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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Kirche und die sogenannte Burg, das einstige Wohnhaus des Vogtes. (Vgl. die Abbildung „Eingang zur Klosterkirche“ S. 630.) Das Spiel bestand aus drei Bildern. Im ersten wurde die Gründung des Klosters im Jahre 1095 vorgeführt. Man sah da die drei Stifter, den Grafen Albert von Zollern mit dem Grafen Alwig von Sulz und dem Edelfreien Rotman von Hausen (Hausach an der Kinzig), den Bischof Gebhard von Konstanz, den Abt Udo (Hatto) von St. Blasien mit anderen Aebten und Bernhard von Fluorn, den „freien Mann“, der nach der Rechtssitte der Zeit den Vermittler bei der Stiftung zu spielen hat. Hoch zu Roß reiten diese Herren an; das bäuerliche Element ist vertreten durch den „Hofbauern“ und seine Familie, die als Hörige des Grafen von Zollern gedacht sind. Der Vollzug der Stiftung geht genau in den Formen vor sich, die aus den alten Urkunden und Rechtsbüchern zu entnehmen sind. Das zweite Bild versetzt in die Zeit des Herzogs Ulrich von Württemberg. Im Kloster herrscht Uneinigkeit; die einen sind für die Reformation und die Württembergischen, die anderen für den alten Glauben und für Oesterreich. Der obenerwähnte Blarer tritt als Reformator auf.

Balthasar von Gültlingen kommt als Vollstrecker des herzoglichen Willens mit Waffengewalt und brandschatzt das Kloster. (Es ist dies eine historische Episode, die auch durch ein Gemälde von Prof. Häberlin in der Staatsgalerie in Stuttgart zur Darstellung gelangt ist.) Die Mönche ziehen ab mit einem letzten Sanktus – eine wirkungsvolle Scene. – Das dritte Bild zeigt die Schrecken des Dreißigjährigen Kriegs und schließt mit einer Dankfeier für den westfälischen Friedensschluß. – Alles war schlicht und kraftvoll gegeben, die Spielenden, lauter Leute von Alpirsbach, waren mit Lust und Begeisterung bei der Sache. Nachdem alles zur höchsten Befriedigung der Zuschauermenge beendet war, formierte sich das ganze Festspiel unter Böllersalven zu einem Festzug. Der Umzug durch die mit Tannengrün, Laubgewinden und zahlreichen Fahnen geschmückten Gassen der Ortschaft (vgl. die Darstellung unseres Zeichners auf S. 629) bot reizende Bilder. Auf dem Platz für das „Volksfest“ löste sich der Zug auf und hier mischte sich alles angesichts des herrlichen Ausblicks auf Kirche und Kloster, Berg und Wald zu einem fröhlichen Durcheinander: die historischen Gestalten des Festspiels, die bunten Volkstrachten und die modernen Städter.

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Trachten aus dem oberen Kinzigthal.

Es war ein kleines bescheidenes Fest, aber gerade weil es über seine natürlichen Verhältnisse nicht hinaus wollte, war es so wohlgelungen und volkstümlich.


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Der Blinde von Dausenau.

Novelle von Paul Heyse.

(Schluß.)


Fräulein Rikchen stand plötzlich auf.

„Da hinten kommen Leute,“ sagte sie. „Ich darf mich hier nicht mit Ihnen sehen lassen, es wird gleich geschwätzt. Wir wollen rasch in den Seitenweg einbiegen, es fängt ohnedies wieder an zu regnen.“

Sie spannte ihr Schirmchen auf und lief mir voran. Als wir wieder nebeneinander hingingen, sagte sie:

„Das war ein schlimmer Abend damals. Als ich geklingelt hatte, kam der Papa selbst und öffnete mir. Sie hatten kein Mädchen. Nur eine alte Frau kam jeden Morgen für die gröbere Arbeit; die holte ihnen auch das Essen. Alles übrige besorgte das Lischen selbst.

