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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Duell komponiert und fast vollendet hatte, ist letzten Winter wiederholt zur Aufführung gelangt, und immer mit gleichem Beifall! Raimund war überglücklich – nicht daß ihm der Erfolg zu Kopf gestiegen wäre …. nein, ich weiß, was ihm so wohl thut: daß er ihn allein sich selbst und seinem Können zu verdanken hat. Ich kann es ihm wahrlich nachfühlen – – das ist sein wunder Punkt: er will selbst etwas leisten, selbst etwas bedeuten! Ich meine, er hat sein Können glänzend bewiesen und wird es weiter thun. Mit seinem Orchester ist er sehr zufrieden, er darf alle neuen bedeutenden Werke einstudieren und komponiert inzwischen fleißig, da seine Arbeiten so viel Anklang finden. Mit Recht wird in ihnen besonders die Frische und Ursprünglichkeit der Erfindung und die reich quellende Melodik gerühmt. Er behauptet immer, das alles verdanke er nur mir, und ich glaube ihm das schon zu gern! Papa Hagedorn behagt sich ausnehmend in diesen Verhältnissen. Seines ,Jungchens‘ Erfolge machen ihn, wie Raimund schreibt, so eitel und übermütig, daß es oft des Guten zu viel wird. Nach mir empfindet er große Sehnsucht, er schreibt mir die liebevollsten Briefe und freut sich wie ein Kind auf unsere Hochzeit.

Ja, bald, im Juli, meine Liebste, wenn ,tote Saison‘ für die schönen Künste ist und die Herren Lehrer, Professor Laurentius obenan, ihre Ferien haben – dann hat Dein Pflegekind Hochzeit, und Du kommst endlich, endlich mit Mann und Kindern herüber zu Deiner Alix nach Schloß Josephsthal!

Ich habe Dir ja von allem, was ich inzwischen geändert und – nach meinen Begriffen! – gebessert, getreulich Bericht erstattet, aber die eigene Anschauung ist doch allein entscheidend. Du wirst keine musterhaften, tadellosen Verhältnisse finden, denk’ das ja nicht! Aber einiges giebt doch Zeugnis von meinem guten Willen. Die Unfall- und Krankenhausverhältnisse sind aufgebessert, die Schule ist erweitert, in jedem Sinn, eine Handarbeitabteilung für Mädchen und Knaben gegründet, die jüngeren oder besonders schwächlichen Jungen lernen Korb- und Mattenflechterei und einfache Schnitzarbeiten. All diese Neuerungen habe ich mir Schritt für Schritt erkämpfen, oft geradezu von Cecil abbetteln müssen, weshalb ich doppelt stolz darauf bin. Er ist nicht hartherzig, auch nicht übelwollend, mein vortrefflicher englischer Vetter, aber er hängt mit zäher Energie an dem Grundsatz: diesen Leuten gebe man gerade nur das Aeußerste, dessen sie bedürfen – kein Gran mehr, sonst züchtet man Habsucht und Unzufriedenheit groß. Er giebt nach, weil er schließlich muß! ,Sie sind ja die Herrin von Kolonie Josephsthal, Cousine!‘ heißt es stets am Ende unserer Debatten. ,Sie haben zu bestimmen, und ich muß mich fügen!‘ – Daher hüte ich mich, zu viel auf einmal zu verlangen und zu oft mit Reformen zu kommen. Ich will mir Cecil erhalten, er ist mir sehr nützlich, nimmt meine Interessen vortrefflich wahr, und ich wüßte nicht, was ohne ihn anfangen. Wir kommen im ganzen ausgezeichnet miteinander zurecht – auch ich mit Gwendolen!

Du wunderst Dich, daß ich nicht mehr von ihr schreibe! Liebes Herz – es ist mit dem besten Willen nicht viel von ihr zu schreiben; sie ist für Cecil die rechte Frau, eine richtige englische Mustergattin, die sich um nichts kümmert als das, was ihr Gatte ihr erlaubt und für sie passend erachtet. Blond, zart, rosig, gesund, vernünftig, so ist sie, und so verspricht ihr Baby zu werden, ein kleines Geschöpf von fünf Monaten, der Mutter wie aus den Augen geschnitten, so regelmäßig abgewartet, so regelmäßig zunehmend und gedeihend, daß man es nach der Uhr abmessen könnte. Zwischen Cecil, Gwendolen und mir ist ein musterhaftes Verhältnis. Wir sind gleichmäßig freundlich gegeneinander, mit Cecil berede ich geschäftliche und mit seiner Gattin häusliche Dinge – im übrigen hat Mrs. Gwendolen ihre hübsche, geräumige Wohnung im linken Flügel des Schlosses, und ich im rechten, wir sehen uns nicht zu häufig und sind einander im Innern so fern und fremd, als lebten wir auf zwei verschiedenen Planeten.

Du fragst in Deinem letzten Briefe, ob ich inzwischen einmal irgend etwas von Ingenieur Harnack gehört habe ….. jawohl, Liebste, noch ganz kürzlich sogar!

