Seite:Die Gartenlaube (1898) 0708.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

aus dem gräflichen Park in die Besitzung des reichen Kaufherrn gestattet, dort haben sie sich getroffen heute, wie schon viele Male früher, in der Zeit, wo beide Elternpaare dem Herzensbund noch abgeneigt waren. Aristokratischer und patrizischer Stolz stemmten sich ihm entgegen, aber die Liebe triumphierte schließlich, die Hindernisse wurden besiegt, und heute sind die beiden jungen Menschenkinder im Maienglanze hier beisammen – er voll Seligkeit zu seinem blonden Liebchen aufblickend und sie mit lächelnder Anmut ihre Hand in die seine legend – während ringsum der herrliche Hintergrund von Wäldern, Parkanlagen und Villen sich ausdehnt! Da ist es wohl gestattet, in jedem Sinne von „guter Aussicht“ zu reden! Bn.     

Rückkehr von der Weinlese in Süditalien. (Zu dem Bilde S. 688 und 689.) Für den Besitzer der kleinen Weinberge im Süden Italiens ist die Weinlese ein Freudenfest. Die Mädchen aus der Nachbarschaft werden geladen, die schönsten und sangeslustigsten erhalten vom Sohne des Hauses eine besondere Einladung, und die Burschen sind rasch zur Stelle. Im Morgengrauen schon ist alles beisammen. In der Nähe der Kelter sitzen sie am Boden nieder, und bis die Sonne die taufeuchten Trauben trocknet, frühstücken sie, und das muntere Wort fliegt hin und wieder. Dann beginnt die Arbeit. Die Burschen auf der Leiter schneiden die „Zöpfe“, die Ranken, aus, die Mädchen lösen die Trauben und sammeln die abfallenden Beeren, andere tragen die Körbe zur Kelter. Lustig leuchtet das grelle Rot und Blau der Tücher und Röcke durch das Grün, Schüsse knallen, aber das Schönste sind die schallend gesungenen, lang aushallenden Canzoni. Der Jubel wächst. Von den Weinbergen da drüben antworten singend andere Scharen. – Mit dem Abend muß die Arbeit beendet sein. Jedes Mädchen bekommt ein kleines Silberstück und ein Körbchen voll Trauben, die in den Kammern für den Wintergebrauch aufgehängt werden. Fröhlich und festlich wie sie ausgezogen, noch immer singend und schwatzend, ziehen sie, im Geleite der Burschen, in die Dörfer zurück. Und manche trägt unter den bacchischen Früchten im Korbe Amors liebliche Rose mit heim. Woldem. Kaden.     

Deutschlands merkwürdige Bäume: die Wendelinuseiche bei Geisfeld. (Zu dem Bilde S. 692.) In der Nähe des gegen 2½ Stunden von Bamberg entfernten, am Fuße des Geisberges hübsch gelegenen Pfarrdorfes Geisfeld befindet sich, in dichtem Jungholz versteckt, die Wendelinuseiche, ein prächtiger, fast kerngesunder Baum, dessen Alter von Fachleuten auf 1000 bis 1300 Jahre geschätzt wird. In einer Höhe von 12 m geht vom Stamm der einzige riesige Hauptast aus, da der gegenüberliegende vor vielen Jahren durch einen Blitzstrahl abgetrennt wurde. Der Umfang des Stammes, am Fuße gemessen, beträgt 12,56 m. Die ganze Höhe des Stammes ist etwa 20 m, mit einem Kubikinhalt von etwa 48 m. Der Name Wendelinuseiche ist dem Volksmunde entnommen; es soll hier der Sage nach der heilige Wendelinus gepredigt haben. Da der betreffende Heilige jedoch nie nach Franken gekommen ist, so liegt die Vermutung nahe, daß man es mit einer Umbildung des Worts Wendeneiche zu thun hat und der Baum nach den vielfach in Oberfranken eingewanderten Wenden benannt ist. C. S.     

Datei:Die Gartenlaube (1898) b 0708.jpg

Blechmusik.
Nach dem Gemälde von J. F. Engel.

