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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

und darauf niederblickte, verriet offenbare Ungeduld und Hast. Es sah sie niemand, wie sie, in ihrem weißen, gestickten Kleide, unbedeckten Hauptes, nur einen großen weißseidenen Sonnenschirm über sich haltend, ohne Handschuhe, leichten Fußes daherkam, und nur die Streiflichter, welche die Sonne durch das dichte Blätterdach der stolzen Lindenwipfel sandte, huschten und tanzten um sie her. Schwache Klänge zitterten durch die warme, stille Luft herüber – es schlug sieben Uhr, und gleich darauf setzte, bald aus der Ferne, bald in der Nähe, helleres oder tieferes, hastigeres oder langsameres Glockenläuten ein – die Josephsthaler Werke machten Feierabend. Tiefatmend stand Alix still. Kam nicht dort, am Ende der Allee, ein kleiner dunkler Punkt auf sie zu? Sie erkannte den Briefboten, nickte vor sich hin und begann nun, langsam, wie ziellos und zufällig, weiterzuschlendern – man sollte ihr die Hast und Ungeduld nicht anmerken!

Der Briefbote war inzwischen nahe herangekommen, hatte die weißgekleidete Dame bemerkt und ehrerbietig zwei Finger an den Rand seiner Mütze gelegt. Alix nickte leichthin.

„Etwas für mich da, Weßler?“

„Ich glaube ja, gnädigste Baroneß! Wollen gleich mal nachsehen!“ Er schob die Klappe von seiner Ledertasche zurück und ließ die Briefe durch seine Finger laufen.

„Frau Major von Sperber – noch einmal – Mister Cecil Whitemore – Fräulein Klaas, Hausmeisterin auf Schloß Josephsthal – Baroneß Hofmann ,eigenhändig‘ aus Wien!“

„Schön, Weßler! Sie können mir den gleich hergeben. Die übrigen tragen Sie nur nach dem Schloß. Und hier, Weßler, bitte!“

„O, aber – gnädigste Baroneß! Vielen Dank!“

Alix setzte gemessenen Schrittes ihren Weg fort. Als sie ein Stück gegangen war, sah sie nach dem Boten zurück. Er war fort; die Allee machte dort eine leichte Wendung, und der Mann war ihren Blicken entzogen. Mit bebenden Fingern riß das junge Mädchen den Briefumschlag herunter – ihre Augen überflogen die Zeilen – ein sonniges Lächeln verklärte ihre Züge – gottlob, es ging nach Wunsch. – –

Eine halbe Stunde später gesellte sich Alix zu Frau v. Sperber im Garten. Sie war gesprächig und liebenswürdig.

Und noch strahlender wurde ihr Gesicht, als James, der Diener, an seine junge Herrin mit der Meldung herantrat, Herr Hagedorn sei von seiner Urlaubsreise zurückgekehrt und bitte um die Gunst, von Baroneß empfangen zu werden.

„Ich ließe bitten, James – ich ließe hierher bitten. Der Abend ist so wundervoll“ – damit wandte Alix sich an die Majorin – „es käme mir förmlich wie Sünde vor, jetzt im Zimmer zu sitzen. James, besorgen Sie eine Flasche Rüdesheimer!“

Die junge Herrin wies auf eine kleine Gruppe zierlicher Bambusmöbel, die unter einer gewaltigen Platane stand.

Ein wundervoller Abend in der That! Die Sonne schickte sich an, hinabzusinken. In strahlender Glorie von Gold und Purpur brannte der westliche Himmel. In Feuerfluten gebadet standen die Baumwipfel. Dort, wo die Bäume ein wenig auseinander traten, loderte es wie helle Feuersbrunst, der Kiesweg begann zu glitzern wie von tausend funkelnden Brillanten bestreut, ein großer blühender Magnolienstrauch, der neben der Platane stand, glühte auf wie in Rubinlicht gebadet. Jetzt traf eine der roten Flammen das weiße Kleid des jungen Mädchens, das bei dem Strauch stehengeblieben war, traf das rotbraune Tizianhaar und setzte so wunderbar getönte Lichter darauf, daß dieser Anblick eines Porträtmalers Entzücken und Verzweiflung gebildet hätte – denn wie sollte er wohl dies seltene Schauspiel wiedergeben?

Nun, Raimund Hagedorn war kein Maler, aber er war künstlerisch veranlagt, er hatte schönheitsdurstige Augen, eine empfängliche Seele, und was bei dem Bilde, das er hier vor sich sah, durch diese Seele ging, das war so heiß, so übermächtig, daß er die Augen niederschlug, als blende ihn so viel Strahlenpracht, und daß er die Hand, die sich ihm entgegenstreckte, wortlos an die Lippen zog.

Sie ist wirklich außerordentlich freundlich gegen ihn, sagte sich die erfahrene Majorin Sperber, schon allein dies Lächeln, mit dem sie ihn ansieht! Ich habe, solange ich Alix nun kenne, immer gedacht, sie sei zu stolz, um zu kokettieren, heute möchte ich fast in Versuchung kommen, mein Wort zurückzunehmen.