Du weißt, daß er nach verbüßter Festungshaft übers Meer ging, was ich in jeder Hinsicht für ihn richtig fand; hier konnte er nicht bleiben, und ich verstand ihn gut, als er mit schwerer Betonung zu mir sagte: ‚Jetzt nur so weit fort als möglich!‘ Immer noch sehe ich ihn vor mir, als er in der ersten und letzten Unterredung, die ich ihm nach all den schmerzlichen Ereignissen bewilligte, von mir Abschied nahm. Vor einigen Wochen hörten wir durch einen Geschäftsfreund, der aus New Orleans kam, Mr. William Harnack sei dort als Leiter eines großen technischen Unternehmens thätig und sehr angesehen wegen seiner gründlichen Kenntnisse und seiner Tüchtigkeit. Auf meine spezielle Nachfrage, wie er sich sonst gebe, meinte der Geschäftsfreund, er gebe sich eigentlich gar nicht, sei wortkarg, unzugänglich, verschlossen und gelte im allgemeinen als ausgesprochener Menschenfeind. Ich hatte dies leider vorausgesehen – es waren schon hier alle Keime dazu vorhanden, und das, was er erleben mußte, wird ihn nicht milder gestimmt haben.

Du meinst, wenn ich verheiratet sein werde, wird mein Interesse für die Kolonie Josephsthal allmählich schwinden …. nein, Maria, das kann, das wird nie geschehen! – Kein Tag vergeht, da ich nicht meines Vaters gedenke, der Energie und Umsicht, mit der er sein Lebenswerk verwaltet, der fast leidenschaftlichen Anhänglichkeit, die er dafür gehabt hat. Ich fange an, es besser zu verstehen, wie er so ganz in seinen geschäftlichen Unternehmungen aufgehen konnte. Es hieße, sein Andenken schlecht in Ehren halten, ohne Pietät und ohne Verständnis sein, wenn ich über meinem persönlichen Glück jemals das vergessen sollte, was ich ihm schuldig bin! Jawohl – schuldig! Denn auch die Toten haben noch ihre Ansprüche an die Lebenden zu erheben, und wehe denen, die sich ihnen ganz entziehen! Und eins noch, Liebste: ich habe der Kolonie Josephsthal viel, viel zu danken! Im intimen Umgang mit der Natur, in häufiger Einsamkeit bin ich mehr zur Besinnung gekommen, mehr ich selbst geworden, als mir dies inmitten der Zerstreuungen einer Großstadt, selbst unter Deiner treuen Obhut, möglich gewesen wäre. An Leib und Seele bin ich gesünder geworden, habe mich sammeln können – und vor allen Dingen, ich habe arbeiten gelernt. Arbeiten – sorgen für andere – nicht nur mein eigenes Ich hätscheln und in den Vordergrund stellen! Wie oft hat meines armen Vaters lakonisches Wort: ,Ich baue!‘ mich früher entrüstet! In diesen Jahren hab’ ich auch von mir sagen können: ,Ich baue!‘ aber nicht nur die Häuser, die längs des Flusses entstanden sind – ich baue Dinge, die man nicht sieht, die aber schwerer oft hinzustellen sind als ein neues Haus, denn das Material ist feiner als Ziegel, Mörtel und Steine – es ist Selbstüberwindung und Menschenliebe!

Darum werde ich jedes Jahr – und Raimund kennt mein Vorhaben und billigt es! – eine Zeit lang auf Schloß Josephsthal leben, werde mich den Leuten, den Beamten nicht entfremden, werde getreulich aus der Nähe, wie aus der Ferne, wachen über allem, was geschaffen wurde und was noch geschaffen werden soll. Meine alte Françoise nehme ich mit mir in meine neue Häuslichkeit, sie würde die Trennung von mir nicht ertragen, sie würde denken, Mignonne könne nur von ihr frisiert und bedient werden, und sie wird, davon bin ich überzeugt, heimlich drei Kreuze schlagen, wenn sie das ,Exil‘, in dem sie mehr als drei Jahre hat aushalten müssen, verlassen kann. Meine gute Frau von Sperber, die Du mit Recht in Dein Herz geschlossen hast, wie sie Dich, bleibt hier. Sie hat mich darum gebeten, und ich habe es ihr mit Freuden bewilligt. Kennt sie doch meine Intentionen, wird sie mir doch getreulich über alles und jedes berichten und in meinem Sinn und Geist regieren – freilich nur, soweit Vetter Cecils praktische Weisheit dies zuläßt. – Die Kinder werden mich hier freilich vermissen, sie hängen wirklich an mir, und das diesjährige Kinderfest fiel, im stillen Gedenken an die nahe Trennung, so besonders schön und reichlich aus, daß allgemeiner Jubel herrschte. Aber meine getreue Frau von Sperber wird die kleine Gesellschaft nicht vergessen – – und auch ich werde das nicht!

Morgen, Maria, versende ich die Verlobungsanzeigen – in acht Wochen, so Gott will, heiße ich Alexandra Hagedorn! Du warnst mich immer: ich soll mir meine Zukunft nicht zu rosig ausmalen …. das versuche ich redlich, Liebste, Beste! Ein schattenloses Glück – wer darf das beanspruchen – wer erwarten? Aber ich licöe, und ich werde geliebt – – darin liegt Glück die Fülle! Bestätige Du es mir – Du, selbst eine glückliche, liebende und geliebte Frau!

Sowie die Ferien beginnen, kommt Ihr! Ihn werdet Ihr schon vorfinden. Auf frohes Wiedersehen!
Deine Alix!“ 


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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 767. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0767.jpg&oldid=- (Version vom 21.2.2023)