Seite:Die Gartenlaube (1898) 0690.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

gelassen. Die Sorge erwies sich als gerechtfertigt: er hatte in den ersten Wochen äußerst spärliche Nachrichten gegeben, dann blieben auch diese aus, angestellte Nachforschungen hatten keinen Erfolg, bis es mit einem Male hieß, er sei in Rostock gesehen worden, und zwar unter Verhältnissen, die mit Sicherheit darauf schließen ließen, er sei in sehr schlechte Gesellschaft geraten. Wollheims Schwester und deren Gatte beschworen nun meinen Freund, sein Möglichstes zu thun, den jungen Menschen zunächst aufzufinden, sodann ihn von den Schlingen, in die er geraten war, zu befreien, sei es auch mit Geldopfern, und womöglich den Seinigen wieder zuzuführen.

So kam es, daß Wollheim, einer der solidesten, nüchternsten Leute, die ich kenne, überdies ein schon älterer Mensch, für den gewisse Versuchungen gar nicht existieren, sich in Lokale begeben, unter Individuen mischen mußte, die er sehr viel lieber hätte meiden mögen. Nähere Schilderungen hätten weiter keinen Zweck – die Hauptsache für uns ist die, daß er den Gesuchten als treuen Kumpan, als Dritten im Bunde mit eben jenen beiden Freunden fand, von denen ich Ihnen schon sprach – Kraßna und Harnack junior.“

„Lebt der letztere jetzt in Rostock?“ fragte lebhaft Ueberweg und hielt seinen Schritt an – die Walzmühle lag in geringer Entfernung vor ihnen.

„Es scheint, daß er dort nur zeitweise ist. Er muß ein sehr unstetes Leben führen, bald hier, bald dort auftauchen, zuweilen auch unter fremdem Namen. In hiesiger Gegend wird er offenbar durch ein Liebesverhältnis mit einem Mädchen festgehalten, das mehrfach in seiner Gesellschaft gesehen worden ist. Meinem Bekannten ist sein Benehmen, namentlich auch sein großer Geldbesitz, verdächtig vorgekommen; er hat zwar keinen festen Anhalt gefunden, die Polizei in Anspruch zu nehmen, indessen –“

„Indessen,“ fiel der Rechtsanwalt ein, „verdient er sich schon dadurch unsern Dank, daß er uns nachweist, wo der Mann überhaupt zur Zeit ist. Denn wir haben ihn gesucht und suchen ihn noch in allen umliegenden Städten – in Stralsund, in Anclam, in Stargard, in Wismar, wo er überall gesehen worden ist, um in beinahe unbegreiflicher Weise alsbald wieder zu verschwinden. Selbst hier in der Kolonie Josephsthal ist er unlängst gewesen –“

„Unglaublich! Unmöglich!“

„Weder das eine, noch das andere! Sein Erscheinen hier wäre nur der beredteste Beweis dafür, wie sicher er sich fühlt, wie von jedem Verdacht ausgeschlossen. Und mehr als ein Verdacht kann auch vorläufig nicht gegen ihn geltend gemacht werden. Vor allen Dingen, wenn man einen Menschen verhören und überführen will, muß man ihn haben, und das gerade war es, woran bisher unsere Kunst scheiterte. Gestatten Sie mir jetzt noch ein paar Fragen, Herr Hagedorn: wann hat Ihr Freund Wollheim den jüngeren Harnack zum letztenmal gesehen?“

„Wir sind gestern und vorgestern des Abends zusammengewesen, Wollheim und ich, und er sagte, wenn ich mich recht entsinne, daß er noch ein paar Tage zuvor Harnack junior gesehen habe.“

„Ist ihm seine Wohnung in Rostock bekannt?“

„Nein, obgleich Wollheim mehrmals versucht hat, dies gesprächsweise zu erfahren. Er hat aber gehört, daß seine Kumpane ihn mit dem Namen Starke anredeten, während Kraßna ihn mit seinem Vornamen Reinhold oder Holdchen genannt hat.“

„Hat Ihr Freund kein weiteres Verdachtsmoment genannt als nur das eine, daß Harnack ihm auffallend viel Geld zu besitzen scheine?“

