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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Schultern aber und sein Auge künden eine Kraft, die noch manchen Kampf trotzig aufzunehmen gedenkt. Auf dem Wege, der ihn zum Jungfraugipfel führen soll, ist heute die erste Station erreicht. Wer will es ihm verargen, daß er trotz der Unbill des Wetters freudig um sich schaut und mit Befriedigung alle die Männer begrüßt, die heute seinem Rufe gefolgt sind!

Wer je das Glück hatte, an einem sonnigen Tage auf der Kleinen Scheidegg zu stehen, der wird schwerlich das Bild vergessen, das sich hier vor den Blicken aufthut. Verschwenderisch in ihrer Schöpferkraft, künstlerisch edel in der Formgebung schuf die Natur hier ein firn- und gletscherumwalltes Felsenmonument, das in seinem harmonischen Aufbau wohl zu dem Erhabensten gehört, was man auf Erden sehen kann. Zwei Sockel bilden den Unterbau desselben, rechts der senkrecht aus dem Lauterbrunnerthal aufsteigende Schwarze Mönch als Fußgestell der Jungfrau, links, als Pfeiler des Eigers, der langgestreckte, gegen Zweilütschinen abstürzende Höhenzug, auf dessen tiefster, thälerverbindender Einsattelung, der Kleinen Scheidegg, wir uns befinden.

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Die Aufführung des Festspiels.
Nach einer Aufnahme von Photograph Gabler in Interlaken.

Nur von hier aus bot sich dem verwegenen Gedanken, einen Gipfel von mehr als 4000 Metern in einem bequemen Wagen sitzend zu erklimmen, einige Aussicht auf Verwirklichung. Zwischen der Jungfrau und der ihr näher gelegenen Wengernalp klafft das Trümletenthal, in das sie täglich ihre Lawinen entsendet. Von der Scheidegg aus aber erreicht man ohne übermäßige Steigung und völlig gefahrlos den Fuß des Eigers und kann nun, im Innern des Berges geborgen, unbekümmert um Gletscherspalten und Steinschlag, durch Tunnel zum Lichte emporstreben. Die Bahn, welche sich nur nach dem höchsten der drei Berge nennt, ist in Wahrheit eine Eiger-Mönch-Jungfraubahn.

Durch den Felskern aller drei Giganten bohrt sich der Mensch aufwärts, und eines jeden Eigenart wird man zu spüren bekommen.

Die Stationen werden so nahe der Außenwand angelegt, daß es nur kurzer Tunnel bedürfen wird, um dem Fahrer aus dem Innern des Eigers heraus den grünen Thalkessel von Grindelwald, aus dem Innern des Mönchs heraus die Eisgefilde des Aletschgletschers und die fernen Gipfel des Matterhorns und Monte Rosa zu zeigen. Schließlich wird man in einem senkrechten Tunnel mittels eines Aufzugs auf den Jungfraugipfel gehoben, den, wie unsre Anfangsvignette zeigt, ein Aussichtsturm krönen soll. Von solcher Zukunftsmusik umwogt, fuhren die einen auf der elektrischen Bahn, gingen die andern zu Fuß von der Scheidegg (2064 Meter) zur Station „Eigergletscher“ (2319 Meter) hinauf, wo die Fanfaren eines für den heutigen Tag komponierten Triumphmarsches von dem Interlakener Kapellmeister Scheidt die Gäste empfingen. Was sehe ich? Hier ein Stück blauen Himmels, dort eins, dort noch eins! Die scheinbar kompakte Nebelwand zerflattert in zaghafte Fetzen; in drohender Massigkeit taucht die Eigerwand vor uns auf. Dort unten über dem Rande der Seitenmoräne schimmert es wie Silber in den Furchen des wild zerklüfteten Gletschers, hier trifft ein Sonnenpfeil auf einen blendenden Eispanzer, dort läßt er eine grüne Matte aufleuchten und nun, wie aus überirdischer Höhe, strahlt ein Schneegipfel auf uns herab – die Jungfrau! – Fast that es uns leid, bei der jetzt anhebenden, in Jauchzen ausbrechenden Lust ins Innere des Berges zu dringen. Aber geheimnisvoll lockte es uns hinein. Wie Jakobs Himmelsleiter sah man in der Nacht des auswärtssteigenden Tunnels ein Glühlicht sich ans andere reihen. Das Doppelgleis einer Rollbahn führte hinein. Zur Linken die elektrischen Lampen in spärlicher Zahl und bescheiden an Leuchtkraft, zur Rechten das leise summende Ventilationsrohr, nahmen wir zwischen den zwei Schienenwegen die 20 bis 25 % Steigung unter die Füße. Etwa nach den ersten 150 Metern öffnet sich rechts ein Stollen, durch den der losgesprengte Felsschutt hinabgeworfen wird. Auf dem dadurch entstandenen Plateau befinden sich die Maschinen, welche die aus dem Thale empfangene Elektricität ihrer oben geschilderten Verwendung zuführen.

Wir setzen unsere Tunnelwanderung fort. Wände und Boden sind trocken, die Luft völlig rein und kühl, doch nun wird das Gehen etwas schwieriger, da wir aus dem fertigen Teil des 4,25 Meter hohen und 3,6 Meter breiten Tunnels über ein Leiterchen in den Richtstollen hinaufklettern müssen, wo die elektrische Beleuchtung aufhört. Mit Zündhölzern in der Hand geht es weiter dem Grubenlicht entgegen, mit dem am Kopfende der Führer die ruhende Bohrmaschine und die von ihr gebohrten Löcher beleuchtet. Zwölf Löcher von je einem Meter Tiefe werden gebohrt und, während man die beiden Maschinen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 729. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0729.jpg&oldid=- (Version vom 27.6.2022)