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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

wieder! Hab’ ich denn die Pest oder den Aussatz oder – oder – sonst was derartiges, daß du so vor mir erschrickst? Ich war schon mal hier bei dir, so um Mittag herum –“

„Ja, und hast auch da schon den Pirol rufen lassen. Die Arbeiter haben sich gewundert!“ sagte der Ingenieur mit gepreßter Stimme.

„Na, warum soll der Pirol denn nicht mal ausnahmsweise jetzt schon schreien, wenn’s ihm so beliebt?“ fragte der junge Mann mit einem leichtsinnigen Lachen. „Und wenn sich eure Dickschädel von Arbeitern mal zu wundern haben, das kostet ja nichts! Ich hätt’ ja auch am hellen lichten Tag zu dir kommen können, ohne das Zeichen und alles –“

„Du vergißt, daß Herr von Hofmann, der deine Antecedenzien kannte, mir auf die energischste Weise angesagt hatte, du dürftest dich in der Kolonie Josephsthal niemals blicken lassen, ich dürfte nie in persönlichen Verkehr mit dir treten –“

„Na, der hat ja jetzt aufgehört, Gesetze für dich oder sonst wen zu erlassen!“

„Hast du das in den Zeitungen gelesen?“

„Natürlich! Voll genug sind sie ja davon!“

„Und hast du das drüben …. aber,“ unterbrach der Ingenieur sich hastig, „die Zeit war ja so kurz – laß mich nachrechnen, wann ich dich nach Hamburg brachte …. du …. du bist am Ende gar nicht drüben in Amerika gewesen!“

Reinhold steckte die Hände in die Hosentaschen, lehnte sich gegen den Tisch und fing an zu lachen – es klang aber gezwungen genug.

„Natürlich bin ich drüben gewesen, alter Will! Machen wir alles! Kenn’ den ganzen Yankee Doodle unterm Sternenbanner wie meine Tasche! Hab’ auch Glück drüben gehabt! Bißchen gejeut …. na, na, keine Bange, alter Kronensohn! Solider Knopp, der du bist! Warum ich zurückgekommen bin, möchtest du wissen? Na, siehst du, ich kann Gedankenleser werden. Also erstens: Amerika ist nix für ’n Menschen wie ich einer bin. Fremdes Volk, das scharf arbeitet, jawohl – aber in meiner Branche, versteh’ mal, Will, da sind sie uns drüben überm Wasser um zehn Pferdelängen voraus. Das ist nicht sehr ermutigend, wirst du mir zugeben –“

„Aber ich an deiner Stelle, ich hätte dort tüchtig gelernt!“ fiel Wilhelm ein.

„Ja, du an meiner Stelle! Glaub’ ich dir gern! Bloß, daß du und ich, die liebe Gotteswelt aus grundverschiedenen Gesichtspunkten ansehen! Du sagst, wir sind auf Erden, um zu büffeln – ich – Gott, du weißt, arbeiten ist für mich bloß immer ’n sogenannter Genuß gewesen. Und außerdem – na, sieh mal, wer so alles Weibliche voll Hoheit übersieht, wie du es thust, der hat keinen Schimmer davon, wie einem ist, wenn er so über Hals und Kopf in der Verliebtheit drin steckt und meint, nicht leben zu können ohne …. Na, also – da, wo ich zuletzt war, hatt’ ich so ’n .... so ’n .... Verhältnis – ’ne kleine Flamme – oder vielmehr richtiger: ’ne große! Die konnt’ ich da drüben nicht entbehren, die mußt’ ich wieder haben, und da sie nicht übers große Wasser wollte, auch nicht konnte, wegen Familiengeschichten – na, so entschloß ich mich eben kurz und kam schnell wieder zurück!“

„Und – deine – deine Absichten mit dem – dem – Verhältnis, wie du das nennst –“ der Ingenieur sprach so schwerfällig, als müßte er jedes Wort erst suchen „die sind doch hoffentlich ehrlich – ehrlich und solide? Du möchtest dich also verloben –“

„Thu mir den Gefallen, Mensch, und spiel’ dich nicht auf den Moralfatzken hinaus, ja? Steht dir scheußlich, und macht mir nicht die Bohne Eindruck! Uebrigens, wenn’s dich beruhigt: sehr möglich, daß ich mich verlobe und verheirate, so blödsinnig es eigentlich für ’n junges Blut, wie ich eines bin, wäre …. verschwören will ich das nicht!“

„Du müßtest aber doch erst tüchtig arbeiten und dir dann eine neue Stelle suchen. Freilich, deine Zeugnisse – –“

„Sind nicht die glänzendsten! Stimmt, mein Lieber! Aber Stelle suchen? Das eilt vorläufig nicht. Wer momentan so dasteht wie ich – brauchst mich gar nicht so mißtrauisch mit den Blicken anzubohren – ich will nichts von dir, brauch’ dich nicht auszupumpen – armer Kerl, ich hab’s ohnehin bis jetzt oft genug gethan! Kann dir, wenn du’s brauchst, sogar was zurückgeben; kommt mir auf ’n paar tausend Märker schließlich nicht an –“

Der junge Mensch faßte in die linke Brusttasche und wollte ein Portefeuille herausziehen. Sein älterer Bruder fiel ihm hastig in den Arm.

