragen Ihr Leben lang?“

Sie richtete sich plötzlich auf. „Nein,“ sprach sie beinahe hart. „Man muß auch einmal darüber hinaus! Das Leben verlangt auch sein Recht. Und ich glaube, jetzt habe ich es endlich hinter mir und bin innerlich frei.“

„Fräulein Klara,“ sagte der Afrikaner langsam. „Ich habe die Absicht, mich morgen nach Marseille einzuschiffen. Ich will dann ein paar Tage an der Riviera zubringen, um mich zu erholen und weil ich überhaupt glaube, daß mir ein bißchen Einkehr bei meinem inneren Menschen gut thut. Dazu muß man allein sein. Aber wenn das geschehen ist ..... erlauben Sie mir, Sie dann in Genf aufzusuchen?“

Sie nickte nur und vermied seinen Blick. Aber er sah ihr Lächeln. Er faßte ihre Hand. „Also sagen wir uns heute abend nicht Adieu, sondern Auf Wiedersehen! Und nun kommen Sie ins Hotel zurück! Sie brauchen auch Ruhe nach der unangenehmen Seefahrt.“

Sie gingen langsam die Straße hinauf, zu deren Seite, neben der Kirche, ein kleiner Tropengarten duftete und blühte. Ihre Schritte hallten an den schweigenden Wänden wider. Sie blieben stehen, sahen sich an und setzten dann, ohne ein Wort zu sprechen und mit auf den Boden gesenkten Blicken, ihren Weg fort.

Die Hotelthüre stand offen. Ein gelber Lichtschein fiel heraus in die Nacht. Von innen klang das Gelächter englischer Offiziere, helle Frauenstimmen dazwischen.

„Gehen Sie allein hinein!“ sagte ihr Freund. „Es ist besser, als daß man uns zusammen sieht. Also nochmals: auf Wiedersehen in Genf!“

Er reichte ihr die Hand und fühlte ihren herzhaften Druck, wie den eines treuen Kameraden. „Auf Wiedersehen!“ sagte sie heiter. „Ich erwarte Sie und bin froh, wenn Sie kommen!“


15.

Ein seltsamer Gegensatz: In acht Tagen von Marokko nach Monaco, aus der weiten Wüste in die Fäulnis der Kultur, aus der Gesellschaft bezopfter, wildblickender afrikanischer Barbaren mit langen Entenflinten in der Hand und braunen Fetzen um die dürren Leiber in den Kreis stöckchenschwingender und sonnenschirmbewehrter, artig lächelnder und thöricht plaudernder europäischer Menschheit ……

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 776. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0776.jpg&oldid=- (Version vom 1.2.2023)