„Doch! Er werde unruhig, sobald das Gespräch auf Baron Hofmann und die Mordaffaire komme, oder sobald auch nur der Name des Barons in Verbindung mit dem seines Bruders genannt werde. Als Wollheim ihn fragte, warum er seinen Namen geändert habe, habe er erwidert, das thue er seines Bruders wegen, welcher jede seiner Handlungen überwachen wolle. So etwas werde lästig; außerdem sei der Herr Oberingenieur ein fürchterlich strebsamer und fleißiger Tugendbold, der ihm ewig dasselbe Lied vom Segen der Arbeit vorsinge – und da habe er keine Lust, einzustimmen, er brauche das nicht, seit er in Amerika so reich geworden. Auf meines Freundes Frage, wie lange oder vielmehr, wie kurze Zeit er denn drüben gewesen wäre und wie er es angefangen habe, in der kleinen Frist so viel Geld zu erobern, habe er lachend erwidert, das Rezept dazu könne er nicht jedem Beliebigen geben, der ihn danach frage. Dies alles, was ich Ihnen jetzt erzählte, hat sich im Verlauf von einigen Wochen abgespielt, während welcher Zeit der junge Harnack auch einmal acht Tage hindurch gar nicht in Rostock gewesen ist, wie er gesprächsweise geäußert hat. Wollheim wird ihn im ganzen vier- bis fünfmal gesehen haben. Ich habe Ihnen, Herr Justizrat, wort- und wahrheitsgetreu alles berichtet, was mein Wiener Bekannter mir gesagt hat. Er hat gezögert, der Rostocker Polizei irgend welche Anzeige zu machen, da er nur einen, ich möchte sagen, rein persönlichen, aus ihm selbst hervorgegangenen Verdacht hegt, den er mit Beweisen nicht belegen kann. Er vermag selbstverständlich auch in keiner Weise dafür einzustehen, daß man heute noch Reinhold Harnack, alias Starke, in Rostock findet; der Vogel kann längst wieder ausgeflogen sein. Nur als Wollheim hörte, ich lebte in Josephsthal und die Justiz suche heute noch ebenso eifrig und ebenso resultatlos nach dem Mörder des Baron Hofmann, wie sie vor fast vier Monaten gesucht habe – da hielt er es für seine Pflicht, mir die Idee, die er sich gebildet, mitzuteilen und mich zu beauftragen, falls ich sie für wichtig genug dafür hielte, sie dem Untersuchungsrichter oder dem Staatsanwalt, kurz, der ersten maßgebenden juristischen Persönlichkeit, die ich aufzufinden vermöchte, zu unterbreiten. Ich weiß nicht, ob Ihnen die gegebenen Winke nützen können, ob dieselben ein Resultat ergeben werden …. ich weiß nicht einmal, ob ich dies wünschen soll. Ich bin mit mir zu Rate gegangen seit gestern nacht – – ich habe nicht schlafen können, habe hin und her gedacht …. es ließ mir aber keine Ruhe! Darum habe ich mich überwunden und habe gesprochen!“

„Sie thaten recht daran!“ sagte der Rechtsanwalt fest und schüttelte dem jungen Mann kräftig die Hand. „Ich glaub’ es Ihnen gern, daß es Ihnen schwer fiel – Sie sehen wirklich ganz blaß aus. Und wenn Sie in diese Geschichte hineinverflochten werden –“

„Ist das unvermeidlich?“

„Doch wohl – schon wenn es sich darum handelt, festzustellen, wie wir zu Ihrem Freunde Wollheim gekommen sind, dessen wir entschieden als Zeugen bedürfen werden …. Wenn Sie also, wiederhole ich, in diese Sache verwickelt werden, so sagen Sie sich zu Ihrem Trost, daß die Vorsehung Sie zu ihrem Werkzeug ausersehen hat, den Schuldigen zu fassen.“

„Ein sehr schwacher Trost!“ sagte Raimund mit einem mühsamen Lächeln.

„Der einzige, den ich Ihnen geben kann.“ Der Justizrat sprach eilig, er war offenbar mit seinen Gedanken schon weit fort. „Haben Sie einstweilen Dank, Herr Hagedorn – Sie kehren wohl jetzt um?“

„Gewiß …. aber Sie? Sie wollten ja doch in die Walzmühle –“

„Kann ich fürs erste noch nicht! Habe noch etwas zu erledigen bei – bei – einem Arbeiter –“

„Arbeiter? Hat man auf einen von ihnen hier Verdacht?“

„Nein,“ entgegnete Ueberweg und lächelte ganz eigentümlich dazu, „auf diesen, den ich meine, hat man entschieden keinen Verdacht. Das wäre auch mehr wie kurios! Also adieu, und auf Wiedersehen!“

Raimund lüftete stumm den Hut und ging denselben Weg zurück, den er gekommen war.


17.

Sie hatten im Gartensaal, dessen Thüren und Fenster geöffnet waren, ihr Abendesien eingenommen. Vier Personen, wie immer: Alix, die Majorin von Sperber, Françoise und Cecil Whitemore. Es war noch hell im Gartensaal, ein halbes Dämmern, das jeden Gegenstand deutlich genug erkennen ließ, allem aber eine weiche Kontur gab.

„Nein, lassen Sie das Anzünden!“ sagt Alix über die Schulter zu James, der die Glasschale mit duftenden Erdbeeren als Nachtisch aufsetzt und seine junge Herrin in diskretem Ton fragt, ob sie Beleuchtung wünsche. Dann thut sie mit dem silbernen Löffel einige Erdbeeren in ihr halbvolles Glas Rheinwein und sieht träumerisch zu, wie die winzigen

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 690. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0690.jpg&oldid=- (Version vom 18.2.2023)