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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)


er aus diesem meinem Verhalten auch nur die leiseste Hoffnung schöpfen wollte.

,Aber,‘ höre ich Dich fragen, ,Kind, wo bleiben denn über all diesem Deine Reformpläne, Deine Ideen, Dich allmählich, nicht nur in die Maschinen-, nein, auch in die Menschenwelt, die Dich umgiebt, hineinzuleben, den Leuten, die Dir Deinen Reichtum schaffen helfen, näherzutreten?‘ – Geduld, verehrte Pflegemutter, Schwester, Freundin, Ratgeberin und Moralistin, es kommt alles! Und wenn dieser Brief ein wahres Aktenstück wird – ich schreibe schon den dritten Tag daran! – so ist niemand anderes schuld als Du mit Deinen vielen Fragen!

Also, ich hatte mir’s ausgedacht, ich wollte den Kindern der Fabrikleute, Maschinisten, Heizer, Monteure und so weiter, zu Pfingsten ein Fest im Freien geben. Bei meinen Herren Beamten war dieser Plan auf vielen Widerspruch gestoßen. Mir that es sehr leid, ich hatte die Idee so hübsch gefunden, war auch noch gar nicht willens, sie gleich aufzugeben. So habe ich mit Raimund Hagedorn darüber gesprochen, und der, wie das so seine Art ist, war ganz Enthusiasmus dafür, was mir natürlich wohlthat. Er sagte mir seine Hilfe zu, die Majorin gewannen wir auch noch, und nun setzten wir mit allem Eifer die Sache ins Werk. Ach, es that mir so wohl, einmal nichts von ‚Vernunft‘ und ‚Prinzip‘, von ‚Konsequenzen‘ und Bedenklichkeiten zu hören und einmal mit meinem Gelde schalten und walten zu können, ohne daß mir mißbilligende Moralisten auf die Finger sahen und mir die Hände festhielten!

Im Gartensaal, dessen Flügelthüren sämtlich zurückgeschlagen waren, wurden die langen, weißgedeckten Tafeln aufgestellt – nein, Maria, ich habe solche Gebirge von Pfannkuchen, Schüsseln und Schüsseln voll, solche gewaltige Massen von Kuchenschnitten und Zuckerbrezeln noch in meinem Leben nicht bei einander gesehen – und die Kaffeekessel, die hereingebracht wurden! Punkt drei Uhr traten meine Gäste an – vom halbwüchsigen Jungen, der schon einen ,Diener‘ riskierte, bis zum unsicher wackelnden Flachskopf, den der ,große‘ Bruder oder die ,große‘ Schwester an der Hand führte. Unsere Hausmädchen halfen, die Diener, Françoise, die erwachsenen Direktorstöchter, Vetter Hagedorn, die Majorin, ich – alle aber, daß ich die Wahrheit sage, mit freundlichen, lachenden Gesichtern, alle bemüht, es den kleinen Gästen heimisch zu machen, sie zum Zulangen zu ermuntern. Für die Kleinsten wurden gewaltige Töpfe voll frischer, süßer Milch herbeigeschleppt, und nun ging auf dem großen, freien Platz, der dicht beim Gartensaal liegt, die Bewirtung los. Sehr manierlich griffen die größeren Kinder zu, gar nicht gierig, sie sorgten sogar ganz verständig für ihre kleinen Geschwister. Sauber gekleidet und gekämmt waren sie alle, manche sogar zierlich und nett.

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Ein frecher Spatz.
Nach dem Gemälde von J. Schmitzberger.

Ich bin, nachdem meine Kuchenberge verschwunden und die Kaffeekessel geleert waren, zwischen den Kindern umhergegangen und habe versucht, Bekanntschaft zu machen. Das war nicht leicht, und ich wüßte nicht, was ich ohne Raimund hätte anfangen sollen. Er hat eine Art, mit diesen Kindern umzugehen, eine Geschicklichkeit, ihren Ton zu treffen, eine Frische und Heiterkeit im Verkehr mit der kleinen Gesellschaft, daß es zum Staunen ist. Zu ihm haben sie alle Vertrauen, auch die schüchternen und wortkargen! Wir zogen nun zum Spielen auf die große Waldwiese, die unmittelbar an den Park stößt, hinaus und veranstalteten hier allerlei Belustigungen: Wettrennen, Sacklaufen, Topfschlagen, da mußte er überall helfen. Einige von den Müttern hatten sich eingefunden und sahen aus einer kleinen Entfernung zu, indem sie sich gegenseitig auf ihre Sprößlinge aufmerksam machten. Ich ging zu ihnen heran und bat sie freundlich, näher zu kommen; sie weigerten sich anfangs bescheiden, als ich aber betonte, sie könnten mir wirklich helfen, mischten sie sich unter die Kinder.

Später erschienen ein paar Musikanten, es wurde auf der Waldwiese getanzt, wobei mehr der gute Wille als die Geschicklichkeit zu bewundern war – dann neue Kuchengebirge, Butterbröte, Milch, Limonade, Honigkuchen zum Mitnehmen, und schließlich paarweises Abmarschieren der Gesellschaft unter Vorantritt der Musikanten. Ich versichere Dich, wir waren alle schachmatt, als das kleine Volk verschwunden war, aber die Genugthuung hatte ich wenigstens: gelungen war alles, und die Kinder sind froh und befriedigt mit ihren Schätzen heimgegangen.

Sieh. das war mein Anfang, mein erster Versuch, für die neue Welt, in die ich eingezogen bin, zu wirken, und ich denke immer, es ist kein schlechter Einfall von mir gewesen, daß ich just mit den Kindern begann. Dadurch habe ich mir viele Mütter gewonnen, und das ist für mich von großem Wert. – – –

Zwei Tage später. Ich habe den Brief liegen lassen müssen, weil ich inzwischen den ersten Schritt zur Ausführung des Planes, von dem ich Dir schrieb, gethan habe.

Vetter Hagedorn hatte sich von seinem Chef – das bin also ich! – einen dreitägigen Urlaub erbeten, um zum Musikfeste nach Stettin zu fahren, und ich hatte ihm denselben huldvollst bewilligt. Mit seinem ,direkten Chef‘, dem Direktor von der Oelmühle, hatte ich zuvor gesprochen, und dieser joviale ältere Herr legte dem Vorhaben seines neuen Buchhalters keine Schwierigkeiten in den Weg.

Mir war Raimunds Abwesenheit sehr willkommen. Ich wollte sie benutzen, seinen Vater kennenzulernen. Ich hatte mir das lange schon gewünscht und auch mit ihm darüber gesprochen. Aber er wollte es offenbar nicht haben. Nun, ich hatte mir die Idee in den Kopf gesetzt, es sollte dazu kommen, und kaum war vorgestern der Zug, der den Vetter nach Stettin bringen sollte, abgedampft, als ich nach Greifswald fuhr.

Einen ganz festen Plan hatte ich dabei noch gar nicht. Jedenfalls aber hoffte ich, auf diesem Wege meinem Ziel näher zu kommen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 669. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0669.jpg&oldid=- (Version vom 17.2.2023)