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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

behaupten. Er hat das alles mehr innerlich und ist ein sehr guter Mensch. Trotz seinem Fluchen und Krakehlen.“

„So, so!“ sagte der Kaufmann nachdenklich und blickte auf die schwarz und reglos dasitzende Gouvernante. „So spinnt sich derlei über Länder und Meere!“

„Ja, wenn man ein bißchen was dazu thut!“ beharrte die Kleine eifrig. „Sehen muß man sich doch vor allem, und dann ist es noch zweifelhaft, ob etwas daraus wird. Aber Klara will ja nicht. Sie will nicht fort von hier.“

„ . . Ja, wenn sie doch hier malen muß!“

„Sie kann ja nicht. Sehen Sie, Sie haben recht gehabt. Da kommen diese schrecklichen braunen Kerle und Kinder und alles schon über die Mauern geklettert und stellen sich um sie herum. Und wenn der Soldat sie wegtreibt, giebt es erst recht ein Geschrei und Gezänke, daß man jeden Augenblick glaubt, es bleibt einer tot. Vorhin haben sie schon um die Ecke herum mit Steinen nach uns geworfen. Nein, hier ist nichts zu holen!“

„Aber warum bleibt Ihre Schwester denn hier?“

„Ich weiß es schon!“ meinte Hilda.

„Aber ich werd’ mich hüten, es zu sagen! Und was sie will, das geschieht! Denn sie verdient ja doch alles Geld. Ich verdanke es doch auch nur Klara, daß ich hab’ mein Lehrerinnenexamen machen können.“

„Und jetzt wollen Sie eine Stellung annehmen?“

„Ich hab’ schon eine. In Genf. Die Familie eines Seidenfabrikanten, wo die Kinder Deutsch lernen sollen. Am 20. Juni muß ich dort sein. Meine Schwestern laden mich auf der Rückreise dort ab. Das sind jetzt die letzten Tage meiner goldenen Freiheit. Aber einen rechten Genuß habe ich eigentlich nicht davon!“

„In Genf.“ Der Handlungsreisende strich nachdenklich den langen blonden Vollbart. „Schade. So weit weg.“

„Ja, ich habe auch Angst vor dem fremden Land und den fremden Menschen!“ seufzte die Kleine. „Aber was hilft’s? Wir sind Waisen. Geld haben wir keins; also müssen wir auf eigenen Füßen stehen. Das hat mir Klara so oft gepredigt und vor allem durch ihr Beispiel bewiesen, daß ich mich damit vertraut gemacht hab’ . . . . . Sehen Sie… da kommt sie herunter, all ihre Sachen unter dem Arm. Es geht nicht mit dem Malen!“

Auf dem Gesicht der jungen Künstlerin lag ein unverhohlener Aerger, während sie die zerfallenen Steinstufen mehr herabsprang als ging, ein Haufe neugierig gaffendes und gurgelndes braunes Volk im Trabe hinterher.

„Wir wollen in die Fonda zurück!“ sagte sie heftig. „Man kommt sich hier ganz dumm vor. Am Ende thun uns die Leute noch was! Auf die Soldaten ist doch kein Verlaß!“

Die Gouvernante stand auf. „Am besten wär’ es,“ sprach sie knapp und düster, „wir ließen die Maultiere gesattelt und ritten gleich nach Tanger weiter. Jetzt ist das Wetter schön. Morgen abend können wir dort sein!“

„Ach ja, nach Tanger! Bitte, bitte!“ wiederholte die Kleine und hob flehend die Hände.

Ihre hübsche Schwester stand unschlüssig da und blickte zu Boden. „Ja sollen wir denn etwa den Kranken allein lassen?“ frug sie, ohne die beiden andern anzuschauen, in ungewohnt heftigem Ton. „Das wäre doch wirklich unverantwortlich!“

„Ach. Er ist gar nicht mehr so krank. Heute morgen war ihm doch schon viel besser!“

„Er wollte ja aufstehen!“ setzte die Gouvernante in ihrem Baß dazu. „Fieber hat er ja auch keines. Da ist doch keine Gefahr. Aber freilich …. du mußt es ja besser wissen. Du pflegst ihn ja. Das geht allem andern vor.“

„Ich habe nur eine Menschenpflicht erfüllt!“ sagte Klara heftig und schaute auf. „Also wenn es ihm wirklich besser geht und er außer Gefahr ist – aber auch nur dann – wollen wir gleich aufbrechen!“

„Hurra!“ rief Hilda und wollte die Malerin in ihrer überströmenden Freude umarmen. Aber zugleich fast hielt sie erschrocken inne. Sie hatte den traurigen Blick aufgefangen, mit dem der verschlagene Korpsstudent sie musterte.

