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Ansicht von Genf mit dem Braunschweig-Denkmal





Septembersonne ihr goldenes Licht. – Diesmal folgten die Leidtragenden nicht dem Sarge, sondern erwarteten ihn in der Kapuzinerkirche, in der sich die Gruft der Habsburger befindet. Gegen 3/4 4 Uhr verließen die ersten Wagen mit den fürstlichen Leidtragenden die Hofburg; in einem der letzten saß Kaiser Franz Joseph zur Linken des Deutschen Kaisers. Still grüßte sie die Volksmenge. – Um 4 Uhr erklangen die Glocken von St. Michael. Sie gaben dem Volke kund, daß in der Hofburgpfarrkirche die Leiche der Kaiserin eingesegnet würde. Kammerdiener und Leiblakaien hoben hierauf den Sarg und trugen ihn zu dem im Schweizerhofe harrenden Leichenwagen. Nun setzte sich unter dem Geläute aller Kirchenglocken Wiens der Trauerkondukt in Bewegung. – Ein Zug Husaren zu vier Mann eröffnete ihn. Ihnen folgten die Wagen der Kämmerer, der Hofbeamten und der Palastdamen der Kaiserin, dann Abteilungen der Leibgardeinfanterie und der Leibgardereiter. Darauf erschien der Leichenwagen. Acht Rappen zogen ihn. Er war vollkommen schwarz und trug die Kaiserkrone auf seiner Kuppel, während an der Bedachung ringsum Reichsadler schwarze Schnüre im Schnabel hielten. Der Sarg ruhte darunter frei, nach allen Seiten sichtbar, ohne jeden Blumenschmuck, nur mit einem Kreuze versehen. An jeder Seite des Leichenwagens schritten vier Edelknaben und vier Leiblakaien mit brennenden Wachskerzen. Als Nebenbegleitung marschierten rechts sechs Arcieren- und acht Leibtrabanten und links sechs ungarische Leibgarden und acht Leibgardereiter. Hinter dem Wagen ritt je eine Abteilung der Arcieren- und der königlich ungarischen Leibgarde. Den Schluß bildete eine Compagnie Infanterie und eine Eskadron Kavallerie.

Unsere untenstehende Abbildung zeigt den Leichenwagen kurz nachdem er die Hofburg verlassen hatte. In tiefem Ernst, zwischen stillschweigenden Volksmassen bewegt sich der Zug langsam über den Albrechtsplatz, die Rampe entlang, welche der schöne Monumentalbrunnen schmückt, nach dem Neuen Markte. Als der Leichenwagen vor der Kapuzinerkirche angelangt war, schmetterte ein Hornist der Leibgarde der toten Herrscherin den letzten Gruß. Leise verklangen die Töne des Generalmarsches, dann vernahm man gedämpfte Trommelwirbel. Die Lakaien hoben den Sarg und bald verschwand er in der Pforte des Gotteshauses. – Wien hatte von seiner Kaiserin den letzten Abschied genommen; aber in der düster geschmückten Kirche vollzog sich die schmerzlichste Trennung. In der Fürstengruft überwältigte den so hart geprüften Kaiser Franz Joseph der Schmerz, er brach in lautes Wehklagen aus und mit Küssen, die er auf den Sarg drückte, nahm er für immer Abschied von dem Teuersten und Liebsten, das er auf Erden besaß.


Leichenbegängnis der Kaiserin Elisabeth in Wien.
Nach einer Aufnahme von Hofphotograph J. Löwy in Wien.



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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 656. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0656.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)