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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

wie ein zu spät auf die Welt gekommener Raubritter aussieht, ist ein Prinz aus einer Seitenlinie von irgend einem vorsündflutlichen mediatisierten Geschlecht. Der andere, der Kleine, ist der Sohn eines millionenreichen Deutsch-Amerikaners. Er kann sich mit seinem Vater nicht vertragen. Das muß auch ein ganz sonderbarer Heiliger sein. Nun ging er vor einigen Jahren auf eigene Faust nach Johannisburg, hat da eine Unmasse Geld verdient, und seitdem treibt er sich müßig in der Welt herum. Das Komische dabei ist, daß sich die beiden, Franklin und der Prinz, eigentlich nicht ausstehen können. Ich muß immer lachen, wenn ich den Großen und den Kleinen so freundschaftlich nebeneinander sehe.“

„Vorwärts, Frau Angela!“ schrie der Prinz herüber. „Gleich um die Ecke ist das Grand Hotel Balmoral–Palace mit Lift, Wintergarten und elektrischer Beleuchtung. Die Table d’hote hat schon begonnen!“

Sie lachte. „Kommen Sie mit!“ sagte sie zu ihrem Begleiter. „Ich muß Sie doch mit meinen Freunden bekannt machen!“

Er schüttelte den Kopf. „Heute, bitte, nicht, ich habe Fieber und ganz dumme Stiche im Herzen. Ich hab’ ja erreicht, was ich wollte, und Sie getroffen. Nun will ich mich schlafen legen! Ihre Expedition füllt die eine Herberge jedenfalls reichlich. Also gehe ich in die andere!“ Er rief seinen Diener und wechselte mit ihm ein paar arabische Worte. „In der Fonda d’España ist, wie ich eben höre, noch ein Bett frei!“

„Nun, dann auf morgen!“ sagte sie mit ihrer hellen Stimme und reichte ihm von Pferd zu Pferd kameradschaftlich die Hand.

(Fortsetzung folgt.)




Der Tod der Kaiserin von Oesterreich.

Die Stelle, an welcher die Rhone mit raschen Fluten dem Genfersee enteilt, ist mit einer herrlichen, 260 Meter langen und 16 Meter breiten Brücke, dem Pont du Montblanc, überspannt. Sie bildet sozusagen den Mittelpunkt des Fremdenverkehrs der Stadt Genf. Links von ihr erstreckt sich der schöne „Englische Garten“, rechts aber liegt der Quai du Montblanc. Weit und breit ist er seit langer Zeit berühmt, denn von ihm bietet sich über die blaue Fläche des Sees ein prachtvoller Ausblick auf die mit Schnee und Eis bedeckte, hoch zum Himmel emporragende Montblanc-Kette. Am Ende dieses Quais erhebt sich das großartige „Monument Brunswick“. Die Stadt Genf hat dieses Denkmal dem Herzog Karl II von Braunschweig errichtet, aus Dank, daß er sie zur Erbin von etwa zwanzig Millionen Franken eingesetzt hatte. Zwei riesige Löwen aus gelbem Marmor bewachen den Aufgang zu der gewaltigen Plattform, auf der das Denkmal in drei Stockwerken sich emportürmt.

Situationsplan.

Jenseit desselben erstreckt sich als Fortsetzung des Quai du Montblanc der Quai des Pâquis, an dem der Kursaal liegt. Hier springt das Ufer in den See vor und der Vorsprung ist mit schönen Anlagen und Alleen geschmückt; längs dieses prächtigen Ufers befinden sich die Landungsstellen der Dampfer. Tagaus tagein flutet hier ein bunter Verkehr und entfalten sich Bilder frohen Lebens. So ist die Stätte beschaffen, an welcher am 10. September dieses Jahres die schauerliche Mordthat vollbracht wurde, welche in der gesamten Welt Entsetzen und tiefste Wehmut hervorrief.

Kaiserin Elisabeth von Oesterreich hatte von Caux aus, wo sie seit Ende August dieses Jahres zur Kur weilte, einen Ausflug nach Genf gemacht und war im Hotel Beaurivage abgestiegen. Das schmucke Haus, aus dessen Fenstern sich ein prächtiger Blick über den See und die am Berge aufsteigende Stadt darbietet, liegt, wie unser Situationsplan zeigt, an der Ecke des Quai des Pâquis und der Rue A. Fabri, dem Braunschweig-Denkmal gegenüber. Am 10. September gegen 1/22 Uhr nachmittags verließ die Kaiserin das Hotel, um nach Caux zurückzukehren. Sie begab sich zu Fuß nach der Landungsstelle des Dampfers am Quai du Montblanc (A). Sie ging, wie die punktierte Linie auf unserem Kärtchen es andeutet, in Begleitung der Gräfin Sztaray bis zum Denkmal des Herzogs Karl II von Braunschweig, überschritt hier den Fahrweg und betrat die Allee, die vom Seeufer durch ein Eisengittcr getrennt ist. Gegenüber dem Hotel de la Paix lauerte, an einen Baum gelehnt, der Mordbube Luccheni auf sein Opfer. An der Stelle, die auf unserer Skizze mit B bezeichnet ist, überfiel er die Kaiserin und führte den tödlichen Stoß gegen ihr Herz. Die Schwerverwundete konnte noch den Dampfer erreichen. Derselbe kehrte nach kurzer Fahrt um und landete am Quai des Pâquis (vgl. C auf unserer Skizze), von wo die Kaiserin auf einer Tragbahre in das Hotel gebracht wurde. Der elende Mörder floh, wie die andere punktierte Linie unseres Situationsplanes zeigt, in die Rue des Alpes, in der er von zwei Kutschern festgenommen wurde. Auf unserer Abbildung „Ansicht von Genf mit dem Braunschweig-Denkmal“ (siehe S. 656), ist das Haus, das rechts noch zum Teil sichtbar ist, das Hotel de la Paix.

Am 17. September, acht Tage nach der Schreckensthat in Genf, fand das Begräbnis der Kaiserin statt. Alle Fürstenhöfe Europas waren bei dieser Trauerfeier vertreten. Der Deutsche Kaiser stand in dieser schweren Stunde seinem Freunde und Bundesgenossen zur Seite; auch König Albert von Sachsen und Prinz-Regent Luitpold von Bayern waren persönlich erschienen. Die Teilnahme von seiten der Bevölkerung war so allgemein, daß Wien noch niemals solche Menschenmassen versammelt gesehen hat. Aus allen Kronländern waren Abordnungen erschienen, und all die Gruppen, die vor der Kapuzinerkirche Aufstellung nahmen, boten ein geradezu überwältigendes Schauspiel. In den Straßen, welche der Trauerkondukt passieren sollte, bildete das Militär Spalier. Die Häuser waren mit Trauerschmuck versehen, die Straßenlaternen umflort, und auf diese düstere Pracht warf eine milde

Stelle der Mordthat. 
Hotel Beaurivage am Quai des Pâquis in Genf.
Nach einer Aufnahme von J. Jullien in Genf.


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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 655. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0655.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)