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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Völkern gewöhnt war, versucht, den Kerlen in fließendem Sächsisch eine Strafpredigt zu halten. Da dies aber den Uebermut der beiden grauhaarigen Burschen nur vermehrte, verstummte sie und ritt finster, lang und schwarz wie eine Rachegöttin, der Karawane voraus, hinter ihr Klara, die auch etwas blaß geworden war, und Hilda.

Die Kleine hatte Todesangst. Sie erwartete jeden Augenblick ermordet zu werden und schloß die Augen, um wenigstens den Greuel nicht sehen zu müssen. Das Maultier fand ja von selbst seinen Weg. Und wenn man sich so im Dunkel schwebend hingetragen fühlte, konnte man sich einbilden, man sei gar nicht in Afrika, sondern an einem Sonntagnachmittag in der Sächsischen Schweiz, auf der Bastei, oder sonst in einer gesitteten Gegend unter freundlichen Menschen und blauem Himmel ….

Das Maultier machte einen Seitensprung in eine Agavenhecke, daß sie das Gleichgewicht verlor und sich an der Mähne festklammerte, während ihr Fuß blindlings in der Luft nach dem frei schlotternden Bügel suchte.

„Bleiben Sie oben, Fräulein! Die Agaven sind stachlig!“ hörte sie hinter sich eine derbe Stimme auf deutsch und ein lautes Lachen.

Sie wandte sich, nachdem sie glücklich wieder Halt gewonnen, im Sattel um und sah sich einem großen Mann mit blondem Vollbart, goldnem Kneifer und zahlreichen Schmissen auf der linken Wange gegenüber. In einen verschossenen Sportanzug aus dickem blaßgrünen Plüsch gekleidet, einen mächtigen Schlapphut auf dem buschigen Kopf, zwei Revolver im Gürtel und nach maurischer Art in schuhähnlichen Bügeln auf einem scharlachroten Bocksattel thronend, paßte er, als sei er aus der Erde gewachsen, in die abenteuerliche Umgebung.

„So allein, meine Damen?“ sagte er verbindlich grüßend und trabte, seinen Zug, ein paar Berberknechte mit hochbepackten Saumtieren, hinter sich lassend, zu den drei Sächsinnen heran. „Keine Soldaten? Verzeihen Sie – aber das ist leichtsinnig!“

„Soldaten haben wir schon!“ Hilda wies melancholisch nach ein paar buntflatternden Punkten, die in der Ferne zwischen Zwergpalmengestrüpp dahinjagten, während ein Rauchwölkchen sich über ihnen kräuselte. „Dort drüben …. die schrecklichen Menschen, das sind sie!“

„Sie sind betrunken!“ ergänzte die Gouvernante in ihrem Männerbaß.

„So, so! Nette Brüder!“ lachte der Fremdling unbekümmert. „Na .., dann nehm’ ich Sie unter meinen Schutz. Ich bin hier wie zu Hause. Mir macht die braunhäutige Schwefelbande nichts vor!“

„Gott sei Dank!“ sprach die Kleine aus tiefstem Herzen. Auch die blonde Malerin lächelte, von ihrer verstohlenen Beklommenheit erlöst. „Sie gehen auch nach Tetuan?“

„Eigentlich komme ich von dort!“ Der Fremdling gab, sein langes Bein lüftend, dem nächsten Maultier einen wohlgezielten Fußtritt, daß es mit gespitzten Ohren weiterzutrotten anfing und sich alles wieder in Bewegung setzte. „Ich war die Nacht in der Fonda d’España, in einem Zimmer mit einem schnarchenden Spanier und einem erkrankten deutschen Herrn. Greulich! Na, nun ist der Spanier weg, ich hab’ mich umquartiert und bin jetzt meinen Leuten entgegengeritten.“

Hilda sah die schwerbepackten Tiere. „Sind Sie ein Forschungsreisender?“ frug sie und sah ihn staunend aus ihren braunen Augen an.

Der Fremde lachte herzlich. „Nee, mein Fräulein!“ sagte er. „Dumm sind wir! Aber so dumm nicht. Da steckt kein Geld drin!“

„Ja, was machen Sie denn hier?“

„Geschäfte. Mein Name ist Albrecht Steffen, in Firma Holthoff und Söhne in Hamburg.“

Ein Geschäftsreisender in Afrika! Hilda begriff das nicht recht. „Kann man hier denn Sachen kaufen?“ forschte sie. „Ich meine wirkliche Waren. Nicht bloß alte Waffen und derlei?“