„Nun müssen wir uns Adieu sagen, Herr Steffen!“ sprach sie und wandte, während sie ihm die Hand reichte, halb den Kopf zur Seite. „So geht’s auf der Welt. Kaum kennt man sich, so muß man auseinander.“

„Ich hoffe, wir sehen uns doch noch in nächster Zeit einmal!“ Der Handlungsreisende hatte seinen Zwicker abgenommen und polierte ihn umständlich mit seinem Taschentuch. „In Gibraltar.“

„Ach, kommen Sie hinüber?“

„Es wird dieser Tage hier ein Schiff erwartet, das hinüber fährt. Der ‚Piélago‘. Solch eine Gelegenheit muß man ausnutzen!“

„Natürlich!“ sagte Hilda eifrig. „Sie haben doch gewiß dringende Geschäfte drüben!“

„Und wie! … das Leder … und dann vor allem meine Blutegel … und überhaupt …“

„Und der Pesetakurs!“

„Richtig. An den Pesetakurs habe ich gar nicht gedacht. Also Sie sehen: es ist viel zu thun! Ich muß hin!“

Die Kleine nickte ernsthaft. „Das glaub’ ich! Uebrigens, damit Sie das in Ihren Geschäften nicht vergessen: wir wohnen im ‚Hotel Bristol‘.“

„Das trifft sich gut. Ich steige nicht weit davon im ‚Grand-Hotel‘ ab.“

„Und da werden Sie uns besuchen?“

„Ich hoffe bestimmt, daß meine Zeit es mir ermöglicht,“ sprach der abenteuernde Kaufmann und drückte zum Abschied ihre Hand.

*  *  *

Vor der Fonda d’España stand, als sich die Damen näherten, der Afrikaner, von Cigarettendunst umweht und auf einen Stock gestützt. Bei seinem Anblick hellten sich Marthas und Hildas Mienen auf. Gottlob – der Fremde hatte sich wirklich erhoben und brauchte keine Hilfe mehr! Der Weg nach Tanger war frei.

Auch auf dem hübschen Gesicht der Malerin erschien ein Lächeln, das freilich einen beinahe schmerzlichen Zug hatte. „Sehen Sie wohl!“ rief sie mit ihrer hellen Stimme, „es kommt, wie ich Ihnen gestern gesagt hab’! Ein bißchen angegriffen schauen Sie ja noch aus …“

„Es ist mir auch noch recht flau zu Mute!“ sagte der Forschungsreisende. „Aber die Nerven sind wenigstens wieder da. Nach dem kalten Sturzbad Ihrer Gardinenpredigt gestern. Die hat gewirkt!“

„Das wußt’ ich ja!“ Klara hob sich an der Hand des Hotelkuriers aus dem Sattel. „Sonst hätte ich es mir wahrhaftig nicht herausgenommen.“

„Zeit und Umstände waren aber auch wirklich günstig!“ sagte er, wie um sich zu verteidigen. „Sie können eigentlich stolz sein. Es ist lange her, daß irgend ein Mensch auf mich Einfluß gehabt hat! Da draußen in der Wildnis verlernt man’s, nach fremdem Rat zu fragen. Da ist das Ich das Einzige, was man hat!“

Er sah nachdenklich in die Weite. In herben, kühnen Linien zeichnete sich sein herrisches Profil in der durchsonnten Luft ab.

Von einem plötzlichen Gedanken ergriffen, nestelte sie an ihrem Malgerät. „Bleiben Sie nur kurze Zeit so stehen!“ sprach sie rasch. „Bitte! Mir zuliebe!“

„Was soll es denn, mein Fräulein?“

Sie lachte etwas befangen und klappte ihr Skizzenbuch auf. „Mit meiner Malerei hier ist es nichts geworden! Nun müssen Sie mich entschädigen. Sie stehen gerade so charakteristisch da. Wie beim Photographen!“

„Soll ich auch ein freundliches Gesicht machen?“ frug er, ohne sich zu regen.

„Um Gottes willen … nein! Das würde alles verderben. Gerade so wie Sie sind. Und die Umgebung … die niedrige Mauer … die Palme darüber. Das stimmt alles. Im Augenblick bin ich fertig. – Wissen Sie, woran Ihr Kopf mich erinnert?“ fuhr sie fort, mit ihren prüfenden Blicken zwischen ihm und ihrer Skizze wechselnd. „An die Leute, die man bei Partenkirchen sieht. Um die Zugspitze herum und in der Gegend!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 716. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0716.jpg&oldid=- (Version vom 31.1.2023)