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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Perlen im Glase aufsteigen und sich um die kleinen roten Früchte ansammeln.

Schon während des Essens war Alix merkwürdig einsilbig gewesen; auch jetzt versinkt sie wieder in ihre Gedanken. Françoise telegraphiert über ihr erhobenes Weinglas mit den Augen sehr ausdrucksvoll zu der Majorin hinüber, diese erwidert das nicht, weil sie es unpassend findet und auch meint, Alix könnte es bemerken. Deswegen dürfte sie es ruhig thun – Alix hat für nichts Augen. Und Cecil Whitemore, der englische Vetter, was ist mit ihm? Sonst hat er sich allabendlich für verpflichtet gehalten, die Damen in seiner etwas schwerfälligen Weise zu unterhalten. Heute läßt er es ganz an dieser seiner Schuldigkeit fehlen. Er hat auch wenig und dies wenige mit einer abwesenden, zerstreuten Miene gegessen und es gar nicht gemerkt, daß die Majorin ein englisches Gericht, von dem er neulich beifällig gesprochen, ihm zu Ehren hat herrichten lassen. Da sitzt er steif aufgerichtet, starrt auf das Tischtuch, läßt den kleinen Teller mit den prachtvollen Erdbeeren unberührt vor sich stehen und füllt weder sein eigenes Glas, noch das der neben ihm sitzenden Frau von Sperber.

„Liebe Alix, Sie gestatten wohl, daß ich die Tafel aufhebe?“ klingt jetzt deren Stimme in das allgemeine Schweigen, und auf Alix’ hastiges: „Ich bitte!“ drückt sie den Gummiballon an der Hängelampe und winkt James, man könne abräumen.

Die vier Stühle werden gerückt, das übliche Händeschütteln wird getauscht; als Cecil die Rechte seiner Cousine faßt, sagt er: „Darf ich Sie auf eine Viertelstunde allein sprechen, Cousine?“

Alix blickt etwas erstaunt, sie nickt aber und deutet in den Park hinaus. „Wollen wir dorthin gehen?“ sagt sie, worauf er sich zustimmend verneigt.

Die beiden gehen miteinander die fünf flachen, breiten Stufen hinab, und hinter ihnen legt Françoise ihre Hand leicht auf den Arm der Majorin und flüstert: „Glauben Madame nicht, daß er jetzt um Mignonne werben wird?“ worauf diese sehr entschieden erwidert: „Nein, das glaube ich in keinem Fall!“

Cecil steuert auf die Gruppe von Bambusmöbeln unter der Platane zu, aber Alix sagt rasch: „Kommen Sie lieber hierher!“ Noch zwanzig, dreißig Schritte, und es steht eine Bank, aus ungeschälten Birkenstämmen zusammengefügt, am Wege; hier läßt Alix sich nieder und winkt dem englischen Vetter, an ihrer Seite Platz zu nehmen.

„Wenn Sie es gestatten, stehe ich lieber!“ sagt Cecil.

Beide schweigen eine ganze Weile. Alix wartet, daß er anfangen soll zu reden – wartet seelenruhig, ohne eine Spur von Erregung oder Neugier; ihr Herz thut nicht einen rascheren Schlag, wie sie so dasitzt, die Hände leicht übereinandergelegt, die Augen ruhig zu ihm emporgerichtet.

„Cousine,“ fängt Cecil endlich an, „ich habe Ihnen etwas mitzuteilen – etwas Wichtiges, was schon längst meine Pflicht gewesen wäre, Ihnen zu sagen, aber es war mir peinlich!“

„Und hat es jetzt aufgehört, Ihnen peinlich zu sein?“

„O nein, im Gegenteil! Aber einmal muß es sein, und ich habe heute die Bitte – nein, die Mahnung von London her erhalten, daß es endlich an der Zeit wäre, es zu thun!“

„Nun, so thun Sie es denn, Cecil!“

„Sie ahnen nicht, was es sein kann?“

„Vielleicht! Aber auf meine Ahnungen kommt es nicht weiter an. Sprechen Sie nur!“

„Ich habe Furcht, daß Sie böse werden könnten, daß Sie wünschen könnten, was ich nicht wünsche!“

„Sehr möglich, lieber Vetter, wir müssen es darauf ankommen lassen!“

Der Gentleman in Mr. Whitemore sträubte sich ganz entschieden dagegen, dies zu thun, aber es mußte ja wohl sein und mit raschem Entschluß stieß er endlich hervor: „Ihr Vater hat gewollt, wir sollten uns heiraten, Cousine!“

Da war es heraus, aber das war das schwerste noch nicht.

