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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

bewahren. „Also – bitte!“ Die Majorin schob dem Engländer einen Stuhl hin. „Wollen Sie sich setzen?“ !

„Danke – nein! Die Zeit ist mir knapp; Justizrat Ueberweg wartet, er will gleich nach Greifswald zurück; ich kam nur, Ihnen die Nachricht sogleich zu bringen. Der Mensch also war sehr krank. In seinen Fieberphantasien hat er verraten, was wir wissen wollten. Bald rief er, er stecke im Schnee mitsamt dem Schlitten und dem toten Mann, und er könne nicht heraus – es schneie zu stark, und der Schnee balle sich um ihn herum fest, wie eine eiserne Mauer! Dann wieder stöhnte er: ,Der Mann ist noch gar nicht tot, wohl liegt er wie eine Leiche auf dem Bett, aber er lebt noch, Tage und Tage, und ist nicht lebendig und nicht tot!‘ Dann wieder sprach er von Hamburg, von Verkleidung und falschem Namen. Aber das konnten bloße Phantasien sein. Endlich, nach vielem Mühen der Aerzte, ließ das Fieber nach, die Besinnung kehrte zurück, und nun wollten sie versuchen, ihn zum Geständnis zu bringen. Er merkte das aber und hat lange kein Wort gesprochen; er kehrte das Gesicht gegen die Wand und that, als hörte er nichts. Zuletzt, in vergangener Nacht, das heißt gegen Morgen, es war schon hell, da ist er fürchterlich unruhig geworden, ein Schüttelfrost hat ihn gepackt, eiskalter Schweiß ist ihm ausgebrochen, er hat die rechte Hand zur Faust geballt und hat mit schrecklicher Stimme gerufen, er fühle, er müsse ja doch zur Hölle fahren, und darum wolle er auch in drei Teufels Namen gestehen: Ja, er habe den Baron von Hofmann ermordet!“

Cecil machte eine Pause. Alix deckte die Linke über die Augen. Wie sie in ihr wieder lebendig wurde, die fürchterliche Zeit, die sie neben diesem Krankenbett, das immer und immer noch kein Totenbett werden wollte, zugebracht hatte!

Niemand sprach zu ihr; jeder schonte den Schmerz der Tochter, der in qualvolle Erinnerungen tauchte – aber Alix fühlte, wie sich eine leise zitternde Hand auf ihre Rechte legte, die auf der Seitenlehne des Krankenstuhles ruhte. Raimunds Hand – sie wußte, fühlte das, ohne hinzusehen, und mitten in dem schneidenden Weh, das über sie gekommen war, that es ihr wohl, zu denken: er empfindet mit dir und er gehört zu dir!

Cecil Whitemore räusperte sich leicht, um damit anzudeuten, daß er jetzt fortfahren möchte.

„Die Leute, die bei ihm wachten, haben ihn gefragt, ob er das vor dem Untersuchungsrichter wiederholen werde. Ja – in des Satans Namen – ja! Ihm sei nun alles einerlei, er fühle den Tod und das sei gut. Einer von den Leuten war fortgestürzt, den Untersuchungsrichter zu wecken und herbeizuholen – dieser war in kurzer Zeit mit dem Protokollführer zur Stelle, auch der Arzt war dabei, um sein Gutachten über die geistige Verfassung des Menschen abzugeben. Er hat ein umfassendes Geständnis abgelegt. Daß er auf alle Millionäre einen Haß gehabt, einen ganz persönlichen aber auf den Baron von Hofmann, der ihn einmal in einem Brief schwer gereizt und beleidigt hatte. Daß er dringend Geld brauchte, und zwar viel Geld, denn mit den paar armseligen Groschen, die ihm sein Bruder gegeben hätte, sei nichts anzufangen gewesen. Daß er vorgegeben habe, nach Amerika zu gehen, um den Bruder ganz sicher zu machen, inzwischen aber erfahren habe, daß Herr von Hofmann an dem und dem Tage um die und die Stunde eine große Summe abzuliefern gedächte und daß er wahrscheinlich allein, wie das seine Gewohnheit war, mit dem Selbstkutschierer fahren würde. Er hat sich da sofort vorgenommen, wenn er ihn allein anträfe, ihn zu töten. – – Wer ihm die Mitteilung gemacht, so genau gemacht, das hat er nicht ausgesagt. Natürlich ist es dieser Schuft Kraßna gewesen, aber Harnack hat den Namen nicht genannt, auch als der Richter ihn dringlich gefragt, ob es nicht Kraßna gewesen sei, und ihn ermahnt hat, jetzt auch das noch zu gestehen, konsequent geschwiegen.“

„Und – und – dieser Mensch ….“ fragte Frau von Sperber leise und zögernd, „lebt er noch?“

Cecil zuckte die Achseln. „Er lebte noch,“ sagte er mit starkem Nachdruck auf dem letzten Wort, „als der Untersuchungsrichter Herrn Justizrat Ueberweg das Protokoll zu lesen gab, der Arzt hat aber gemeint, sein Dasein zähle nur noch nach wenigen Stunden.“

Wieder tiefe Stille – nur die Bienen summten geschäftig im Sonnenschein um die blühenden Linden. So hatte der schöne Park auch vor einem Jahr im Sonnenlicht dagelegen, so hatten auch die Bienen die Linden umschwärmt – und unter diesen Linden weg war raschen, energischen Schrittes, erhobenen Hauptes ein kräftiger Mann geschritten, rastlose Pläne formend. Umwälzungen, Neuerungen – und alle die Hunderte, die dort hinter dem Park arbeiteten, dienten ihm – das Gold strömte ihm zu in Fülle, die Provinz war stolz auf ihn, sein Name war gekannt und geachtet, weit und breit!