„Laß nur, laß! Ich will nichts wieder haben! Ich versteh’ nur nicht, wie du in der kurzen Zeit – du kannst ja kaum sechs Wochen drüben gewesen sein! Wie du da so viel Geld –“

„Ja, wenn der Mensch einmal Glück hat! Pfennig für Pfennig verdient sich natürlich so was nicht!“

„Aber wie ist denn das zugegangen?“

„Na, nun öd’ mich aber nicht länger mit dem Gefrage! Biet’ mir lieber was zu trinken an! Diese liebliche Frühlingsluft hat noch ’n kalten Nachgeschmack, und ich bin –“

„Bist du hier im ‚Goldenen Lamm‘ abgestiegen?“

„Fällt mir nicht ein! Ich komme von der nächsten Bahnstation, wo ich auch mein Gepäck habe. Wo hast du denn gesteckt, als der Vogel Bühlow heut’ mittag rief? Um die Zeit bist du doch sonst immer in deiner Behausung gewesen!“

„Ich hab’ heute gar kein Mittag gegessen, bin im Maschinenhause gewesen. An der einen Turbine war etwas in Unordnung geraten, ich habe mit zwei Monteuren nachgesehen und gearbeitet …“

„Arbeit ist das Brot des Lebens!“ nickte Reinhold mit spöttischem Lächeln. „Na, wem’s Vergnügen macht, immer los! Wenn du mir also was zu trinken geben willst –“

„Natürlich! Möchtest du Thee?“

„Thee?“ Der Jüngere dehnte das Wort so hin, als hätte es vier bis fünf Silben. „Gott steh’ mir bei, hab’ ich ’nen tugendhaften Herrn Bruder! An dem müssen die kleinen nackten Engelchen im Himmel ihre unschuldige Freude haben! Laß mal sehen, was da im Wandschrank steckt!“

Er schlug die beiden Thüren des kleinen, in die Vertäfelung eingelassenen Schränkchens auf, streckte suchend den Kopf vor und kam gleich darauf mit zwei Flaschen im Arm an den Tisch zurück.

„Die ganze Ausbeute! Mager, alter Will – heillos mager! Na – müssen uns einzurichten suchen. Hier alter Arrak – hältst du dir wohl für Krankheitsfälle, was? Und dies Sherry, ganz anständige Marke wenigstens! Also, prosit!“

Er hatte sich wieder in den zurückgeschobenen Stuhl geworfen, füllte ein herbeigeholtes Wasserglas bis an den Rand und trank es mit langen Zügen leer.

„Nicht schlecht. Hol’ dir doch ein zweites Glas und thu’ mir Bescheid!“

„Entschuldige mich. Ich bin kein Weintrinker, und um diese Stunde schon gar nicht. Sei vernünftig, Hold, trink’ auch nicht weiter, das ist ein sehr schwerer Wein!“

„Keine Sorge!“ Das Glas wurde von neuem gefüllt. „Ich kenn’ solchen Sherry, und ich kenn’ auch mich! Der thut mir nichts. Wenn ich dir den Beutel nicht leer mach’, thu’ ich’s wenigstens mit dieser Flasche. Dein Wohl, brüderliche Liebe!“

Wilhelm Harnack saß dem Bruder gegenüber, nur durch die Breite des Tisches von ihm getrennt. Mit seinen scharfen Augen – ihre Spürkraft war in der Kolonie Josephsthal sprichwörtlich geworden – forschte er in dem Gesicht des jungen Menschen, den er so sehr geliebt, dem er so viel geopfert hatte. Immer noch war es ein hübsches Gesicht mit einnehmenden Zügen, aber da war etwas in den Augen, was den Beobachter beunruhigte, ein starrer, bleierner Blick, wie er ihn oft bei Gewohnheitstrinkern im Anfangsstadium gesehen hatte.

„Na – was studierst du denn so andächtig an mir herum? Willst wohl taxieren, ob ich den Weiberchen noch gefährlich werden kann? Aber sehr, will ich dir sagen! Hab’ sie alle am Bändel!“

„Und trotzdem auch noch so viel Glück im Spiel?“ zwang sich der ältere Harnack zu scherzen.

„Ich? – Aber ja natürlich! Das dämliche Sprichwort! Ist ja alles Kaff! Ich pfeife d’rauf! Va banque hier va banque dort – nur vorwärts!“

„Wenn du dabei nur nicht scheiterst, Reinhold!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 616. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0616.jpg&oldid=- (Version vom 11.12.2022)