Seite:Die Gartenlaube (1898) 0724.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Studienzeit materiell unterstützte), Wilhelm von Humboldt, Edgar Quinet, Guizot – um nur einige der bekanntesten zu nennen – waren ihm persönlich befreundet, haben seine wissenschaftlichen Leistungen hochgeschätzt und anerkannt. Aber der große Gelehrte war Meister nur in seiner Bücherwelt, dem Leben stand er hilflos wie ein Kind gegenüber.

Wenige Monate nach seiner Uebersiedelung nach Heidelberg, im August 1804, lernte er Karoline von Günderode kennen. Sie war von Frankfurt zum Besuche der Frau des Professors Daub, des berühmten Theologen, herübergekommen, die sie noch von Hanau aus kannte. Creuzer war mit Daubs befreundet. Karoline sehen und lieben war für ihn Eines. Er war kein schöner Mann und wußte das auch; er war auch ein bescheidener, wenig selbstbewußter Mann. Auf dem Altane des Schlosses Heidelberg sah er Karoline zum erstenmal, und seitdem war er wie verwandelt. „Nie“ – schrieb er am 17. August 1804 – „bin ich für das äußere Leben mit all seiner Herrlichkeit unempfänglicher gewesen als jetzt, aber auch nie in meinem Leben so glückselig. Der Tod ist besser als das Leben. Wer sie doch zerreißen könnte die Bande dieses Lebens und entbehren könnte die Klugheit dieser Welt!“

Auch auf Karoline hatte er sofort einen tiefen Eindruck gemacht. Sie war ihm seelisch verwandt: schwärmerisch, zur Mystik geneigt wie er, mit dem Herzen denkend, Poesie und Philosophie vermischend wie er. Und dabei stand Creuzer in seinem Wissen hoch über ihr, so daß sie als Schülerin zu ihm emporblickte. Das mußte der Mann sein, den sie suchte, denn sie konnte nur dort lieben, wo sie gleichzeitig auch verehrte! Von den vielen Briefen, die zwischen beiden nun gewechselt wurden, haben sich Karolinens Briefe nur ganz vereinzelt, Creuzers hingegen fast sämtlich erhalten. Aber auch einzelne Gedichte von ihr, und nie hat sie wärmere Töne gefunden als in dieser Zeit.

Wie tiefempfunden ist z. B. das folgende, welches erst neuestens (im vorigen Jahre) zum Druck gelangt ist:

  Die eine Klage.

Wer die tiefste aller Wunden
Hat in Geist und Sinn empfunden,
Bittrer Trennung Schmerz;
Wer geliebt, was er verloren,
Lassen muß, was er erkoren,
Das geliebte Herz;

Der versteht in Lust die Thränen
Und der Liebe ewig Sehnen:
Eins in Zwei zu sein,
Eins im andern sich zu finden,
Daß der Freiheit Grenzen schwinden
Und des Daseins Pein.

Wer so ganz in Herz und Sinnen
Konnt’ ein Wesen liebgewinnen,
O, den tröstet’s nicht,
Daß für Freuden, die verloren,
Neue werden neu geboren:
Jene sind’s doch nicht.

Das geliebte, süße Leben,
Dieses Nehmen und dies Geben,
Wort und Sinn und Blick,
Dieses Suchen und dies Finden,
Dieses Denken und Empfinden
Giebt kein Gott zurück.

Kein Wunder, daß bei Creuzer bald der Plan feststand, sich von seiner Frau scheiden zu lassen und Karoline zu heiraten. Das war nun freilich leichter gedacht als gethan. Zwar war Frau Creuzer eine gutmütige, leicht bestimmbare Frau. Nachdem ihr der Gatte erklärt hatte, wie es um sein Herz stehe, fand sie sich bereit, ihm, dem um so viel jüngeren Manne, zu entsagen. Aber sie blieb nicht bei ihrer Meinung; kurz darauf erklärte sie: sie wolle ihm zwar entsagen, aber das wäre auch ihr Tod! Creuzer war seinerseits dieser Frau doch zu sehr verpflichtet, um ihr das Aeußerste anzuthun. „Ich bin nicht hart genug, töten zu können. Sterben kann ich.“ Nun begann eine Zeit der Qual für ihn, des Konfliktes zwischen Leidenschaft und Pflicht. Savigny, der beiden doch so gut gesinnt war, mahnte ihn zur Entsagung, verwies ihn auf die Wissenschaft, seine einzige und höchste Göttin, bei der er Trost finden könne, warnte Karoline vor Ueberspannung der Gefühle. Creuzer bäumte sich dagegen auf und schmiedete allerlei Pläne, um aus der Herzensnot zu kommen, die Geliebte zu erringen und doch auch die gute alte Frau zu versorgen. Weg von Heidelberg, bis nach Moskau wollte er gehen und für Sophie eine Pension aussetzen. Aber alle Pläne zerschlugen sich, es war nicht möglich, die finanzielle Frage zu lösen. Anstatt mit kurzem männlichen Entschluß der Sache so oder so ein Ende zu machen, blieb Creuzer schwach und unentschlossen, allerdings Karoline auch, die mit mächtiger Leidenschaft an ihm hing. Seinetwegen hatte sie sich mit Bettina überworfen. Diese ward zunächst vielleicht nur aus Eifersucht eine Feindin Creuzers; ihr Instinkt stieß ihn zurück. Er war ihr kein rechter, ganzer Mann, er war ihr zu häßlich, zu unselbständig. Und in ihrer Art gab sie’s ihm auch deutlich zu verstehen. Das verletzte ihn und infolgedessen auch Karoline, und sie brach den Verkehr mit Bettina, so viel Schmerz es ihr auch verursachte, kurzweg ab. Im November 1805 schrieb sie Creuzer neuerdings, daß sie entsagen wolle:

„Siehe, es ist mir freier und leichter geworden, seit ich allem irdischen Hoffen entsagte. In heilige Wehmut hat sich der ungestüme Schmerz aufgelöst. Das Schicksal ist besiegt. Du bist mein über allem Schicksal. Es kann Dich mir nichts mehr entreißen, da ich Dich auf solche Weise gewonnen habe … Such doch Sophiens Vertrauen zu gewinnen. Sag ihr, wir hätten entsagt …“ Und ebenso in einem längeren Gedicht.

Aber es blieb doch nicht bei diesem Entschluß. Sahen sich die Liebenden auch sehr selten, so wurde der briefliche und litterarische Verkehr doch fortgesetzt, und die Leidenschaft kam nicht zur Ruhe. Creuzer veröffentlichte in seiner neuen Zeitschrift „Studien“, die nur wissenschaftlichen Arbeiten gewidmet war, ein Drama von der Günderode, „Mahomed“, und das machte wieder großes Aufsehen. So flammte die Leidenschaft immer von neuem auf; nach einem verliebten Schreiben folgte bald wieder die nüchterne Erwägung, daß die Verbindung denn doch nicht möglich sei, und so ging das monatelang zur gegenseitigen Qual fort. Gewiß hätte Creuzer als Mann stärker sein sollen; er war unklar und konnte den Gedanken der Möglichkeit eines rein platonischen Liebesverhältnisses nicht aufgeben, indes sich Karoline vor Sehnsucht verzehrte. Er erschrak, als sie endlich Forderungen zu einer kühnen That an ihn stellte, und rechnete ihr alle materiellen Bedenken vor, die einer Verbindung im Wege stünden. Die Mißverständnisse häuften sich; Creuzer nannte Karoline seine „liebe Peinigerin“, der Ton ihrer Briefe wurde unerquicklich. Schließlich, Mitte Juli 1806, verfiel er in eine schwere Krankheit, und von ihr errettet, ließ er am 18. Juli seine Freunde, die Professoren Schwarz und Daub, rufen und „entsagte vor ihnen feierlich seinen bisherigen Verhältnissen“, und Daub mußte es übernehmen, „dieses alsobald der Günderode zu schreiben“.

Und nun kam die Katastrophe. Karoline war schon durch die Korrespondenz mit Creuzer in den letzten Wochen, die ihr immer klarer die Unhaltbarkeit des Verhältnisses fühlbar machte, sehr erregt. Den Juli verbrachte sie in Winkel am Rhein in gemeinsamer Wohnung mit ihren Freundinnen Paula und Charlotte Servière. Dort erwartete sie immer vergeblich Briefe von ihrem geliebten Creuzer; sie wußte nicht, daß er krank war. Da kam endlich am 26. Juli ein Brief, nicht an sie, sondern an die Freundin gerichtet. Daub hatte die Absage Creuzers Karolinen auf Umwegen vermitteln wollen. Er schrieb an eine gemeinsame Freundin, Frau Susanna von Heyden in Frankfurt, sie möchte Karoline benachrichtigen. Doch auch sie vermied es, Vermittlerin der Hiobspost zu sein, und schrieb daher an Charlotte Servière, sie möge die Günderode auf die Absage Creuzers vorbereiten und ihr endlich diese schonungsvoll mitteilen. Karoline aber, gespannt auf die ersehnten Briefe, wie sie schon war, übernahm vom Boten, dem sie entgegenlief, den an die Servière gerichteten Brief der Heyden, ging auf ihr Zimmer, erbrach ihn und las so die böse Botschaft ohne die von allen Freunden gewünschte Vorbereitung. Das traf sie zu Tode. Ihr Entschluß war rasch gefaßt. Scheinbar ganz unbefangen nahm sie von der Servière Abschied zu einem kleinen Spaziergange am Rhein, wie sie ihn abends oft zu machen pflegte. Aber sie kam nicht wieder. Beunruhigt suchten die Freundinnen sie auf dem Zimmer, fanden dort den erbrochenen Brief und ahnten gleich ein Unglück. Man forschte die ganze Nacht nach ihr, doch erst am Morgen fand man ihre Leiche in einem Gebüsch am Rhein, von dem Dolch durchbohrt, den sie seit längerer Zeit bei sich zu tragen pflegte, und den ihr Bettina schon einmal hatte entwinden müssen. – –

Der Tod erlöste sie von einem Dasein, in dessen Schranken sie sich nicht fügen konnte. Da Karolinen die Erfüllung des natürlichen Frauenberufes nicht gestattet war, so hatte sie bei der Ueberspanntheit ihres Wesens den festen Boden der weiblichen Existenz verloren. Da sie die Liebe nicht fand, wünschte sie sich den Tod. Wissenschaft, Kunst, Litteratur – so viel Verständnis sie für sie hatte – konnten sie nicht über den Mangel an Liebe trösten. Das macht ihr Schicksal zu einer so reinen Tragödie, in der sich das Schicksal so vieler ihres Geschlechts spiegelt. Und darum kann man ihrer nie vergessen.


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 724. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0724.jpg&oldid=- (Version vom 18.4.2023)