Eilpost in Kalifornien. (Zu dem Bilde S. 693.) Von Nord nach Süd durchzieht Kalifornien die Gebirgskette der Sierra Nevada, deren höchste Gipfel Mount Shasta und Mount Whitney gegen 4400 m über dem Meeresspiegel sich erheben. In den südlichen Teil dieses Gebirges, auf die Straße, die nach Monterey führt, versetzt uns das lebensvolle Bild auf S. 693. Eine sechsspännige Postkutsche rollt thalabwärts durch eine malerische einsame Landschaft. Früher vermittelten die Postkutschen in diesen Gegenden den gesamten Verkehr, und oft brachten sie Goldschätze aus den Minen. Da waren die Fahrten mit Gefahren verbunden; Straßenräuber lauerten der Post auf und oft hörte man von Ueberfällen. Heute ist das Dampfroß auch in die Sierra Nevada eingedrungen, aber noch immer vermittelt in abgelegeneren Gegenden die Eilpost allein den Verkehr. Die Wege sind meist gut gehalten und in gewissen Abständen finden sich Stationen, an denen die Pferde gewechselt werden. Trotz der Schnelligkeit, mit der die Postwagen an Abhängen entlang und auf abschüssigen Wegen dahin fahren, führen die Kutscher die Pferde mit großer Sicherheit, daß selten ein Unglück vorkommt. *      

Ein Opfer. (Zu dem Bilde S. 701.) Schwer, unsäglich schwer hat sich die bleiche verhärmte Frau den Entschluß abgerungen, den sie nun unter stummer Seelenqual zur Ausführung bringt. Von all dem Schmuck, den sie in besseren Tagen besaß, hat sie sich ruhigen Herzens trennen können, als die über ihre Witwentrauer hereinbrechende Not sie zum Verkaufe desselben zwang. Aber das mit Perlen umrahmte Miniaturbild ihres frühverstorbenen Gatten hat sie als kostbarstes Angedenken an das verlorne Glück bis heute wie ein Heiligtum verwahrt. Tapfer hat sie den Kampf mit den Sorgen aufgenommen, die sie seit dem jähen Tod des Unvergeßlichen bedrängen, und durch ihrer Hände Arbeit hat sie bisher ihre Kinder vor den Entbehrungen zu schützen gewußt, die sie selbst ohne Murren auf sich nahm. Seit jedoch ihre beiden Aeltesten an schwerer Krankheit daniederliegen und deren Pflege ihre ganze Kraft und Zeit in Anspruch nimmt, sah sie mit Grauen den Tag herankommen, der sie endlich doch nötigen werde, auch dieses Kleinod zum Pfandleiher zu tragen. Und nun ist er gekommen, der gefürchtete Tag. Das Kleinste nahm sie mit auf den schweren Weg, damit der Gang durch die frische Luft ihm gut thue; erschreckt von dem schweigsamen Ernst und dem bleichen Aussehen der Mutter, zupft der Liebling sie jetzt am Kleid und blickt zärtlich zu ihr empor, als wolle er sie in ihrer Traurigkeit trösten. Und wahrlich, nur dankbare Kindesliebe kann die Bedauernswerte entschädigen für das Opfer, das sie soeben heldenmütig der Liebe zu ihren Kindern bringt.

Abend auf dem Chiemsee. (Zu dem Bilde S. 705.) Der Abend sinkt herein über den Spiegel des Chiemsees, langsam gleitet das Schifflein durch die Fluten, während drüben die Bergkette beginnt, sich in blauen Duft zu hüllen und im Osten der Vollmond heraufsteigt. Seitwärts ruht die Fraueninsel mit ihren vielhundertjährigen Linden und dem uralten Kloster wie ein Eiland des Friedens über dem stillen Wasser; nur das Horaglöcklein tönt über den weiten Seespiegel hin; sonst kein Laut ringsum als das leise Geplätscher am Schiffsende, wo die alte Fischerin lässig das Ruder bewegt. Still bleiben auch alle Insassen des Kahnes, die Nonne, deren Blick sich von dem Andachtsbuch in ihrer Hand dem sacht aufglimmenden Sternlein am Himmel zuwendet, die junge Klosterschülerin, welche beflissen die altertümlichen Schnörkel und Bilder auf den vergilbten Blättern betrachtet, und endlich das kleine Enkeltöchterlein der Fischerin, das gar nichts denkt, sondern nur den linden Abend wohlig genießt. Sie alle stimmen ebensogut zu dem tiefen Frieden ringsum, als sie recht eigentlich zur Chiemseelandschaft gehören. Denn Fischer und Klosterleute fuhren hier vor tausend Jahren wie heute. Br.     


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner in Stuttgart.0Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig.
Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 708. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0708.jpg&oldid=- (Version vom 16.3.2023)