„Willkommen in Josephsthal!“ sagte Alix derweilen, und eine leise Befangenheit ließ ihre Stimme ein wenig unsicher klingen. „Hat Ihnen die Stettiner Reise wohlgethan?“

„Nein!“ sagte Raimund beinahe schroff, und seine Augen irrten wie hilflos seitwärts ab, als wollten sie das berückende Bild lieber gar nicht mehr sehen. „Es thut mir leid, das sagen zu müssen, es sieht auch undankbar aus, da Baroneß mir diesen Urlaub selbst so bereitwillig gestattet haben – aber Sie wollten doch wohl die Wahrheit hören?“

„Ganz sicher!“ entgegnete Alix befangen – sein Ton und sein Gesichtsausdruck hatten beide etwas so Gequältes, daß es sie ängstigte. „Ich bedaure nur, daß Sie Ihren Zweck nicht erreichten. Wollen Sie sich nicht setzen? Hier, neben Frau von Sperber – ich glaube, Sie haben dieselbe noch gar nicht bemerkt?“

„Verzeihung, meine gnädigste Frau!“ Hagedorn verneigte sich tief. „Ich konnte Sie in der That nicht gewahr werden, ich Wurde zu sehr geblendet!“

„Das wurdest du, armer Gesell, in des Worts verwegenster Bedeutung!“ dachte die Majorin mitfühlend, während sie ein paar freundliche Worte sagte. Sie ließ sich in den zunächststehenden Bambusstnhl nieder und deutete für Hagedorn auf einen andern neben Alix. Er zögerte sichtlich.

„Meine Zeit ist mir sehr knapp zugemessen, Baroneß; ich bin hauptsächlich im Auftrag meines Vaters hier, der mich auf der Station erwartete, um mir eine Mitteilung von Wichtigkeit zu machen, und der mich bat, Ihnen nochmals seinen wärmsten Dank für Ihren liebenswürdigen Besuch auszusprechen, den er sich in nicht zu ferner Zeit erlauben werde, zu erwidern.“

Das kam alles sehr formell heraus, ebenso wie auch die Anrede „Alexandra“ wieder dem feierlichen „Baroneß“ gewichen war. Es bedurfte einer neuen einladenden Bewegung des jungen Mädchens, ehe Raimund sich überhaupt setzte. Er sah unruhig und verstimmt aus, und über seinem ganzen Wesen lag etwas wie mühsam unterdrückte Opposition, die am liebsten laut Hinausrufen mochte: Mutet mir nicht länger dieses Komödienspiel zu! Ich will nicht mehr, und ich kann auch nicht mehr!

Nahe genug daran war er, dies wirklich zu sagen. Zwang war seiner Natur aufs tiefste verhaßt, und wie hatte er sich jahrelang zwingen müssen, seinen Neigungen zu entsagen, einen ihm unsympathischen Beruf auszuüben! Jetzt noch die Erfahrungen der letzten Tage und dies Gefühl für Alix, das ihn wie auf die Folterbank spannte, ihm wie zum Hohn das Schönste und Verlockendste dicht, dicht vor die Augen hielt, um ihm die völlige Aussichtslosigkeit seiner ganzen Lebenslage nur noch einschneidender zum Bewußtsein zu bringen!

Ahnte – wußte Alix dies? Sagte sie sich, daß die ganze Stettiner Reise nichts als ein Vorwand gewesen war, eine Art Flucht vor ihr, vor sich selbst, vor seiner eigenen übermächtigen und hoffnungslosen Leidenschaft? Daß er gewähnt hatte, dasjenige, was bisher am stärksten in seinem Leben gewesen war, die Musik, würde ihm vielleicht helfen, für ein paar Tage wenigstens die Leidenschaft zurückzudämmen, die so ganz von ihm Besitz ergriffen hatte?

Es war dem jungen Mädchen beklommen zu Sinn, trotz des Frohgefühls, das sie vor kaum einer halben Stunde noch erfüllt hatte, trotz des Briefes, der in ihrer Tasche knitterte. Sie war so glücklich gewesen über ihren Plan; im Hochgefühl des reichen, des verwöhnten Mädchens hatte sie „Schicksal spielen“, eines Menschen Lebensschiff mutig und geschickt über die Klippen hinwegleiten wollen …. jetzt kamen ihr Zweifel. War es auch recht gewesen? Würde auch alles glücken, und, wenn es glückte, würde Raimund auch nie den Zusammenhang erfahren? Und wenn er ihn dennoch erfuhr … konnte er sie nicht mißverstehen, konnte er ihre gute Absicht nicht verkennen, bei seinem empfindlichen Ehrgefühl sich gekränkt fühlen? Raimund Hagedorn war offenbar nicht der Mann, sich emporheben zu lassen: er wollte selbst etwas einzusetzen und zu bieten haben. Wie unbedeutend aber erschien ihm die Stellung, die er zur Not ausfüllte, die ihm und seinem Vater den Lebensunterhalt, dessen sie bedurften, gewährte, und die ihm von ihr besoldet wurde! Stachel genug für einen Mann, der trotz seines sorglosen Auftretens doch so viel Selbstachtung und Stolz besaß, um dies Dasein als eine Demütigung zu empfinden. Daß er es aber so empfand,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 672. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0672.jpg&oldid=- (Version vom 17.2.2023)