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Photographie im Verlag von Franz Hanfstaengl in München.
Die neuesten Nachrichten.
Nach dem Gemälde von Fr. W. Graf Bülow von Dennewitz.


das Fallreep hinauf und ging über das hell vom Licht beschienene, völlig leere Deck auf die große Salonkajüte zu.

Während er, mit der Hand über die schwere Eichenschnitzerei des Geländers hingleitend und mit dem Fuß tief in dem Smyrnateppich versinkend, die Treppe hinabstieg, horchte er auf. Aber kein Laut war vernehmbar, nichts regte sich hinter der getäfelten, mit einem bronzenen Löwenkopf geschmückten Thüre, die zum Speiseraum führte. Und doch mußten sie jetzt dort alle versammelt sein. Fiel doch auch durch die mit schweren Portieren verhängten Fenster ein schmaler Lichtstreifen heraus in die Nacht.

Ein seltsames Gefühl beschlich ihn. Das Schiff kam ihm wie verzaubert vor in seiner Helle, seiner Pracht und seinem Schweigen. Um die Beklemmung los zu werden, pochte er an und trat auf das von innen tönende, gleichgültige „Come in!“ in das Gemach, Angelas Bild vor Augen, die ihm ja im nächsten Augenblick mit ihrem gewohnten hellen Lachen die Hände entgegenstrecken mußte.

Er blieb betroffen stehen. Das reich ausgestattete Speisezimmer war fast menschenleer. Nur eine Gestalt saß einsam und melancholisch in Frack und weißer Binde an der silberbeladenen, mit Blumen verzierten Tafel, eine Gestalt, die dem ersten Blick in ihrer Schmächtigkeit und Bartlosigkeit fast knabenhaft erschien. Aber die Züge des heiter lächelnden Gesichtes mit der hellblonden Perücke darüber waren gefurcht und die Augen glänzten kalt und alt darüber hin.

Niemand hätte sagen können, ob Nikolai Augustus Rey, der Petroleumkönig, 35 oder 55 Jahre zählte. Sein Aeußeres war ein Rätsel, wie denen, die ihn näher kannten und in ihm nicht nur den verdammenswerten Spekulanten sahen, der ganze Mensch. Wie er jetzt den Kopf langsam von den Papier- und Zeitungsstößen hob, die während der einsamen Mahlzeit seinen Teller umrahmten, war sein Gesicht das eines sorgenvollen, ergrauten Kaufmanns. Aber kaum erkannte er seinen Gast, so glitt ein spitzbübisches, jungenhaft übermütiges Lächeln über seine Züge, und er sprang mit jugendlicher Behendigkeit vom Stuhle auf.

„Da ist er ja!“ rief er mit seiner schmeichelnd hellen Stimme. „Unser Afrikaner! Ich weiß schon: Sie sind kein Gespenst! Sie leben wirklich! Angela hat es mir geschrieben: ,Wenn er nach Gibraltar kommt und nach mir fragt, so erschrick nicht, sondern pflege ihn ordentlich‘. Also setzen Sie sich, Freund! Ein Glas Port? Schön! ... Noch eins! ... Kein Widerspruch! Meine Tochter hat befohlen, Sie zu Kräften zu bringen.“

„Ja, wo ist sie denn?“ Der Fremde setzte sein Glas ab und schaute suchend umher.

Nikolai Rey lachte vergnügt. „Der reine Wilde! Er giebt sich gar keine Mühe, seine Enttäuschung zu verbergen. Aber es hilft nichts. Sie müssen schon mit mir vorlieb nehmen. Meine Tochter und ihre Freunde sind fort!“

„Wo sind die Herrschaften denn?“

„Hm!“ Der Petroleumkönig geleitete seinen Gast zu einem Stuhl und schob, auf den elektrischen Knopf drückend, den ganzen Wust von Depeschen und Druckpapier zur Seite. „Hm .. ja ... wo liegt die Jacht eben? ... Doch in Gibraltar? Ich vergesse nämlich in meinen Geschäften oft, an welcher Küste oder in welchem Erdteil ich mich gerade befinde. Also Gibraltar! Und gegenüber liegt dies spanische Nest ... eine Festung ...“

„Ceuta!“

„Richtig! Ceuta! Dort war ich heute abend, um Angela und ihre Sippschaft aus Afrika herüberzuholen. Finde aber nur ein paar Zeilen von ihr vor, sie und die beiden andern seien aufgebrochen, um den höchsten Berg da in der Nähe ... weiß der Henker den Namen ... ja den Dschib-El-Musa ... zu ersteigen! Gefährlich? Was? Natürlich. Dort wohnen doch die Nachkommen der berühmten Rifpiraten, denen unsere

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 749. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0749.jpg&oldid=- (Version vom 1.2.2023)