„Ich erschrak, als ich den Herrn Sekretär ansah. Er war nicht in seinem ordentlichen grauen Hausrock, sondern in Hemdsärmeln, die Haare, die er sonst immer sehr sorgfältig bürstete, standen ihm wirr um den Kopf, die Augen funkelten ihm wie einer wilden Katze. Auch sagte er nicht wie sonst ganz höflich: Guten Abend, Fräulein Rikchen, sondern knurrte mich fast feindselig an. ,Wie geht’s?‘ fragte ich. ,Ist dem Lischen was zugestoßen?‘ Er antwortete aber nicht, sondern ging mir voran in die Wohnstube. Es brannte noch kein Licht, war aber noch hell genug, daß man sich in die Augen sehen konnte. ,Wo ist Lischen?‘ fragt’ ich. Er blieb immer noch stumm, wies nur mit dem Kopf nach der Thür ihrer Kammer und dann mit der Hand nach dem Tisch, auf dem ein Brief lag. Ich sah, wie er am ganzen Leibe zitterte. ,Soll ich den Brief lesen?‘ fragte ich. Da nickte er nur und lachte ganz ingrimmig und stellte sich, die Hände auf dem Rücken, an den kalten Ofen.

„Nun nahm ich den Brief – was drin stand, ahnte mir schon; daß er von ihm war, konnte ich schon riechen, denn er hatte immer parfümiertes Papier zu seinen Liebesbriefen. Dieser aber war keiner, sondern das Gegenteil. Er schrieb ihr, in seiner schönen Handschrift, die wie gestochen aussah – nun, ich weiß die Worte nicht mehr genau. Der Sinn aber war, es sei ihm ein fürchterlicher Schmerz, aber als Ehrenmann fühle er sich verpflichtet, ihr mitzuteilen, daß er ihr den Verlobungsring zurückschicken müsse. Die Stelle in d:r Hoftheaterkapelle, auf die er gerechnet habe, sei ihm von einem anderen weggeschnappt worden. Seine Aussichten auf die Gründung eines eigenen Herdes seien dadurch auf unbestimmte Zeit zunichte geworden. Als Ehrenmann – das war das dritte Wort – könne er ein geliebtes Mädchen nicht an sein ungewisses Schicksal binden. Sie möge überzeugt sein, das Herz blute ihm, während er dies schreibe, und so schöne hochtrabende Redensarten noch eine halbe Seite lang, und zum Schluß ein Gedicht, das er aus einem Buche abgeschrieben haben mußte, worin von Seelenfreundschaft, ewiger Treue trotz der zeitlichen Trennung und so blümeranten verlogenen Sachen mehr die Rede war.

„Ich war ganz starr, nachdem ich zu Ende gelesen hatte. ,Das arme, arme Lischen!‘ mehr konnte ich nicht vorbringen. ,Die arme Närrin!‘ kam es vom Ofen zurück. ,Hab’ ich’s nicht gleich gedacht? Hat sie auf mich hören wollen? Nun hat sie’s! Aber er – der Schuft, der meineidige Bube –‘ und damit ging er auf den Tisch zu, auf den ich den Brief hatte fallen lassen, nahm ihn und zerriß ihn in hundert Stücke.

,Hat es sie sehr hart angegriffen?‘ fragte ich.

„Er schien es gar nicht zu hören. Er wütete immer vor sich hin, und dabei erfuhr ich, daß vor einigen Tagen der Bräutigam dagewesen war, und das Lischen, mit ganz heiterem Gesicht, hatte ihm erzählt, die Tante Appele sei gestorben, hätte aber ihr ganzes Geld samt Haus und Weingärten der Apolloniuskapelle vermacht – sie wußte nicht einmal, wo die liegt – und ihrer einzigen leiblichen Nichte nur eine alte Korallenschnur und ein Dutzend oft geflickter Hemden. Aber sie habe keinen Kummer darüber. Sie wisse ja, ihr Schorsch denke über reich und arm ganz wie sie selbst und sie würden trotzdem glücklich miteinander sein und den Himmel auf Erden haben.

,Der elende Schuft!‘ knirschte der alte Mann. ,Ich wußte wohl, daß er sich auf die Erbschaft von der bigotten Närrin gespitzt hatte, denn sonst – ein armes Mädchen zu freien, das fällt heut’ keinem dieser windigen Burschen ein, wie ich’s damals

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 632. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0632.jpg&oldid=- (Version vom 10.4.2023)