„Ich habe einen Brief von Onkel Hofmann vorgefunden, unter seinen Privatpapieren, einen an mich gerichteten Brief, der mir diesen Wunsch ausspricht.“ Cecil redete jetzt geläufig, die Kugel war im Rollen. „Diesem Brief ist die Bestimmung beigefügt, es solle mir, im Fall wir uns einigen könnten, eine Verbindung für das Leben zu schließen, die Führung und Leitung sämtlicher Werke von Josephsthal anheimfallen, und würde ich somit, da, wie Onkel Hofmann schreibt, ihm ein Sohn versagt geblieben ist, in die Rechte eines solchen eintreten. Weigern Sie sich, den Wunsch Ihres Vaters zu erfüllen, so fiele die Schneidemühle, meines Oheims Lieblingsschöpfung, laut Testament an mich; weigere ich mich, so bleibt Ihnen das Gesamteigentum Ihres Vaters ungeschmälert, nur darf ich demselben einen Verwalter nach eigener Wahl geben. Weigern wir uns beide, so bleibt es bei der letzten Bestimmung, doch muß meine Wahl von Ihnen bestätigt werden. Es steht zu vermuten, daß der an Sie gerichtete Brief, der sich gleichfalls im Privatnachlaß Ihres Vaters vorfand, Ihnen dieselben Wünsche ausgesprochen hat.“

„Dieselben Wünsche!“

„Und – Sie verzeihen, aber wir müssen es doch einmal durchsprechen! – wie denken Sie darüber?“

Alix wollte eine hochfahrende Antwort geben, aber als sie die Situation bedachte, kam ihr der Humor dieser ganzen Scene angesichts der unendlichen Verlegenheit des englischen Vetters zum Bewußtsein, und sie sagte, während es um ihre Lippen verräterisch bebte: „Sie scheinen ganz zu vergessen, Cecil, daß die erste Entscheidung bei Ihnen liegt.“

„Sie wünschen also, ich soll Ihnen, der Form wegen – einen Heiratsantrag machen?“

„,Der Form wegen‘ ist sehr hübsch und für mich sehr schmeichelhaft gesagt! Ich wünsche, daß Sie mir sagen, ob Sie mich heiraten wollen oder nicht.“

„Das soll ich durchaus mit Worten sagen?“

„Aber Vetter Cecil, verlangen Sie denn von mir, daß ich Ihnen einen Heiratsantrag machen soll?“

Der arme junge Mann war in großer Verlegenheit.

„Nein, das können Sie nicht!“ entgegnete er mit schwacher Stimme. „Aber – aber – – verzeihen Sie mir tausendmal! – ich kann es auch nicht!“

„Sie können es auch nicht?“

„Nein!“

„Das ist mir außerordentlich lieb; darf ich fragen: weshalb nicht?“

„Weil ich verlobt bin – seit beinahe einem halben Jahr – wenn auch noch nicht öffentlich.“ Cecil zog sein Taschentuch hervor und fuhr sich damit über die feuchte Stirn.

„Lassen Sie sich Glück wünschen, Vetter!“ sagte Alix herzlich und streckte ihm die Hand hin, die er nur zaghaft zu berühren wagte.

„Sie sind mir nicht böse, Cousine? Wirklich nicht?“

„Ich? Nicht im allergeringsten! Wie sollte ich auch?“

„Well – ich dachte, Sie könnten vielleicht anderer Meinung sein als ich!“

„Sie dürfen sich beruhigen,“ sagte sie mit feinem Lächeln. „Dachten Sie das im Ernst?“

„Ich weiß kaum mehr, was ich gedacht und gesagt habe, Cousine, ich bin zu sehr in Verwirrung! Ich fürchtete zuweilen, Sie könnten aus – aus kindlichem Gehorsam für den Wunsch Ihres Vaters –“

Alix schüttelte den Kopf.

„Bei aller Pietät für die Bestimmungen meines verstorbenen Vaters – diese Bestimmung hätte ich nur dann respektieren können, wenn mein Herz Ja und Amen dazu sagte, und das that es denn doch nicht. Ich sage nicht: verzeihen Sie meine Offenheit! Sie sind ja auch offen gegen mich gewesen, und ich finde, es ist in unserm Verhältnis geradezu eine Hauptbedingung, daß wir aufrichtig zu einander sprechen!“

„Ganz gewiß, Cousine! Ich – ich danke Ihnen! Ach, es ist mir eine solche Last von der Seele, seitdem ich weiß, daß auch Sie mich nicht wollen …. das heißt, ich schätze Sie sehr hoch, finde Sie sehr schön und begehrenswert, höchst geeignet, einen Mann, der Sie liebt und den Sie wieder lieben, glücklich zu machen –“

„Genug, genug!“ unterbrach Alix diese gewissenhafte Herzählung ihrer Vorzüge. „Ich erlasse Ihnen alles weitere! Uebrigens kann ich Ihnen die Versicherung geben, Cecil, daß ich keinen Augenblick um Ihretwillen in Sorge gewesen bin. Sie haben sich nie so benommen, daß ich denken konnte, Sie trügen

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