Jetzt schlummerte er als Opfer eines Mordes im Sarge, und eben, hier, hatte man erfahren, wer sein Mörder gewesen war!

Alix ließ die Hand von den Augen sinken und sah verstört um sich. Es war ihr, als sei der Vater ihr eben jetzt zum zweitenmal gestorben. – „Sie erlauben, Mr. Whitemore,“ sagte der alte Herr Hagedorn schüchtern, sich an den Engländer wendend, „Sie erwähnten, daß Herr Justizrat Ueberweg sehr bald nach Greifswald zurückfährt, dürfte ich mich vielleicht ihm anschließen, da ich dort gleichfalls zu thun habe?“

„Selbstverständlich, Sir, es steht dem nichts im Wege!“ entgegnete Cecil höflich. „Wenn Sie mich zur Walzmühle begleiten wollen – ich habe dorthin zu gehen! Cousine Alexandra – kommen Sie mit mir ins Schloß?“

Alix schüttelte stumm den Kopf. Sie wandte sich und schritt allein, ohne sich umzuschauen, den Weg hinunter, der zu einer Seitenpforte des Parkes und von da zur Schloßkapelle führte. –

Sie ließ sich zur Zeit des Diners entschuldigen: es wäre ihr nicht ganz wohl, sie wünschte niemand zu sehen.

Es war gegen Abend, als sie Françoise, die sich dann und wann um sie zu schaffen machte, wenn sie auch nicht zu reden wagte, beiläufig fragte, ob der alte Herr Hagedorn schon von Greifswald zurückgekehrt sei.

„O ja! Schon seit zwei Stunden! Und er hat gleich nach Ihnen gefragt, ob Sie nicht zu sprechen wären. Als ich es verneinte, ist er zu Monsieur Raimund gegangen, und Frau von Sperber hat gesagt, das wäre schön, daß er käme, sie abzulösen, sie hätte einen wichtigen Brief zu schreiben – und sie ist gegangen.“

„Da sind also die beiden Herren miteinander allein geblieben?“

„Gewiß.“

Alix schwieg. Wie würde Raimund die Nachricht, welche er jetzt wohl erhalten haben mußte, aufnehmen? Sollte sie jetzt zu ihm hinüber? Sollte sie heute noch … Die Sonne war schon hinunter, der Patient mußte in seinen Wohnräumen sein. In dem kleinen Vorzimmer, wo Alix so oft Doktor Petri erwartet hatte, traf sie auf James. „Wer ist bei Herrn Hagedorn im Zimmer, James?“

„Niemand, Baroneß! Frau Major von Sperber schreibt einen Brief, und den alten Herrn hat Herr Hagedorn selbst vor einer Weile fortgeschickt – er wünschte, allein zu sein.“

„Gut, James Sie – Sie können mich melden und dann gehen; ich habe mit Herrn Hagedorn zu reden. Er wird läuten, wenn er Sie braucht. Und noch eins, James: ich wünsche ungestört mit Herrn Hagedorn zu sprechen!“

„Sehr wohl, Baroneß!“ In seiner geräuschlosen Art geht und kommt er, schiebt die Thür weit zurück und tritt mit einer Verbeugung beiseite: „Herr Hagedorn läßt ergebenst bitten!“

In Baron Hofmanns Arbeitszimmer sitzt Raimund in seinem Krankenstuhl vor dem großen, jetzt so sorgsam aufgeräumten Diplomatenschreibtisch. Der rosige Abglanz des Abendhimmels fällt auf das eintretende Mädchen. Die welkenden Oleanderblüten hat sie aus dem Gürtel gezogen und fortgeworfen, sie ist schneeweiß von Kopf bis Fuß – das Haar flammt auf, die Augen leuchten. Sie sagt kein Wort, kommt langsam heran, setzt sich auf einen Stuhl neben ihn und wartet, daß er sprechen werde.

„Ihr Vater hat Ihnen gesagt –“ hebt sie unsicher an, da er immer noch schweigt.

„Ja – und ich danke Ihnen, daß Sie kamen.“ Es kommt sehr mühsam und gezwungen heraus.

„Sie sind mir böse?“ fragt sie traurig.

„Böse? Ich? Und Ihnen? Wie könnte ich das? Sie wollen die gute Fee sein, die mich mit Schätzen überschüttet –“

„Nein, nein – nicht so!“ Sie läßt ihn nicht weiterreden. „Ich hab’ Ihnen helfen wollen, weiter nichts, Raimund – ehrlich und redlich helfen wollen, weil ich an Ihr Talent und an Ihre

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