„Haben Sie noch nie von Maroquinleder gehört?“ Der Reisende deutete auf die hinter ihm trappenden Saumtiere. „In den Körben da steckt’s. Das beste Leder der Welt. Maroquin kommt doch von Marokko. Außerdem exportiere ich auf eigene Faust Blutegel und spekuliere in dem spanischen Pesetakurs. Die Kabylen hier halten sich nämlich keinen Kurszettel. Wenn die Peseta niedrig steht, geben Sie mir ihre Waren zum selben Preis wie sonst!“

„Also hauen Sie die armen Leute übers Ohr!“

„Natürlich!“ erwiderte der bärtige Handlungsreisende unbefangen. „Dazu sind die Kerle doch da. Im übrigen kann ich beim besten Willen keine Existenzberechtigung an der ganzen Gesellschaft entdecken. Für mich giebt’s nur zwei Worte, die heißen cash und money! Ja – Geld und nochmals Geld! Zu seinem Privatvergnügen reitet doch weiß Gott hier außer ein paar Engländern niemand im Land herum!“

„O doch!“ sagte die Kleine erschöpft und melancholisch. „Sehen Sie nur mich an! Ich mache eine Vergnügungsreise, um mich vom Examen zu erholen!“

Ihr Begleiter lachte. „So sehen Sie auch gerade aus! Uebrigens, ich weiß schon, wer sie sind und woher Sie kommen. Gestern sind Sie von Tanger abgeritten, um in Tetuan ‚die maurischen Dinge abzuschreiben‘, wie sich Muley Hassan, mein arabischer Vertrauensmann, ausdrückt.“

„Also das haben Sie alles schon erfahren?“

„O, Sie glauben gar nicht, wie der Europäer hier im Lande beobachtet wird! Anscheinend laufen die Eingeborenen finster und ohne ihn anzuschauen, vorbei. Aber in Wirklichkeit entgeht ihnen keine Bewegung. Aha, da kommt ja diese Höllenbrüt zurück!“

Er schrie den herantrabenden Soldaten ein paar Worte in einer rauhen Sprache entgegen. Die beiden Alten antworteten nicht. Offenbar machte sich bei ihnen die Katerstimmung mehr und mehr geltend. Schweigend, den Turban nachdenklich auf die Brust gesenkt, nahmen sie ihren Platz an der Spitze des Zuges wieder ein.

Hilda sah ihren Beschützer dankbar an. „Ich bin so froh, daß Sie da sind! Ich habe Tag und Nacht Angst hier in Marokko. Aber so gräßlich wie vorhin noch nie. Ich glaubte bestimmt, wir würden ermordet werden!“

„Ach wo! das kommt selten vor. Einmal haben sie hier vor einiger Zeit einen deutschen Reisenden umgebracht und in Tanger einen deutschen Bankier. Damals wurden die Mörder unter großem Zulauf auf dem kleinen Socco in Tanger enthauptet und ein verwünschter spanischer Renegat in Cadix guillotiniert. Es lagen deutsche Kriegsschiffe im Hafen, es mußte viel Geld als Entschädigung gezahlt werden, kurz die marokkanische Regierung hatte mehr Aerger als ihr lieb war, und seitdem ist allgemeine Schonzeit für die Fremden proklamiert!“

„Ich würde mich doch fürchten, hier im Land herumzureiten. Und immer allein. Das muß doch traurig sein!“

„Business! Geschäfte! Ich hab’ eine alte Mutter zu Hause und zwei Schwestern! Da heißt’s Geld schaffen. Sonst geht die Karre nicht weiter!“

„Aber Sie waren doch ursprünglich nicht Kaufmann? … Ich meine … wegen der Schmisse ...“

„Allerdings! Sie sehen meinem zerfetzten Gesicht mit Recht an, daß ich studiert habe. Oder vielmehr nicht studiert, sondern getrunken, gepaukt und Schulden gemacht, wie das auf deutschen Hochschulen Brauch. Bis mein Vater eines Tages starb. Er war ein kleiner Beamter gewesen, und wie er tot war, war nichts mehr da als die winzige Witwenpension!“

„Ach, und da gaben Sie das Studium auf?“

„Na, ich mußte doch wohl und sagte mir: Aus einem deutschen Korpsstudenten kann bekanntlich alles werden. Also auf nach Amerika! Bei der Gelegenheit blieb ich auf der Strecke Genua-New York in Gibraltar hängen und fand, daß da Geld zu holen war, wie überall, wo Old-England sich häuslich eingerichtet hat, und daß der deutsche Handel in Marokko sich wie in der ganzen Welt mächtig zu heben anfängt. Seitdem bin ich hier, und es geht ja auch vorwärts, wenn auch langsam genug.“

„Ja,“ Hilda nickte teilnehmend, „Sie verdienen sich wirklich ihr Geld schwer genug … fern von aller Kultur … in solch einem wilden Land!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 710. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0710.jpg&oldid=- (Version vom 31.1.2023)